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Eine Zukunft ohne Fleisch und Stalaktiten

Der ehemalige Betrieb der Konsumgenossenschaft Vorwärts wird saniert. 25 Jahre Stillstand haben Spuren hinterlassen.

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© Sven Ellger

Von Franziska Klemenz

Wer mit einem Hang zum Aberglauben ausgestattet ist, könnte es auf Poltergeister schieben. 25 Jahre lang hörte man nichts. Dieser Tage poltert es in dem ehemaligen Fleischverarbeitungs-Betrieb an der Fabrikstraße 13. Ein dumpfes Poltern, gedämpft durch dichtes Ziegelstein-Gemäuer. Was passiert mit dem architektonischen Sonderling, den einst die Konsumgenossenschaft Vorwärts bauen ließ?

So könnte es drinnen einmal aussehen

Bei dieser klassischen Innenraumaufteilung gibt es abgegrenzte Büros. Die Variante eignet sich beispielsweise für Anwaltskanzleien.
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Ein Großraumbüro mit separaten Tischen ist etwa für Gewerbekunden wie die Telekom geeignet.
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Ein Tisch, der sich durch die ganze Etage windet, Sitzecken im Raum und viel Platz zur Entfaltung bietet Variante 3. Hier könnte sich die nächsten Google-Macher einmieten.
Ein Tisch, der sich durch die ganze Etage windet, Sitzecken im Raum und viel Platz zur Entfaltung bietet Variante 3. Hier könnte sich die nächsten Google-Macher einmieten.

Die Spur führt nach Berlin. „Genesis Macellum GmbH & Co. KG“ steht auf einem kleinen, Schild an der Fabrikstraße. „Konventionellen Bau mache ich nicht, das ist mir zu langweilig“, sagt Geschäftsführer Matjaz Markelj, der das Gebäude 2017 gekauft hat. Gerüchte über den Vor-Eigentümer lassen sich nicht bestätigen. Seit 1991 nutzt die Konsumgenossenschaft es jedenfalls nicht mehr.

„Das Gebäude hat eine Raumsituation, mit der man wunderbar spielen kann“, sagt Markelj. Das Dresdner Architektenbüro RKA hat ihn auf das Gebäude aufmerksam gemacht, Denkmäler gehören zu den Spezialitäten von Architekt Thomas Kanthak und Kollegen. Sie haben in Dresden schon ein anderes altes Gebäude in der Riesaer Straße für Markelj umgebaut.

Kanthaks Blick versinkt in Schwarz-Weiß-Bildern des früheren Fleischverarbeitungs-Betriebs. Innenwände gab es kaum, das Gebäude steht auf Stützen und Trägern. Ausgeblutete Schweinehälften säumten Trassen, die durch die Hallen führen. Geschlachtet wurde hier nie; ein wenig barbarisch klingen die einstigen Nutzungspläne von damals trotzdem: „Zerkleinerung, Klärung, Schmelzung, Fettschmelze.“ Die verkohlten Decken verraten, wo geräuchert wurde, für Mitarbeiter gab es nach Geschlecht getrennte „Wohlfahrtsräume“. Eigentlich plante die Konsumgenossenschaft ein viel größeres Gebäude: Den Hauptsitz von Konsum – mit Großbäckerei, Brauerei, Brennerei. Dann kam die Weltwirtschaftskrise. 1930 stand der Sechsgeschosser. Bogenförmig, mit roten Ziegeln und Turm. Vom Dach reicht der Blick bis zur Frauenkirche. „Ein grundlegendes Verständnis des Objekts ist sehr wichtig. Wie hat es mal funktioniert, warum sieht es so aus, und warum wurden bestimmte Sachen über die Zeit verändert?“, sagt Kanthak. Die kastanienbraune Ziegelfassade des Industriedenkmals will er unbedingt erhalten. „Sie ist Zeuge einer modernen Strömung, die wir sonst eher aus dem Norden kennen.“

Monatelang wurde das Gebäude entrümpelt und beleuchtet. Graffiti bedeckten die Wände, Spraydosen die Böden. 25 Jahre Leerstand haben Spuren hinterlassen. Ein Ellbogen-breiter, Zahnbelag-farbener Krater zog sich über eine Beton-Platte im Treppenhaus, spitze Säulen tropften versteinert aus den Ziegeln. „Wir haben es teilweise mit so kalkhaltigen Baustoffen zu tun, dass wenige Jahre genügten, um Stalaktiten und Stalagmiten zu bilden“, sagt Kanthak. „Noch befinden wir uns im Abbruch-Modus, nehmen Innenwände heraus und ersetzen Fensterscheiben mit Folien, damit kein Glas auf die Straße fällt.“ Der Baugenehmigungs-Prozess läuft gerade, Kanthak rechnet mit einem Baubeginn in diesem Jahr. Besondere Herausforderung: „In einem normalen Bau werden die Oberflächen alle abgerupft. Hier müssen wir vorhandene Bauteile so schützen, dass wir sie wieder verwenden können. Sie dürfen nicht durch die Baustelle kaputt gehen.“ Was die Architekten mit der Rampe im Innenhof anfangen, überlegen sie noch. Damals führte sie unterirdisch zur Wagen-Halle des gegenüberliegenden Konsum-Gebäudes. Nach der Flut wurde die Straße saniert, der Zugang verstopft.

Wer den Bau einmal mieten wird, steht noch nicht fest. Kanthak zeigt Szenarien für verschiedene Nutzer, „von ganz jung und kreativ über gesetzter bis zu einer klassischen Zellenstruktur – von Anwalt bis Google.“ Ein wenig klingen die Architekten, als würden sie am liebsten selbst einziehen. „Jenseits von Stil und zeitgenössischem Geschmack gibt es eine viel bessere Qualität, die heute oft unterschritten wird“, schwärmt Kanthaks Kollege Andreas Ammon, Experte für Denkmalpflege. Bis 2020 soll der Bau fertig sein.