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Eine Sache für Profis

Ein Muslim gibt Einblick in die Beschneidung seines zweijährigen Sohnes. Der operierende Arzt klagt über Pfusch in Synagogen und Moscheen.

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Von Stephan Scheuer

Der weiße Mundschutz bläht sich auf. Dann fällt er wieder in sich zusammen. In kurzem Rhythmus, denn Zakarya El Sesiy atmet rasch. Die Anspannung ist dem 58-Jährigen anzusehen, trotz Mundschutz und blauem Operationskittel. Aber er möchte keinen Moment verpassen. Der stämmige Mann starrt auf den kleinen Operationstisch. Dort liegt sein Sohn. „Ein Teil von mir“, sagt der Vater – und lehnt sich etwas unsicher an die Wand. Ein Arzt beugt sich über das Kind. Es kann losgehen, der knapp Zweijährige wird heute beschnitten.

„Tupfer!“, ruft Doktor Aref El-Seweifi einer Krankenschwester zu. Die Griffe des Urologen sind geübt. Er steht im Operationssaal in einer Privatklinik in Berlin, seine lockigen braunen Haare bedeckt eine grüne Haube. Auf einem Tablett liegen die Instrumente: Scheren, Pinzetten, Tupfer, Fäden und ein Skalpell. Bis zu 30 Beschneidungen macht der Facharzt im Jahr.

Bis zum Mai dieses Jahres gehörte die Beschneidung wie selbstverständlich zur Welt der Muslime und Juden in Deutschland: Der Eingriff gehört zu ihrer Religion. Er geschieht aus Tradition, aus Überzeugung. Kaum jemand nahm Notiz davon. Doch dann geriet diese Welt ins Wanken. Das Landgericht in Köln wertete die Beschneidung eines Vierjährigen als Körperverletzung. Seither wird um ein Gesetz gerungen, das beiden Seiten gerecht wird: dem deutschen Rechtsempfinden und dem religiösen Brauch.

El Sesiy will sich von der Debatte nicht einschüchtern lassen. Der Informatiker hat vier Söhne. Drei sind beschnitten, und nun ist der vierte dran. Die Diskussion könne daran nichts ändern, betont er. Aber sie ärgert ihn: „Die Regierung hat es nicht geschafft, die NPD zu verbieten, aber nun will sie Beschneidungen unter Strafe stellen?“

Für den Islam und das Judentum ist die Beschneidung ein wichtiges Ritual. Nach jüdischer Tradition werden Jungen am achten Lebenstag beschnitten. Es ist ein Symbol für den Bund, den Gott mit Abraham schloss. Im Islam wird als Zeichen der Religionszugehörigkeit bis zum Alter von 13 Jahren beschnitten.

Gleichmäßig piept ein Messgerät, das den Kreislauf des Zweijährigen überwacht. El-Seweifi schaut zu dem Apparat, dann macht er weiter. Der Arzt tupft, schneidet und tupft wieder. „Bitte halten Sie hier fest“, weist er seine Assistentin an. „Genau so, und jetzt stillhalten.“ Er rückt seinen grünen Kittel zurecht, greift zum Skalpell.

El Sesiys Sorge, dass solche Eingriffe künftig geahndet werden, scheint unbegründet zu sein. Inzwischen liegt ein Gesetzesentwurf von Union und FDP vor, der Bundestag muss darüber noch entscheiden. Dem Entwurf zufolge bleiben Beschneidungen unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Nicht nur Ärzte, sondern auch von Juden oder Muslimen dazu vorgesehene Personen sollen den Eingriff an bis zu sechs Monate alten Jungen vornehmen dürfen, sofern dies medizinisch fachgerecht geschieht. Bei dem Eingriff soll möglichst Schmerzfreiheit gewährleistet sein, und er soll verboten sein, wenn es eine „Gefahr für das Kindeswohl“ gibt.

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte bereits Ende September Eckpunkte für die künftigen Beschneidungsregelungen vorgelegt. Zwar fand das Papier viel Zustimmung. Aber es stellte letztlich nicht alle Seiten zufrieden. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte die Vorgabe, nach der nur der Eingriff bei Kindern im Alter von bis zu sechs Monaten nicht von einem Arzt vorgenommen werden muss.

Die Deutsche Kinderhilfe stellte sich komplett gegen das Papier und sprach von „Vorhaut-Amputation“ und „Kindesmisshandlung“. Und die Vorsitzende des Ethikrates, Christiane Woopen, plädiert in der heutigen Ausgabe des Magazins „Focus“ dafür, Kindern bei einer rituellen Beschneidung ein Vetorecht zuzugestehen. Muslimische Kinder, die anders als jüdische in aller Regel erst später beschnitten würden, müssten nach ihrem Einverständnis gefragt werden. „Und wenn ein Kind deutlich macht, dass es nicht will, dann müssen die Eltern davon ablassen“, sagte Woopen.

Der Mediziner El-Seweifi hat seine eigene Meinung: „Beschneidungen in Moscheen und Synagogen sollten verboten werden. Das sollten nur ausgebildete und gut ausgestattete Ärzte machen“, sagt er. Doch das hat seinen Preis: Eine Beschneidung kostet bei El-Seweifi im Schnitt zwischen 300 und 400 Euro. „Ein Beschneider in einer Moschee macht das sicherlich für 100 Euro“, sagt der Urologe. Dort aber gebe es immer wieder Komplikationen. „Die haben meist keine Ausbildung und kennen nur ein paar Koranverse“, klagt El-Seweifi. Oft müsse er später stümperhaft durchgeführte Eingriffe korrigieren. Außerdem reiche die Betäubung oft nicht aus. Dadurch trügen Kinder seelische Schäden von den schmerzhaften Operationen davon. Eine Einschätzung, die auch andere Mediziner und Fürsprecher der Kinder teilen.

El-Seweifi greift ein letztes Mal zum Skalpell. Ein finaler Schnitt und die Vorhaut ist ab. Behutsam nimmt die Schwester das kleine Stück Haut mit einer Pinzette und lässt es in einen Plastikbehälter fallen. Währenddessen vernäht der Urologe die offenen Stellen. Der Faden löst sich später einfach auf. Der Junge muss daher später nicht mehr unnötig mit dem Fädenziehen belastet werden.

„Schauen Sie!“, ruft El-Seweifi dem Vater zu. Der tritt an den Arzt heran, guckt ihm über die Schulter. Beide Männer stammen aus Alexandria in Ägypten. „Hier, alles ganz sauber und gleichmäßig – so soll es sein“, sagt der Arzt. Rund 30 Minuten hat der Eingriff gedauert. Langsam wird das Kind wieder aus der Narkose aufwachen.

Der Arzt zieht sich mit dem Vater in einen kleinen Raum zurück, während sich ein Anästhesist um den Jungen kümmert. El Sesiy erzählt von den Operationen seiner anderen Söhne. „Da wurde die Haut einfach nach vorne gezogen und abgeschnitten.“ Der Urologe schaut ihn mit strengen Augen an. Er hatte die Haut Stück für Stück abgetrennt und danach alles vernäht.

„Das müssen Profis machen“, fordert der Arzt nachdrücklich. Beschneidungen seien sinnvoll, nicht nur aus religiösen Gründen: Der Eingriff senke das Risiko, an Peniskrebs zu erkranken, um das Zwanzigfache, vermindere das Risiko von HIV-Infektionen und auch das Risiko für Gebärmutterhalskrebs bei den Partnerinnen. „Es sollten viel mehr Männer beschnitten werden“, sagt El Sesiy.

Allerdings sind seine Aussagen unter Medizinern umstritten. Aber auch in den USA raten viele Urologen Männern zu einer Beschneidung, beispielsweise wenn Vorhaut und/oder Harnwege häufig entzündet sind sowie bei Erektionsschmerzen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit 30 Prozent der Männer beschnitten sind.

Vater El Sesiy setzt sich behutsam an das Bett seines Jungen. Er liegt friedlich in einem Aufwachraum und atmet ruhig. Bald ist ein großes Fest für den Kleinen geplant. Die Beschneidung soll gefeiert werden. „Das wird für ihn wie Weihnachten und Ostern zusammen“, sagt El Sesiy. Nun müsse aber alles verheilen. Behutsam streichelt er seinem Kind über den Bauch. (dpa/dapd)