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Ein Zopf als Mitbringsel

Lothar Heil ist ein Dresdner Turn-Urgestein. Zu seinem 90. Geburtstag erinnert er sich an eine turbulente China-Reise.

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Von Michaela Widder

Mit einem einarmigen Handstand wird er seine Gäste heute wohl nicht mehr beeindrucken. Fit ist Lothar Heil trotzdem. An diesem Donnerstag feiert der sechsfache DDR-Turnmeister in Dresden seinen 90. Geburtstag und wird wie jeden Morgen die vier Etagen zum Briefkasten hinunter gehen, um nach der neuesten Werbung zu schauen. „Die Bewegung hält mich ganz fit. Einmal in der Woche gehe ich in die Sauna. Dazu erledige ich noch kleine Einkäufe und besorge Medizin für meine Frau“, sagt Heil, der in den 1950er-Jahren zu den besten deutschen Turnern gehörte.

1952 gewann er die Meisterschaft im Pferdsprung.
1952 gewann er die Meisterschaft im Pferdsprung. © privat
Lothar Heil DDR-Mehrkampf-Meister aus Dresden
Lothar Heil DDR-Mehrkampf-Meister aus Dresden © privat

Damals im kriegszerstörten Dresden begann der gelernte Werkzeugmacher mit seinem späteren Lieblingssport. „Es war schon ein Stück Überwindung, weil damals noch harte körperliche Arbeit den Alltag bestimmte. Aber wir hatten den Zweiten Weltkrieg und die schrecklichen Bomben-Angriffe überstanden und wollten so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren. Für mich bedeutete dies das Turnen“, hat Heil schon früher mal erzählt. Die Halle im Stadtteil Mickten konnte nicht geheizt werden. Der Strom fiel häufig aus. Doch das war dem drahtigen Burschen egal. „Beim Turnen fand ich mein Glück. Dort lernte ich auch meine Frau Edith kennen“, sagt Heil, der seit 69 Jahren verheiratet ist. Sein erster Erfolg war die Berufung in die Sachsen-Riege für die Weltfestspiele 1951 in Berlin. Nur wenige Monate später turnte er bereits in der noch jungen Auswahl. Als erster Dresdner wurde er 1955 in Magdeburg DDR-Meister im Mehrkampf.

Als die DDR 1958 das erste Mal an einer WM teilnehmen konnte, hatte Heil seine Laufbahn beendet. Seine Höhepunkte waren Länderkämpfe gegen die Sowjetunion, Tschechoslowakei und Ungarn, und dann gibt es diese eine Reise, von der er erzählt, als sei sie gestern zu Ende gegangen. Für sechs Wochen flog Heil 1955 mit der Nationalmannschaft zum Schauturnen nach China. „Schon der Flug dauerte mit der Iljuschin rund vier Tage, weil die Maschine ständig aufgetankt werden musste“, erinnert er sich an den Mammut-Trip. Vor mehr als 30 000 Zuschauern turnte die Mannschaft in mehreren Großstädten und nahm an der Sportparade in Peking teil.

Unvergessen bleibt ein Treffen auf dem Platz des Himmlischen Friedens sowie ein Bankett, zu dem sie der langjährige Staatschef und Gründer der Volksrepublik, Mao Tse-tung, empfangen hatte. „Noch mehr beeindruckte mich eine chinesische Betreuerin, die sich ihren langen schwarzen Zopf komplett abschnitt und mir als Andenken schenkte“, sagte Heil. Das besondere Mitbringsel kam allerdings weniger gut an. „Meine Frau war natürlich nicht begeistert, weil sie ja als Nationalkader eventuell mitgeflogen wäre, aber schwanger zu Hause blieb.“ Beim Turn- und Sportfest 1956 in Leipzig wurde der Medaillensammler selbst zum Objekt für die Plaketten – mit seinem einarmigen Handstand.

Auch nach der Karriere blieb er dem Turnen verbunden. Heil arbeitete mehr als zehn Jahre als Coach im Dresdner Trainingszentrum, wo auch der spätere Weltmeister Ralf-Peter Hemmann durch seine Hände ging. Der Sport hat einen Platz in seinem Leben, seit er denken kann. Schon als Achtjähriger war er mit seinem Vater bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin an der Ruderregattastrecke dabei.

Die Zuschauerrolle gefällt dem Rentner noch immer. Heil ist Fan der Dresdner Volleyball-Frauen und verpasst mit seinem Schwiegersohn Frank kein Heimspiel. Er hatte sogar damit geliebäugelt, zum Pokalfinale zu fahren. Doch die Anreise nach Mannheim war ihm zu weit. Was er sich dagegen gern gönnt, ist eine entspannte Fahrt mit der Straßenbahn durch sein geliebtes Dresden.