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Ein Versprechen an Käthe Kollwitz

Beate Naumann ist eine der Letzten, die die große Malerin noch persönlich kannten. Als Kind gab sie ihr einen Schwur ab.

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© Kristin Richter

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Lampertswalde/Moritzburg. Immer donnerstags durfte Beate Naumann als kleines Mädchen mit ihrem Großvater Martin Pausche nach Moritzburg fahren. Der Pferdezüchter war in den 1940er Jahren mit Prinz Ernst Heinrich von Sachsen befreundet. Martin Pausche und Enkelin Beate tranken aber nicht nur im Schloss Tee, sondern besuchten an diesem Tag auch manchmal die seit 20. Juli 1944 im Rüdenhof wohnende Malerin Käthe Kollwitz. „Die Frau war 76, als sie wegen der Bombengefahr in Berlin von Nordhausen nach Moritzburg kam“, erinnert sich Naumann. Ihr erster Eindruck als damaliges kleines Mädchen: „Das ist ja eine Oma!“ Prinz Ernst Heinrich hatte sich laut Beate Naumann um die Künstlerin beworben, um Bilder restaurieren zu lassen. Doch dazu sei es dann nicht mehr gekommen.

Im November 1944, nach der Kirmes, besuchten Beate Naumann und ihr Opa die Kollwitz ein weiteres Mal. „Das Zimmer war eiskalt, die alte Frau war wie wirr und weinte bitterlich“, erinnert sich die Lampertswalderin. Es muss Totensonntag gewesen sein. Käthe Kollwitz, deren Mann Karl 1940 gestorben war – im Geburtsjahr von Beate Naumann – weinte an diesem Tag auch um ihren jüngeren Sohn Peter. Der war als Kriegsfreiwilliger in den Ersten Weltkrieg gezogen und schon 1914 in Flandern gefallen. Offenbar war es der Kollwitz nie möglich gewesen, das Soldatengrab in Roggevelde zu besuchen. In ihrer kindlichen Zuneigung, und um die alte Frau zu trösten, versprach Beate Naumann, sie würde an die deutsch-belgische Grenze fahren, wenn sie groß ist, und Blumen auf dem Grab niederlegen. Dabei streichelte sie sie. Das kleine Mädchen ahnte damals noch nicht, welchen Schwur sie einer bekannten Künstlerin damit gegeben hatte.

Wie findet man ein Soldatengrab?

Was Du versprochen hast, musst Du halten, hatte Beate Naumann gelernt. Doch all die Jahre in der DDR war es der Lampertswalderin unmöglich, das Versprechen einzulösen. „Oft erinnerte ich mich, wie mich die Kollwitz gelehrt hatte, mit Kohle auf Pappe zu zeichnen“, sagt Naumann, die als Erzieherin arbeitete. Auch später hat sie selbst weiter gemalt. Doch der Schwur mit dem Grab ging ihr nicht aus dem Kopf.

Erst mit der Wende 1990 war die Möglichkeit gekommen, das Versprechen einzulösen. Doch die Frage war damals: Wo findet man die Kriegsgräber? Das Internet gab es noch nicht, Datenbanken auch kaum. Bei einer Reise mit der CDU erhielten Beate Naumann und ihr Mann Werner die Chance, auch den deutschen Soldatenfriedhof Vladslo/Roggevelde im westlichen Flandern zu besichtigen. Er liegt in einem Wäldchen, 20 Kilometer von der Ortschaft Ostende entfernt. Mehr als tausend Massengräber sind in so eindringlicher Form in langen Reihen angeordnet. Circa 20 Namen stehen jeweils auf den Grabplatten. Ein kundiger Führer zeigte den Naumanns die Stelle des Musketiers Peter Kollwitz, gefallen mit 18 Jahren am 24. Oktober 1914. Allein hätten es die Naumanns wohl nicht gefunden.

Die Standbilder „Trauerndes Elternpaar“ von Käthe Kollwitz aber haben sie gesehen. „Eine Gelegenheit, Blumen zu kaufen, gab es nicht“, erinnert sich die Lampertswalderin. Wie gut, dass sie Steinesammler ist. Einen Kiesel aus Sachsen hatte sie sicherheitshalber mitgenommen – etwas, das nicht verwelken kann. „Als ich am Grab stand, kam mir die Situation damals mit der Käthe Kollwitz wieder in den Sinn“, erinnert sich Naumann. Die Sonne glänzte auf den Stein. Es wurde ihr leicht ums Herz. Die viele Jahre innerlich getragene Bürde war abgelegt. Ihr Gemüt beruhigte sich wieder.

Die Beerdigung von Käthe Kollwitz im April 1945 hat Naumann allerdings nicht miterlebt. „Ich weiß nur noch, dass sie nach Weihnachten damals schlimm krank war und mit unserem Suppenmehl versorgt wurde“, so die 77-Jährige. Mehl, Gries und Haferflocken habe ihr Großvater vom Hof in Rödern nach Moritzburg gebracht – auch für Prinz Ernst Heinrich, der keine Lebensmittelkarte hatte. „Mein Opa bekam die Todesnachricht der Kollwitz vom Schmied“, so Beate Naumann. Zu der Zeit waren fast alle Moritzburger schon vor der nahenden Roten Armee geflüchtet. Die Lampertswalderin kennt nur wenige Namen von Menschen aus dem Umfeld der Kollwitz in Moritzburg, die noch leben könnten. Sie ist deshalb erfreut, dass das Museum nun eine Ausstellung zu dieser Zeit plant. Vielleicht gibt es noch Spuren ...

Ausstellung im Rüdenhof

Der Rüdenhof Moritzburg bereitet für den 13. August (bis 5. November) eine Sonderausstellung zu Käthe Kollwitz und Prinz Ernst Heinrich von Sachsen vor. Eröffnung am 13. August: 11 Uhr. Kuratorin ist Margitta Hensel vom Schloss Moritzburg.

Die Ausstellung beleuchtet den Kontakt des sächsischen Prinzen zur betagten Künstlerin, die er nach Moritzburg eingeladen hatte. Auch Zeitzeugen wie Beate Naumann sollen mit ihren Erinnerungen in der Schau zu Wort kommen.

Im Rüdenhof hatte die Malerin Käthe Kollwitz das letzte Dreivierteljahr ihres Lebens, von 1944 bis 1945, gewohnt. Nun ist das Käthe-Kollwitz-Haus in der Meißner Straße 7 ein Museum.

www.kollwittz-moritzburg.de, www.schloss-moritzburg.de