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Ein Wohnzimmer für danach

Elke und Gunter Jork pflegen als Paten ein Grabmal, das später ihr eigenes werden soll. Ein beruhigender Gedanke.

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© Henry Berndt

Von Henry Berndt

Fast könnte man sich wie im Wohnzimmer auf dem Sofa fühlen. Wenn das Sofa nur nicht so hart wäre. Und das Wohnzimmer auf einem Friedhof läge. Einziehen möchten Elke und Gunter Jork hier auch erst, wenn sie in vielen Jahren selbst gestorben sind. Bis dahin bleibt das hier das Grab einer Familie, die das Paar nie kannte.

Die Jorks sind Grabpaten. Vor zwei Jahren haben sie die Patenschaft für eine der Grabanlagen auf dem Johannisfriedhof in Tolkewitz übernommen, obwohl sie in Leubnitz-Neuostra wohnen. „Wir sind oft hier über den Friedhof gelaufen und haben uns gewünscht, dass wir etwas tun können“, sagt Gunter Jork. An vielen verwilderten oder gar verfallenen Gräbern stehen die gelben Schilder: „Grabpaten gesucht!“

Das Paar wählte sich ein Grab an der Außenmauer zur Wehlener Straße aus. Ein massiver Bau aus Lausitzer Granit mit Rückwand und einer halbrunden Sitzbank davor. In die Wand ist eine Nische aus Bronze eingelassen, die mit einem nackten Mädchen mit Laute, einem nackten Knaben mit Horn sowie Weinreben und Muscheln verziert ist. „Typischer Jugendstil eben“, sagt Elke Jork. „Es sollte nicht zu verschnörkelt sein, aber trotzdem hübsch.“ Vor allem die Abgeschlossenheit der Anlage gefiel den beiden. Zum Grabmal hinauf führen drei Stufen. „Oben kann man sich auf die Bank setzen und einen Moment verweilen.“

Auf der Rückwand des Grabes sind in schwarzer Schrift die Namen derjenigen zu lesen, die hier bereits ihre letzte Ruhe fanden: das Ehepaar Alfred und Sophie Mamczinski sowie deren Tochter Elisabeth. Von der Friedhofsverwaltung erfuhren die Paten, dass Alfred Mamczinski ein Tabakwarenfabrikant war, der nach dem Tod seiner Frau 1906 den Auftrag zum Bau des Grabmals erteilte. Entworfen wurde es von Bildhauer Ernst Hottenroth, der auch die Bronzenische modellierte. 14 Jahre später wurde auch Alfred Mamczinski hier beigesetzt, 1957 dann die Tochter. Ihre verwitterten Lebensdaten sind heute kaum noch auf dem Granit zu erkennen.

Noch vor wenigen Monaten drohte dem ganzen Grabmal der Verfall. Die Steinplatten lagen schief und krumm, die Seitenwände bröckelten. Die zwei Eiben, die 1906 links und rechts gepflanzt worden waren, mussten 2015 gefällt werden. Übrig blieben nur die Stümpfe und ihre mächtigen Wurzeln, die das Ensemble immer mehr aus der Form gebracht hatten.

Dann kamen Elke und Gunter Jork. Für mehr als 2 000 Euro ließen sie von Fachleuten die Granitblöcke an den Seiten neu setzen, die Platten geraderücken und die Baumstümpfe entfernen.

„Dafür ist das Grab aber jetzt sehr pflegeleicht“, sagt Gunter Jork. Im Frühjahr pflanzten sie Bergahorn und Sedum an die Stelle der Eiben. Wenn sie gerade in der Nähe sind, kehren sie mal ein bisschen über die Platten und wenn im Herbst die Stieleiche ihre Früchte und Blätter abwirft, dann schaffen sie auch die beiseite.

Doch es wird der Tag kommen, von dem an die beiden deutlich mehr Zeit an diesem stillen Ort verbringen werden. Zunächst sollen Gunter Jorks 96-jähriger Vater und seine 85-jährige Schwiegermutter einmal unter dem Grabmal ihre letzte Ruhe finden. In diesem Moment wird die Grabpatenschaft erlöschen und zum Nutzungsrecht werden. Später einmal sollen dann auch ihre eigenen Urnen hinzukommen. Innerhalb von 20 Jahren dürfen sie in den zwei Grüften bis zu sechs Urnen beisetzen. Die Namen der Verstorbenen werden neben die der Familie Mamczinski auf dem Stein verewigt und auch die drei Urnen der Mamczinskis werden in der Gruft bleiben, wie Beatrice Teichmann von der Friedhofsverwaltung bestätigt. Platz sei dort unten genug. „Außerdem ist es wichtig, weiterhin an die Erbauer zu erinnern“, sagt Teichmann. Dies werde immer ein Grabmal von 1906 bleiben und keins von 2018. Schon seit 15 Jahren werden in Tolkewitz Grabpatenschaften vergeben. 134 Grabpaten gibt es bislang. Über 1 000 herrenlose Gräber warten noch auf einen Retter.

Wenn Elke und Gunter Jork jetzt gemeinsam auf der Bank des Grabmals sitzen, das mal ihr eigenes sein wird, bringt ihnen dieser Gedanke schon jetzt eine gewisse Behaglichkeit. Sie sind jetzt Rentner. Er ist 69 Jahre alt, sie 64. Sie wollen noch möglichst viele Jahre gemeinsam das Leben genießen. Doch wenn es eines Tages zu Ende ist, dann sind sie besser vorbereitet, als die meisten anderen. „Es war ja nicht mal den Pharaonen vergönnt, vor ihrem Tod ihr eigenes Grab vor sich zu sehen“, sagt Gunter Jork. „Nachdem die Mutter meiner Frau mit uns auf der Rundbank gesessen hatte, war ihr die Erleichterung anzumerken, zu wissen, wohin die letzte Reise gehen wird.“

Die jetzigen Grabpaten beruhigt derweil vor allem, dass ihre beiden Söhne mal wenig Huddelei mit ihnen haben werden. „Unsere Nachfolger müssen nicht viel rumbuddeln“, sagt Gunter Jork. „Eine Rose hinstellen und gut is.“

www.grabpatenschaften-dresden.de