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Eine Entschuldigung ist möglich

Der Deponie-Streit schwelt weiter. Warum der Stadtrat mit seiner Entschuldigung richtig liegt, begründet mit Michael Hannich einer der Initiatoren.

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Von Michael Hannich

Im Sommer dieses Jahres fasste der Stadtrat mehrheitlich folgenden Beschluss:

Sollen Görlitzer Bürger erst ein „Sorry“ an den Himmel schreiben, wie es vor Jahren Australier in Sydney taten, um sich bei den Aborigines für die Unterdrückung und das Leiden der Ureinwohner zu entschuldigen? Archivfoto: Delly Carr, AP
Sollen Görlitzer Bürger erst ein „Sorry“ an den Himmel schreiben, wie es vor Jahren Australier in Sydney taten, um sich bei den Aborigines für die Unterdrückung und das Leiden der Ureinwohner zu entschuldigen? Archivfoto: Delly Carr, AP

„1. Die Stadt Görlitz bittet um Entschuldigung für das Fehlverhalten bei den ehemaligen Aufsichtsräten der früheren Stadtreinigung Görlitz GmbH Klaus Keller, Hans-Ulrich Lehmann, Raphael Schmidt, postum bei Jörg-Peter Thoms und Stephan Lechner sowie dem ehemaligen Geschäftsführer Hartmut Gottschling und ihren Familien für das über Jahre erfahrene Leid und die finanziellen, materiellen Schäden sowie die erlittene Rufschädigung.

2. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht Anliegen der Petition von Herrn Gottschling ist, den zur Beendigung des Rechtsstreites geschlossenen Vergleich vom 23.10.2009 in Frage zu stellen bzw. aufzuheben.“

Nach der sächsischen Gemeindeordnung muss der Oberbürgermeister Beschlüssen des Stadtrates widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass sie rechtswidrig sind. Dabei reicht es aus, dass der Oberbürgermeister der Ansicht ist, dass der Beschluss rechtswidrig sei. Entscheidend ist also nicht die objektive Rechtswidrigkeit, sondern die subjektive Überzeugung des Oberbürgermeisters. Die Einschätzung des Oberbürgermeisters wird dann vom Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde geprüft.

Bei dieser Prüfung haben sowohl Oberbürgermeister als auch Rechtsaufsicht eine entscheidende und maßgebliche Voraussetzung zu beachten, auf die im Kommentar zur Gemeindeordnung verwiesen wird. Es heißt dort: „Gegenstand eines Widerspruchs können nur Beschlüsse sein, die überhaupt vollziehbar sind. Kein Widerspruch ist daher möglich gegen Beschlüsse, die des Vollzugs nicht fähig sind, also keiner rechtlichen oder tatsächlichen Verwirklichung nach außen bedürfen. … Nicht vollzugsbedürftig sind aber in aller Regel auch Meinungsäußerungen, Resolutionen oder dergleichen.“

Dies dürfte meiner Auffassung nach hier eindeutig zutreffen: Der Stadtratsbeschluss bedarf keiner „Verwirklichung nach außen“, also keiner Maßnahme mit Außenwirkung, wie beispielsweise die Ausfertigung und Bekanntmachung von Satzungen, Bebauungsplänen, dem Abschluss von Verträgen oder der Ausführung sonstiger Verwaltungshandlungen. Bei diesem Stadtratsbeschluss handelt sich eindeutig erkennbar lediglich um eine einseitige, nicht vollzugsfähige Meinungsäußerung, die allein schon deshalb nicht Gegenstand eines Widerspruchs sein kann.

Ungeachtet dessen scheint die Verwaltung anderer Auffassung zu sein. Nun gilt kurz und knapp: Rechtswidrig ist jeder Beschluss, der gegen Rechtsvorschriften verstößt. Gegen welche Rechtsvorschriften könnte denn ein solcher Beschluss verstoßen?

Angenommen, der Hinweis im Stadtratsbeschluss auf vermeintliche erlittene finanzielle und materielle Schäden der genannten Personen würde eine rechtliche Aussage enthalten, die zu einer rechtswidrigen Folge führen könnte, dann wäre diese rechtliche Folge zu benennen. Einzig und allein käme als angebliche rechtliche Folge ein Verstoß des Stadtrates gegen das Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in Verbindung mit der Vermögenserhaltungspflicht nach der Gemeindeordnung in Frage. Dies setzt aber voraus, dass die Bitte um Entschuldigung einem Schuldanerkenntnis gleichgesetzt wird, mit dem die Stadt Leistungen in Aussicht stellt, auf die kein rechtlicher Anspruch bestehen würde. Dies wird mit dem Hinweis in Nummer 2 des Beschlusses auf den zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Vergleich aber ausdrücklich ausgeschlossen.

Mit der Bitte um Entschuldigung gewährt die Stadt also weder Leistungen noch stellt sie Leistungen in Aussicht. Sie verstößt damit also weder gegen den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit noch gegen irgendeine andere Rechtsvorschrift.

Wohl aber besteht die Möglichkeit, dass einer der Betroffenen die Stadt zum Schadensersatz verklagt. Soweit bekannt, wird dies auch ohne Stadtratsbeschluss in Erwägung gezogen. Gegen die Weigerung der Stadt auf Akteneinsicht läuft meines Wissens eine rechtliche Klärung.

Abgesehen davon, dass also auch unabhängig von einem Stadtratsbeschluss eine Schadensersatzklage möglich ist, ist die Sichtweise der Verwaltung hier kritisch zu hinterfragen. In der öffentlichen Stadtratssitzung vom 26. Juli 2018 hob ein Stadtrat ausdrücklich hervor, dass den Betroffenen eine Möglichkeit eröffnet werden soll, um ihr Recht wahrzunehmen und in einem neuen Gerichtsverfahren ihre Unschuld zu beweisen. Bemerkenswert war für mich die Nachfrage seitens der Verwaltung, ob also mit dieser Beschlussvorlage den Betroffenen „etwa ein Tor geöffnet werden solle, sich vor Gericht Recht zu verschaffen“, was der befragte Stadtrat ausdrücklich bejahte.

Jemandem vor Gericht Recht zu verschaffen – was ist daran verwerflich? Es ist in meinen Augen eine höchst verdienstvolle Tat und dürfte in einem Rechtsstaat – entgegen der Sichtweise der Verwaltung – kaum rechtswidrig sein.

Die Rechtsaufsichtsbehörde kann gemäß der Gemeindeordnung Beschlüsse und Anordnungen der Stadt, die das Gesetz verletzen, beanstanden und verlangen, dass sie von der Gemeinde binnen einer angemessenen Frist aufgehoben oder abgeändert werden.

Mit der denkbaren Aufforderung der Rechtsaufsicht den Stadtratsbeschluss aufzuheben, weil er dazu führen könnte, den Betroffenen Recht zu verschaffen, wird auf dem Verwaltungsweg eine mögliche korrigierende Rechtsprechung durch die allein zuständige Justiz ausgehebelt.

Ob der ehemalige Geschäftsführer oder einer der ehemaligen Aufsichtsräte den hier zur Debatte stehenden Stadtratsbeschluss und ein damit verbundenes vermeintliches Schuldeingeständnis zum Anlass einer Klage gegen die Stadt nimmt, kann und darf – nach meinem Rechtsverständnis – in einem demokratischen Staat, für den das Prinzip der Gewaltenteilung grundlegend ist, nicht auf dem Verwaltungsweg ausgehebelt werden.

Die Entscheidung, ob eine Klage zulässig und zur rechtlichen Prüfung angenommen wird oder nicht, entscheidet eine Richterin oder ein Richter und nicht ein Oberbürgermeister oder Landrat.

Sollte – und mit dieser Möglichkeit ist in einem Rechtsstaat immer zu rechnen – also der ehemalige Geschäftsführer oder einer der ehemaligen Aufsichtsräte den Stadtratsbeschluss zum Anlass einer Klage gegen die Stadt nehmen und – auch damit ist in einem Rechtsstaat zu rechnen –, sollte ein Gericht die Klage annehmen und mehr noch, sollte ein Gericht die Stadt zum Schadensersatz verurteilen, bleibt auch der Stadt der Rechtsweg einer weiteren gerichtlichen Überprüfung offen, bevor Rechtskräftigkeit eintritt.

Befürchten die Verwaltung und die Rechtsaufsicht etwa eine korrigierende richterliche Entscheidung? Eine solche Befürchtung läge einem tatsächlichen Schuldeingeständnis seitens der Verwaltung übrigens recht nahe.