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Ein Waggonbauer wird 100

Werner Schulz aus Görlitz feiert an diesem Dienstag seinen runden Ehrentag – gut drei Jahre nach seinem einstigen Kollegen.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Wer in sein Zimmer kommt, mit dem ist Werner Schulz per Du. „Ist ja schön, dass Du da bist“, begrüßt er den SZ-Fotografen am gestrigen Montag im ASB-Seniorenzentrum am Grenzweg. Hier lebt er seit April 2015. Und hier feiert er heute seinen 100. Geburtstag – einen Tag, nachdem die Schwiegertochter 70 geworden ist.

Geboren wurde er am 13. November 1918 im schlesischen Haynau, dem heutigen Chojnów in der Nähe von Liegnitz (heute Legnica). Schon in jungen Jahren kam er nach Görlitz, lebte viele Jahre lang mit seiner Frau Ursula und den beiden Söhnen Horst und Klaus-Peter in der Goethestraße. Werner Schulz kann sich daran heute nicht mehr so gut erinnern, aber zumindest, wenn es um zwei Stationen seines Lebens geht, beginnen seine Augen zu leuchten: Seine Zeit beim Sportverein Motor Görlitz und seine Arbeit im Görlitzer Waggonbau. Dort war er Schlosser und später kaufmännischer Angestellter. Und offenbar nicht der Einzige mit guten Genen: Sein einstiger Kollege Herbert Nickgen konnte schon 2015 seinen 100. Geburtstag feiern und ist heute, mit 103 Jahren, der älteste Mann in Görlitz. Werner Schulz könnte eventuell sogar der zweitälteste Mann sein – jedenfalls sind der SZ keine weiteren Görlitzer Männer über 100 bekannt.

Je nach Tagesform kann Werner Schulz bis heute noch manchmal richtig gut drauf sein. Das Reden überlässt er jetzt aber lieber anderen. Sein früherer Nachbar Klaus Lehmann, der ihn oft im Heim besucht, erzählt, dass er noch bis 2015 oft rausgegangen sei – da war er immerhin 96 Jahre alt. Damals hat Lehmann oft für seinen betagten Nachbarn gekocht. Er habe alles gern gegessen. „Der Werner war ein guter Mensch, da kann man nicht meckern“, sagt Lehmann. Die Männer haben öfter mal einen Schnaps zusammen getrunken. Geraucht habe Werner Schulz hingegen nie.

Auch ein echter Kavalier der alten Schule sei er gewesen. Frauen hat er stets die Tür aufgehalten. „Er ist immer sehr zuvorkommend und freundlich“, sagt auch Matthias Elsner, der sich als Teamleiter um die stationäre Pflege kümmert. Tugenden wie Ordnung, Korrektheit, Pünktlichkeit und Sauberkeit habe der Julilar immer geschätzt. Und obwohl er recht still ist, nehme er an Aktivitäten im Heim noch immer teil, sogar beim gemeinsamen Singen ist er manchmal dabei. Auch Rätseln gehört bis heute zu seinen liebsten Beschäftigungen.

Sportliche Betätigung hingegen ist inzwischen nicht mehr möglich, denn Werner Schulz sitzt im Rollstuhl. Früher war ihm der Fußball sehr wichtig. Selbst aktiv spielen konnte er wegen einer Beinverkürzung zwar nicht, stattdessen war er aber jahrzehntelang Betreuer und Mannschaftsleiter bei Motor Görlitz. Rainer Menzel, der die Görlitzer Fußballgeschichte aufgearbeitet hat, schreibt in seinem Buch „Tooore für Görlitz. Gelb-Weiß Görlitz 100 Jahre Fußball.“ aus dem Jahr 2009 unter anderem Folgendes: „Das Führen der Statistik und das Schreiben der Eigenberichte über die Spiele der Motor-Mannschaften waren sein großes Hobby. Er war dabei, immer am rechten Bildrand stehend mit seinem legendären Hut, wenn die Mannschaft Titel und Pokale in Empfang nahm, denn ohne Werner Schulz, dem wandelnden Lexikon von Motor Görlitz, wäre die Mannschaft nicht vollzählig gewesen.“ Vor der Veröffentlichung hat Menzel den damals 90-Jährigen besucht. Er erinnert sich an einen Mann, der noch im hohen Alter die Fußballergebnisse verfolgt hat: „Sein Herz hing an der Motor-Mannschaft, die in den 1950er Jahren eine der wichtigsten Mannschaften in der Region war.“ Das sei auch die große Zeit von Werner Schulz gewesen.

Heute zehrt er von seinen Erinnerungen. Seine Ursula starb im Jahr 2000, die beiden Söhne zogen nach Berlin, wo sie inzwischen selbst Rentner sind. Auch die drei Enkel und der erste Urenkel wohnen nicht in Görlitz. Zu seinem Geburtstag aber wird die Familie ihn heute besuchen kommen. Und ganz sicher werden der Waggonbau und der Fußball in den Gesprächen eine gebührende Rolle spielen.