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„Eine Stadt sollte keine Moschee einrichten“

Ein Experte rät Pirna, den Kontakt zu muslimischen Zentren zu suchen. Aber er zeigt auch Grenzen auf.

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© dpa

Pirna. Der aktuelle Bericht des Sächsischen Verfassungsschutzes enthält alarmierende Fakten. In Sachsen sei mit der Gründung der Sächsischen Begegnungsstätte (SBS) eine Struktur vorhanden, „bei der tatsächlich Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie über Kontakte zur extremistischen Muslimbruderschaft und der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland verfügt“, heißt es darin. In Pirna besitzt die SBS seit Mitte 2016 ein großes Haus an der Brückmühle im Stadtteil Copitz. Die SZ sprach mit dem Wissenschaftler Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen über Chancen und Grenzen im Umgang mit den in der sogenannten Begegnungsstätte aktiven Muslimen.

Yunus Ulusoy beschäftigt sich als Wissenschaftler mit Integration. Er sieht auf Sachsen hier viel Arbeit zukommen
Yunus Ulusoy beschäftigt sich als Wissenschaftler mit Integration. Er sieht auf Sachsen hier viel Arbeit zukommen © Foto: privat

Wie sinnvoll ist es, den Kontakt zu möglicherweise islamistisch orientierten Vereinen in einer Stadt zu suchen?

Das hängt letztendlich davon ab, wo genau der Verein politisch steht. Handelt es sich um gewaltbereite Extremisten und Islamisten, dann ist der Verfassungsschutz zuständig. Gibt es eine Gesprächsbereitschaft, dann stellt sich die Frage, ob die Verwaltung über Personal verfügt, das interkulturelle Kompetenzen besitzt.

Das sagt der Staatsschutz

Im Jahr 2016 ist mit der „Sächsischen Begegnungsstätte gUG“ (SBS) eine Struktur in Sachsen entstanden, bei der tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie über Kontakte zur ... Muslimbrüderschaft und der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V., der bedeutendsten und zentralen Organisation der Muslimbrüderschaft in Deutschland, verfügt.

In Sachsen liegt das Personenpotenzial der Muslimbrüderschaft bei derzeit circa 35 Personen.

Die große Mehrheit der Muslime in Sachsen verfolgt keine solchen Bestrebungen.

Vorstand und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der SBS ist Dr. Saad Elgazar. Elgazar hat über einen längeren Zeitraum in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken im Internet zahlreiche Beiträge veröffentlicht, in denen Aktivitäten der Muslimbrüderschaft dargestellt wurden.

Quelle: Hintergrundbeitrag Sächs. Verfassungsschutz Juni 2017

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Was verstehen Sie unter interkulturellen Kompetenzen? Wie wichtig sind Sprachkenntnisse?

Es geht nicht in erster Linie darum, dass jemand flüssig Arabisch spricht. Muslime stammen aus ganz unterschiedlichen Ländern und sprechen ganz verschiedene Sprachen. Außerdem leben wir in Deutschland und hier ist Deutsch die Umgangs- und Amtssprache. Wichtiger als Sprachkompetenz sind aus meiner Sicht gute Kenntnisse der islamischen Welt, ihrer Verhaltensweisen und Gebräuche, und wenn möglich Kenntnisse über geistige wie auch politische Strömungen in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland. Der Mitarbeiter sollte etwas von Integration und den verschiedenen Möglichkeiten des Hineinwachsens in eine neue Kultur verstehen.

Welche Wege der Kontaktaufnahme sind zu empfehlen?

Das sollte aus meiner Sicht in offener und selbstbewusster Art und Weise geschehen. Bei einem ersten Gespräch wird es sicher zunächst darum gehen, zu schauen, wer in dem Verein oder islamischen Zentrum aktiv ist, welche Ziele die führenden Köpfe sowie Mitglieder verfolgen und welche Möglichkeiten existieren, Einfluss zu nehmen.

Sollten Kommunen Muslimen selbst Räume anbieten und Vereinsgründungen fördern, um islamistischen Vereinen den Boden zu entziehen?

Hier müssen wir meiner Ansicht nach unterscheiden zwischen dem Anbieten von Räumen beziehungsweise der Hilfe bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten und dem aktiven Fördern von Vereinsgründungen. Wir verfügen über sehr breitgefächerte Strukturen der Sozialarbeit in den Kommunen, die Menschen unabhängig ihrer Herkunft und ihres Glaubens Angebote unterbreiten. Dazu gehören zum Beispiel Jugendzentren mit Sozialarbeitern, die von freien Trägern oder den Städten selbst betrieben werden. Das sind bewährte Strukturen, die wir noch stärker auf die Anforderungen einer zunehmend bunter werden Stadtgesellschaft vorbereiten müssen. Hingegen erlaubt die Trennung von Staat und Religion in Deutschland nicht, dass eine Stadt beziehungsweise eine öffentliche Einrichtung eine Moschee einrichtet, genauso wenig wie eine Kirche. Das ist auch gut so. Das sollten die Gläubigen selber tun.

Gibt es eine Möglichkeit für Kommunen, die Inhalte des Koranunterrichts für Kinder zu kontrollieren?

Der Punkt zum Einschreiten ist gekommen, wenn sich negative Folgen etwa im Schulunterricht bemerkbar machen oder Kinder beziehungsweise Jugendliche Zeichen von Radikalisierung zeigen. Dann sollten die Verantwortlichen das direkte Gespräch mit der jeweiligen Gemeinde suchen und deutlich Grenzen aufzeigen. Aber ein Generalverdacht gegen religiöse Unterweisung in den Moscheen sollte unterbleiben, weil das die Gesprächs- und Dialogkanäle behindern würde. Auch hier gilt es, offen und direkt das Gespräch zu suchen und Einblick zu gewinnen, wie die Moscheen vor Ort arbeiten. Man sollte dabei auch ihre sozialen Dienste wertschätzen, die vielen Menschen Halt und Orientierung geben, soweit der Moscheeverein nicht einer extremistischen Gruppierung angehört.

In Pirna werden Geflüchtete unter anderem von der Caritas, der christlich geprägten Diakonie sowie der ökumenischen Arbeitsgruppe „Flüchtlingshilfe Pirna“ von der Kirchgemeinde betreut. Werden Muslime dadurch nicht eher abgeschreckt?

Bei dieser Art der Hilfe geht es vor allem um praktische Fragen, die die Ankommenden bewegen: Wo werde ich untergebracht? Wie werde ich unterstützt? Welche Schule oder welche Kita können meine Kinder besuchen? Wie kann ich schnell Deutsch lernen? Bei diesen grundlegenden Dingen kommt es aus meiner Sicht nicht darauf an, wer die Antworten gibt. Das dürfte auch für die Geflüchteten nicht wesentlich sein. Für sie ist entscheidend, dass ihre Betreuer kompetent sind und schnell und effizient bei der Integration helfen. Da spielt es keine Rolle, ob das die Diakonie leistet oder ein säkularer Verein.

Viele Kommunen speziell im Osten Deutschlands scheinen mit der Integration vor allem muslimischer Geflüchteter überfordert zu sein. Ist dieser Eindruck richtig?

In Westdeutschland hat es ab den 1960er-Jahren mit den Gastarbeitern aus Italien, der Türkei oder Jugoslawien einen stetigen Zustrom an Ausländern gegeben. Über mehr als 50 Jahre hat sich dadurch eine Kultur der Integration in Schulen, in Vereinen, in der Politik und allen anderen gesellschaftlichen Bereichen entwickelt. Die Einwanderungswelle von 2015 kam dagegen sehr plötzlich und hat – so beobachte ich das zumindest aus der Ferne – vor allem Ostdeutschland unvorbereitet getroffen. Hier gibt es sicher noch viel Arbeit.

Wie beurteilen Sie die hier in Sachsen aktive islamische Sächsische Begegnungsstätte?

Details sind mir nicht bekannt. Es fällt jedoch auf, dass die SBS in Form einer Unternehmergesellschaft organisiert ist. Das finde ich außergewöhnlich. Zumeist sind muslimische Gemeinden eingetragene Vereine. Dementsprechend gibt es Vorstandswahlen, und es muss Rechenschaft abgelegt werden. Diese Struktur befördert eine demokratische Verfasstheit. Die Vereinsmitglieder haben eine Stimme. Sie können einen Vorstand einsetzen oder abwählen. Bei einer Unternehmergesellschaft ist das anders. Da bestimmen die Vorstände. Das würde ich an Ihrer Stelle hinterfragen. Wieso wurde gerade diese Form gewählt?

Das Gespräch führte Peter Anderson.