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„Einfach absetzen wäre das Schlimmste“

Eine Rückruf-Aktion verunsichert Bluthochdruck-Patienten. Apotheker warnen aber vor Schnellschüssen.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann und Stephan Hönigschmid

Riesa. Die besorgten Nachfragen haben sich zuletzt gehäuft, bestätigt Dr. Katrin Gruner. „Es hat wohl gestern einen Fernsehbeitrag über die Rückruf-Aktion gegeben, das merkt man.“ Nachdem bekannt geworden ist, dass in Sachsen Blutdruckmedikamente des Typs Valsartan vertrieben worden sind, die krebserregende Stoffe enthalten könnten, liegen in den Apotheken-Regalen längst keine der potenziell betroffenen Chargen mehr. Trotzdem ist die Verunsicherung groß, sagt Gruner, die in Riesa die Apotheke am Heideberg führt. Ähnlich wie in den Apotheken ist die Situation in den Arztpraxen. „Die Leute sind aufgescheucht“, bestätigt Allgemeinmedizinerin Heidrun Jung aus Riesa. Man verweise dann an die Apotheken, denn die wüssten sicher, ob das herausgegebene Medikament auch betroffen ist.

Problematisch aus Sicht der Apotheken sind indes drohende Versorgungsengpässe nach dem Rückruf: „Die Firmen, die nicht betroffen sind, sind natürlich nicht lieferbar, wenn sich alle draufstürzen“, sagt die Mitarbeiterin einer Riesaer Filiale. Auch Apotheken-Chefin Katrin Gruner bestätigt, es zeichneten sich schon Lieferschwierigkeiten ab. Wer bald keine Tabletten mehr hat, sollte sich medizinischen Rat holen, rät Dagmar Bach, die die Apotheke in Altriesa leitet. „Es besteht immer die Möglichkeit, in Absprache mit dem Arzt auf ein anderes Medikament aus der Gruppe der Sartane auszuweichen.“ Dafür gebe es Umrechnungen in äquivalente Dosen. Den Rückruf selbst hält sie für richtig. „Es kann momentan niemand sicher sagen, in welchem Umfang die Chargen betroffen sind.“ Deshalb sei das Ganze eine sinnvolle Sicherheitsmaßnahme.

Vergleichbar mit gegrilltem Fleisch

In jedem Fall raten sowohl die Ärzte als auch die Apotheker zu Besonnenheit: „Den Wirkstoff eigenmächtig abzusetzen, wäre das Schlimmste, das man machen kann“, sagt Katrin Gruner. Eines stehe fest: Valsartan wird es auch weiterhin geben. Denn problematisch sei ja nicht der Wirkstoff an sich, sondern ein ungewolltes Nebenprodukt der Herstellung. So sieht das auch der Geschäftsführer der Landesapothekerkammer, Frank Bender: „Der Fall wurde ja geprüft und es hat bewusst keine öffentliche Warnung gegeben.“ Die krebserregende Belastung durch die sogenannten Nitrosamine, die sich bei der Herstellung des Wirkstoffes in China gebildet haben, sei vergleichbar mit der Gefahr beim Verzehr von gegrilltem Fleisch oder beim Rauchen, sagt Bender, der vermutet, dass die Umstellung des Produktionsprozesses im Jahr 2012 den Fehler begünstigt haben könnte.

„Solche Stoffe werden ja nicht hinzugegeben. Die könnten eher durch Unreinheiten bei der Synthese entstanden sein“, so Bender, der es kritisch sieht, dass aus Kostengründen bis zu 80 Prozent der Wirkstoffe für Medikamente außerhalb Europas hergestellt werden. „Wenn die Chinesen sagen, ihr kriegt nichts mehr, haben wir ein Problem.“

In Sachsen sind nach Angaben der Krankenkasse insgesamt etwa 48 000 Versicherte der Barmer von dem Rückruf betroffen. Für den Landkreis Meißen liegen keine Zahlen vor. Bei den Medikamenten handelt es sich dabei um die Arzneimittel Valsartan AbZ, Valsartan Heumann und Valsartan comp.AbZ. Die Barmer weist darauf hin, dass sie nicht nur die Kosten für eventuell notwendige Alternativmedikamente übernimmt, sondern auch die dafür anfallenden Zuzahlungen. Allerdings sollte es sich dabei ebenfalls um ein rabattbegünstigtes Arzneimittel handeln. Die Kosten für das um die 90 Euro kostende Originalpräparat von Novartis werden nur in Ausnahmefällen übernommen. Andere Krankenkassen wie die AOK Plus trifft die Rückrufaktion laut eigener Aussage nicht. Neben den Kassen können auch die Ärzte den Patienten weiterhelfen. Wie die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen mitteilt, sei es Ärzten erlaubt, neue Rezepte auszustellen, ohne Angst vor einem Regress haben zu müssen.

Aufmerksam verfolgt wird die aktuelle Diskussion auch in den Elblandkliniken. Auf Anfrage wollten die Verantwortlichen jedoch nicht eindeutig sagen, ob die fraglichen Medikamente im Einsatz waren beziehungsweise aus dem Verkehr gezogen wurden. Stattdessen heißt es: „Wir versichern, dass unsere Kliniken ausschließlich Präparate im Einsatz haben, die das Patientenwohl nicht gefährden.“

Spezielle Meldesysteme, zum Beispiel von der Landesapothekerkammer, würden tagaktuell über mögliche Risiken informieren. Auf diese Weise sei es gewährleistet, dass Arzneimittelrückrufe oder Chargenüberprüfungen vom hausinternen Apothekenteam registriert würden.

Liste chargenbezogener Rückrufe Valsartan-haltiger Arzneimittel