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„Eine Fusion ist nicht schlimm“

Auf die 43 000 Protestanten in der Region kommen Veränderungen zu. Pfarrer Walter Lechner erklärt, welche das sind.

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© Sebastian Schultz

Frauenhain/Meißen. Etwa jeder fünfte Einwohner des Landkreises ist Mitglied der evangelischen Landeskirche – noch. Laut Prognosen könnte sich die Zahl der 43 000 Kirchenmitglieder in den nächsten gut 20 Jahren halbieren. Das hat Folgen für die Anzahl der Pfarrer und für die Größe der Gemeinden. Die SZ sprach mit dem Frauenhainer Pfarrer Walter Lechner. Der 37-Jährige vertritt den Kirchenbezirk in der Landessynode in Dresden. In diesem Parlament wird über die Zukunft der Landeskirche diskutiert.

Herr Pfarrer Lechner, aktuell gibt es im Kirchenbezirk 43 Pfarrstellen. Davon sollen in den nächsten acht Jahren zwölf wegfallen. Wie viele Kirchen betreuen Sie denn heute schon?

Zu unserer Kirchgemeinde Frauenhain gehören noch die Kirchen Koselitz und Merzdorf. Schon seit fast neun Jahren haben wir ein Schwesterkirchverhältnis mit Gröditz und Nauwalde, zu der auch noch die Kirchen in Spansberg und Nieska gehören.

Wenn ich richtig mitgezählt habe, sind das sieben Kirchen ...

Ja. Wir arbeiten seit einiger Zeit aber auch mit den Kirchgemeinden Wildenhain-Walda-Bauda, Zabeltitz-Görzig und Skäßchen-Oelsnitz-Strauch zusammen – das sind weitere acht Kirchen.

Das ist ja ein Gebiet, das zwischen der Gohrischheide und Lampertswalde liegt. Wie viele Pfarrer sind Sie hier?

Wir haben vier Pfarrerstellen, sind aber momentan zu dritt – seit Pfarrer Harald Pepel im Februar zum Superintendenten in Zwickau gewählt wurde, ist dessen Stelle vakant. Es bleiben derzeit der Gröditzer Pfarrer Christian Thiele, Frank Seffer aus Skäßchen und ich. Wir unterstützen uns gegenseitig – etwa bei Trauungen, Trauergesprächen oder Beerdigungen.

Wie soll das funktionieren, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder und damit die Zahl der Pfarrstellen sinken?

Wir als Kirchgemeinden nördlich von Großenhain haben vor, in nächster Zeit eine gemeinsame Struktur zu bilden. Uns werden auf Dauer wohl nur drei Pfarrstellen bleiben. Die Struktur muss so aussehen, dass sie mit der Zahl auch zu bewältigen ist. Die Herausforderung ist, wie man regional noch besser zusammenarbeiten kann. Nicht jeder Pfarrer muss dabei alles machen können. Denkbar ist etwa, dass sich ein Pfarramtsleiter vor allem um die Verwaltung kümmert, ein anderer könnte sich vor allem auf die Konfirmandenarbeit oder den Religionsunterricht konzentrieren.

Bei der Sondersynode in Riesa ging es bei der Frage möglicher Gemeindezusammenlegungen sehr emotional zu: Da kamen etwa Stimmen, dass eine Kirchgemeinde X mit einer Kirchgemeinde Y überhaupt nicht könne ...

Auch bei uns sind die Gemeinden ganz unterschiedlich geprägt: So gilt etwa Frauenhain mit einem Christenanteil von mehr als 30 Prozent als stark fromm geprägt, die Stahlstadt Gröditz mit weniger als zehn Prozent dagegen als ziemlich atheistisch. Auch da hieß es noch vor Jahren: Das geht überhaupt nicht zusammen. Mittlerweile läuft es sehr gut, weil die Pfarrer und die Kirchenvorstände harmonieren. Es liegt immer an den handelnden Personen!

Wie viele einzelne Kirchgemeinden werden am Ende noch übrig bleiben?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Ein erstes Konzept der Kirchenleitung wollte die Strukturen vor allem so gestalten, dass sie auch im Jahr 2040 noch auskömmliche Stellen für Pfarrer, Gemeindepädagogen, Kantoren bieten. Rechnerisch bräuchte man dafür Einheiten von 4 000 Gemeindemitgliedern, auf die drei Pfarrerstellen, ein Gemeindepädagoge und ein Kantor käme.

Weil sich die Zahl der Gemeindemitglieder laut Prognose bis dahin aber halbieren würde, müssten diese Einheiten jetzt 8 000 Kirchenmitglieder umfassen.

Um diese Zahl zu schaffen, müssten beispielsweise unsere Gemeinden hier im Norden komplett mit dem Kirchspiel Großenhainer Land zusammengehen. Da hätten wir ein Riesengebiet von Wantewitz bis Nieska – mit zunächst sieben Pfarrstellen. Problematisch an dem Konzept war allerdings auch etwas anderes.

Was denn?

Ein Einheitsprinzip für die ganze Landeskirche ist schwierig. Da gibt es einerseits die Großstädte, andererseits ziemlich atheistisch geprägte Regionen. Eine vielfältige Landeskirche braucht flexible Lösungen. Deshalb hat im Frühjahr die Landessynode beschlossen, einen Entscheidungsfindungsprozess zu starten – unter Einbeziehung der Basis. Das lief über Monate, mit Veranstaltungen überall in Sachsen.

Und das Ergebnis?

Wir sind froh, dass wir das so gemacht haben! Der Prozess hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, bei großen Weichenstellungen die Basis mitsprechen zu lassen. Waren vor der Frühjahrssynode die Rückmeldungen von der Basis oft sehr emotional, teils verletzend, sind sie jetzt in aller Regel konstruktiv. Die allermeisten Leute wissen, dass Veränderungen nötig sind. Und dort, wo sich die Leute ernst genommen fühlen, wo ihnen zugehört wird, dort ebben die Emotionen ab. Im Frühjahr hatte es sogar Demonstrationen vor der Synode gegeben.

Und jetzt?

Die Herbstsynode ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es die eine Lösung für alle nicht gibt: Wir müssen – bei aller Veränderungsnotwendigkeit –auf Nähe achten und die Vielfalt der Landeskirche berücksichtigen. Hätten wir tatsächlich überall Einheiten von 8 000 Kirchenmitgliedern geschaffen, hätte es riesengroße Gebiete ergeben. Nötig ist es, eine gewisse Selbstständigkeit vor Ort zu erhalten – mit eigenem Kirchenvorstand und eigenen Entscheidungsbefugnissen. Man muss auch nicht sofort alles so regeln, dass es bis 2040 unverändert bleiben kann. Auch schrittweise Änderungen sind möglich.

Wie geht es nun weiter?

Im Frühjahr soll das Landeskirchenamt den Entwurf eines überarbeiteten Kirchgemeindestrukturgesetzes vorlegen. Darüber berät und beschließt die Synode hoffentlich zeitnah.

Und wer entscheidet, welche Gemeinde nun mit welcher zusammengeht?

Das beschließt am Ende der einzelne Kirchenvorstand! Das ist zwar kompliziert. Aber ich bin stolz darauf, dass wir eine demokratisch verfasste Kirche sind. Gleichzeitig hat der Kirchenbezirk die Aufgabe, Vorschläge zu einer möglichen Ordnung in Regionen zu machen. Bei uns ist eine Aufteilung in die Regionen Riesa, Großenhain und Radeburg relativ unstrittig. Wir Gemeinden nördlich von Großenhain ordnen uns jetzt erst einmal neu für uns. In gut zehn Jahren werden wir sehen, ob wir darüber hinaus mit dem Kirchspiel Großenhain zusammengehen. Im Süden des Kirchenbezirks gibt es mehr Diskussionsbedarf. Aufgabe des Kirchenbezirks ist es zu schauen, wie es insgesamt funktionieren könnte – damit am Ende keine zu kleine Gemeinde ohne Partner übrig bleibt. Jedenfalls ist es nicht schlimm, wenn zwei Kirchgemeinden fusionieren oder enger kooperieren. Unsere Aufgabe ist es, die frohe Botschaft von Jesus Christus zu verkünden. Darauf kommt es an!

Das Gespräch führte Christoph Scharf.