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Eine Tankstelle am Kamenzer Rathaus

Im Stadtarchiv gibt es Dokumente zur Errichtung. Wann sie stillgelegt wurde, ist offen. Verschwunden ist sie um 1970.

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© Stadtarchiv Kamenz

Von Frank Oehl

Kamenz. Sage einer, lokale Geschichte interessiert nicht! Ganz im Gegenteil, wie die Kamenzer SZ-Redaktion dieser Tage erfuhr. Ausgehend von einem Baustopp am Buttermarkt, weil die Straßenbauplaner tatsächlich eine Tankstelle am Rathaus übersehen hatten, deren Unterbau noch immer im Boden ist. Das mailte am Freitag Stadtarchivar Thomas Binder an die SZ: „Unter meinem Fenster wird gerade damit begonnen, die Tankanlage freizulegen. Was in der Akte sich sehr verwirrend angehört hatte, beginnt jetzt langsam einen Sinn zu ergeben. Denn es wird 1926/27 von ,Tanks‘ gesprochen, doch 1937 wird lediglich ein ,zweiter Tank‘ in die Erde verbracht. Nun ist zu erkennen, dass der ältere Tank allem Anschein nach aus zwei Kammern besteht – mit dementsprechend zwei Anschlüssen für zwei Kraftstoffe mit je 3 000 Litern.“

Das war und ist auf alle Fälle die älteste Tankstelle in Kamenz. An der Bautzner Straße verwaltete sie ab 1925 Schmiedemeister Richard Feuchtemeyer. Mittlerweile hat sie musealen Charakter und gibt ein tolles Fotomotiv ab.
Das war und ist auf alle Fälle die älteste Tankstelle in Kamenz. An der Bautzner Straße verwaltete sie ab 1925 Schmiedemeister Richard Feuchtemeyer. Mittlerweile hat sie musealen Charakter und gibt ein tolles Fotomotiv ab. © Ulf Berger

Ein Wal am Rathaus ausgestellt?

Allmählich kommt also Licht in die Sache. Auch dank gleich mehrerer Leser, die sich per Telefon, aber auch persönlich in der Redaktion gemeldet haben. Inge Ollenhauer zum Beispiel. Die 79-Jährige erinnert sich noch an die Tankstelle, glaubt aber sicher, dass unter dem Dach auch mal ein Wal ausgestellt wurde. „Ich bin 1953 aus der grünen Schule raus. Ich weiß noch genau, dass wir uns das Tier mit der Klasse angeschaut haben. Vielleicht so um 1950 herum.“ Dies freilich würde bedeuten, dass es in dieser Zeit (vorübergehend?) keinen Tankstellenbetrieb gegeben hat. Später aber doch wieder, wie andere noch wissen.

Wobei zahlreiche Leser sich vor allem auch an die Zapfsäulen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld erinnern. Annerose Mütze (91) sieht die Minol-Tankstelle an der Oststraße noch vor sich. „Sie wurde vom Kolonialwarengeschäft Graul betrieben.“ Bettina Hampel (82) pflichtet ihr bei, hat aber zum Beispiel zum ausgestellten Wal keine Erinnerung. „Dafür bin ich mir sicher, dass es bei Handracks an der Bautzner Straße ein oder zwei Tanksäulen gegeben hat.“

Wie aber kam es nun zum Bau der Tankstelle am Rathaus, die jetzt – mehr als 90 Jahre danach – späten Ärger macht? Thomas Binder hat recherchiert. Er fand im Stadtarchiv Kamenz die Akte „Errichtung einer Benzintankstelle an der linken Seite des Rathauses – nach dem Buttermarkt – durch die Firma Max Elb AG, Dresden, (seit 1927: Deutscher Benzol-Vertrieb der Vereinigten Stahlwerke AG, Dresden)“. Demnach beantragte am 23. November 1926 die genannte Firma beim Rat der Stadt die Errichtung einer Straßenzapfstelle am Markt 10 – vor dem Hotel Goldner Hirsch. Inhaber war Kurt Zestermann, der im Übrigen auch dem Benzolverband Kamenz angehörte.

„Der Stadtrat lehnte die Aufstellung der Zapfstelle vor dem Hotel jedoch aus verkehrspolizeilichen Gründen ab, weil sie dort ein Verkehrshindernis darstellen würde. Außerdem bestanden Bedenken hinsichtlich des störenden Einflusses der Zapfanlage auf das Stadtbild.“ Daraufhin stellte die Max Elb AG am 13. Dezember 1926 einen neuen Antrag auf Errichtung einer Zapfstelle – auf dem Buttermarkt. Am 11. April 1927 konnte nach Abnahme der errichteten Anlage durch das Stadtbauamt die seit dem 27. Januar 1927 vorliegende Genehmigung zur Betreibung der Tankstelle direkt an der Südseite des Rathauses durch Kurt Zestermann endgültig erteilt werden.

Bereits am 6. April 1927 teilte die Deutsche Benzol Vertrieb GmbH, Dresden mit, dass Kurt Zestermann zur elektrischen Beleuchtung der Zapfstelle ein Erdkabel vom Hotel „Goldner Hirsch“ über den Markt verlegen möchte, was ebenfalls das Stadtbauamt genehmigte. „In diesem Zusammenhang ist interessant, dass am 7. Juli 1930 der Installationsmeister Willy Böttcher dem Rat der Stadt mitteilte, dass er von der Deutschen Benzol Vertrieb GmbH beauftragt wurde, eine neue Stromzuführung aus dem Grundstück vom Kaufmann Ehrlich zu verlegen.

Schwierige Bewirtschaftung

Zweifellos machte der Standort der Zapfstelle für Zestermann deren Bewirtschaftung schwierig, sodass ein neuer Pächter gesucht und mit Richard Ehrlich auch gefunden wurde.“ Dieser hatte bereits zuvor mit einem anderen Anbieter – der Deutsche Vertriebs-Gesellschaft für Russische Oel-Produkte AG – eine Tankstelle vor seinem Geschäft, also auch auf dem Buttermarkt beantragt. „Das wurde abgelehnt, weil sowohl in unmittelbarer Nähe als auch schon seit 1925 auf der Nordseite des Rathauses, auf der Zwingerstaße, zwei Tankstellen existierten. Die Übernahme des Geschäftes von Zestermann wird Ehrlich daher gelegen gekommen sein.“

Als der Buttermarkt 1934 neu gepflastert und an der Rathausfront ein Bürgersteig hergestellt werden sollte, einigte man sich, dass die Zapfsäule am Rand des Bürgersteiges am Buttermarkt in Höhe der Vorderfront des Rathauses neu zur Aufstellung kommt. „Bei der auf dem in der SZ vom 2. Oktober abgedruckten Foto zu sehenden Zapfsäule handelt es sich demnach bereits um die zweite Tankstelle an diesem Ort.“

Keine drei Jahre später stellte der Betreiber den Antrag auf erneute Verlegung der Zapfstelle auf die andere Straßenseite des Buttermarktes mit gleichzeitiger Errichtung einer Überdachung, was letztlich Mitte des Jahres 1937 genehmigt und ausgeführt wurde. „Weder die Verlegung der Zapfstelle 1934 noch derjenigen im Jahre 1937 hatte bautechnische Auswirkungen auf die seit 1927 im Erdreich befindlichen zwei 3 000 Liter fassenden Tanks. Sie blieben von den Baumaßnahmen unberührt.“ Allerdings erfuhr die Tankanlage bei der Verlegung 1937 eine Erweiterung.

Später gibt es keine baupolizeilichen Angaben mehr in der Akte, sondern nur noch zu Gebühren und Ähnlichem. „Da die Tankstelle Ende 1939 – wahrscheinlich kriegsbedingt – geschlossen wurde, entfiel auch die Gebührenerhebung, und die Akte wurde ebenfalls geschlossen.“

Montag kommen die Reste raus

Inwiefern die Tankstelle später wiedereröffnet wurde, müsse noch geklärt werden, so Thomas Binder. „Aussagekräftigen Unterlagen der Bestandsgruppe des Bauamtes werden kaum vor 2020 erschlossen sein.“ Außerdem sei die Zuständigkeit für Tankstellen später an den Rat des Kreises übergegangen. Die besagte Akte sei noch bis 2014 im Archiv des Landkreises verwahrt und „vor der Vernichtung dem Stadtarchiv angeboten“ worden.

Sehr interessant ist in jedem Fall die Information von SZ-Leser Fritz Vogel. „Als die Tankstelle auf dem Buttermarkt abgebaut wurde, hat sich mein Vater den etwa 6,20 m langen Dachträger gesichert. Er ist heute noch in unserem Schuppen in Jesau zu besichtigen.“ Und wann war das? „Das muss 1969 oder 1970 gewesen sein.“ Zu vermuten ist, dass sie schon länger zuvor nicht mehr betrieben wurde. Egal. Erst jetzt – am Montag, dem 8. Oktober 2018 – kommen die Reste aus dem Boden.