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Ein unkalkulierbares Risiko

Nino K. deponierte nicht nur Bomben und brennbare Flüssigkeiten, sondern auch Rohrreiniger vor der Moschee in Dresden.

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© dpa

Von Karin Schlottmann

Einen Sprengsatz dieser Bauart, sagt der Sachverständige, habe er noch nie gesehen. In seiner 30-jährigen Tätigkeit sei ihm diese Zusammenstellung aus Benzin, Diesel, Brennspiritus, Petroleum, Gas und Rohrreiniger bisher nicht begegnet. Vor allem der Einsatz von Rohrreiniger sei für die Polizei neu, sagt Thomas Redmer, Brand-Sachverständiger beim Landeskriminalamt, am Dienstag vor dem Landgericht Dresden.

Nino K. ist wegen versuchten Mordes angeklagt.
Nino K. ist wegen versuchten Mordes angeklagt. © Ronald Bonß

Auf mehrere Flaschen verteilt soll der Angeklagte im September 2016 die Flüssigkeiten vor der Wohnungstür eines Imams in Dresden abgestellt haben, heißt es in der Anklage der Generalstaatsanwaltschaft. In einem Plastikeimer sollen sich auch drei selbstgebaute Rohrbomben befunden haben. Durch die Explosion eines Sprengsatzes wurden aber nicht alle der dort deponierten Flaschen zerstört. Bei dem Anschlag, der wenige Tage vor der zentralen Einheitsfeier am 3. Oktober mit zahlreichen prominenten Politikern und Tausenden Besuchern für großes Aufsehen gesorgt hatte, wurde niemand verletzt. Der Imam, seine Frau und die beiden Söhne kamen mit großem Schrecken davon.

Die Anklagebehörde hat die Tat als versuchten Mord und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion angeklagt. Auf einem Video, dass ein weiterer Gutachter am Dienstag vorführte, ist bei der Nachstellung einer Bombenexplosion die Wirkung gut zu sehen und zu hören. Mit einem lauten Knall und einer hohen Stichflamme fliegt der sogenannte Blitz-Knall-Satz in die Luft. Der Rest der Flüssigkeit brennt auf dem Boden weiter.

Am Tatort in Dresden hinterließ die Explosion vor fast zwei Jahren eine dicke Rußspur an der Hauswand. Durch die verzogene Haustür war auch Ruß in den Wohnungsflur gedrungen. Die Fenster blieben heil. Erste Löschversuche eines Anwohners waren erfolglos.

Die Bombenentschärfer des Bundeskriminalamtes, die die Rohrbombe im Auftrag des Landgerichts nachgebaut hatten, trugen bei ihrem riskanten Experiment sogar spezielle Ganzkörper-Schutzanzüge. Drei Kartuschen soll der Angeklagte in den Abendstunden des 26. September 2016 vor der Wohnungstür in den kleinen Eimer vor der Tür abgelegt und mit einem Zeitzünder zur Explosion gebracht haben. Aber nur eine davon entfaltete ihre Wirkung. Nino K., der seit der Festnahme in Untersuchungshaft sitzt, hat später angegeben, er habe zwei Sprengsätze bewusst entschärft. Entfernt hat er sie aber offenbar nicht. Bei einem davon habe es sich lediglich um eine leere Dose gehandelt, schrieb er erst vor einigen Tagen an den Vorsitzenden Richter. Sein Tatmotiv: Er habe ein Fanal setzen, aber niemanden töten wollen. Die Staatsanwaltschaft geht von Ausländerhass aus.

Auch wenn niemand zu Schaden gekommen ist, sei die Tat nicht ungefährlich gewesen, erläutert der Rechtsmediziner, der am Dienstag als dritter Gutachter gehört wurde. Wäre jemand im Moment der Explosion vor die Tür getreten, hätte er sich schwere Brandverletzungen zuziehen können. Umherfliegende Splitter hätten ebenfalls in den Körper eindringen und lebensgefährliche Folgen haben können, sagte Professor Markus Rothschild vom Rechtsmedizinischen Institut in Köln. Ein lebensbedrohliches Risiko für Anwohner und Helfer stellte nach seinen Angaben aber auch der Rohrreiniger dar. Das Granulat könne, wenn es eingeatmet werde, Teile der Lunge auflösen oder Lungenblutungen auslösen. Der Staub halte sich allerdings nur kurze Zeit in der Luft, sagte Rothschild.

Nach Aussage der Sachverständigen habe der angeklagte Kühlanlagenmonteur, anders als von ihm beabsichtigt, die Wirkung seiner Tat überhaupt nicht einschätzen können. Weder habe er die Zahl oder die Flugrichtung der Splitter, noch die Explosionswirkung der Bomben berechnen können. Da es sich nicht um industriell gefertigten Sprengstoff gehandelt habe, hätten Probeexplosionen nichts geändert. Auch der Vorsitzende Richter Herbert Pröls geht von einer hochgefährlichen Lage am Tatort aus. Das Risiko sei vollkommen unkalkulierbar, sagte er. Es sei weder vorhersehbar gewesen, ob die Sprengsätze explodieren, noch was sie anrichten würden.