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Ein neues Fliegengewicht

Shorttrack in Dresden ist eng mit Anna Seidel verbunden. Wer könnte mal die Nachfolge der zweimaligen Olympiastarterin antreten? Marie-Luise Hartmann ist ein großes Talent.

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© kairospress

Von Michaela Widder

Ein Zwölf-Stunden-Tag ist für Marie-Luise Hartmann keine Seltenheit. Am Donnerstag beginnt das Training 6.30 Uhr in der Eishalle, 5.30 Uhr steht sie dann auf. Einmal Training vor der Schule, ein zweites Mal am Nachmittag. Dazwischen müssen noch die Schlittschuhe geschliffen werden, das dauert auch 20 Minuten. Vor 18.30 Uhr ist die Shorttrackerin nicht zu Hause. „Man gewöhnt sich daran“, sagt die 14-Jährige.

Der Stunden- und Trainingsplan ist fast so vollgepackt wie bei einem Profi. Dabei besucht die Dresdnerin gerade mal die achte Klasse am Sportgymnasium. Das Pensum mit elf, zwölf Einheiten in der Woche sei nicht ungewöhnlich in ihrer Sportart, wie ihr Trainer erklärt. „Ab der Altersklasse zehn unterscheidet sich das vom Umfang her kaum vom Erwachsentraining“, sagt Peter Geissler: „So nebenbei ist das aber nicht zu schaffen.“ An Ehrgeiz mangelt es seiner jungen Athletin nicht. „Olympia ist das Ziel eines jeden Sportlers“, sagt sie.

Shorttrack in Dresden ist eng mit dem Namen Anna Seidel verbunden. Als 15-Jährige schaffte sie es 2014 ins Olympiateam von Sotschi, vier Jahre später war sie auch in Pyeongchang dabei. Doch bei ihrer zweiten Teilnahme hatte sich die EM-Dritte mehr erhofft. Selbst wenn Marie-Luise Hartmann die ungarischen Brüder Sándor Liu Shaolin und Liu Shaoang als Idole hat, blickt sie auch zu Anna Seidel auf. Schon figürlich ähneln sie sich. Beide sind Fliegengewichte. 39 Kilo bringt das Talent bei 1,54 Metern auf die Waage. Auch die Streckenvorliebe ist gleich, sie sind beide keine Sprinterinnen. „Ich kann das Rennen gut beobachten. Dann überhole ich und habe am Ende noch genügend Kraft“, beschreibt Marie-Luise Hartmann ihre Stärken.

Keine Freizeitgruppe im Shorttrack

Am Wochenende beim Starclass, dem Junioren-Europacup, darf sie das erste Mal über 1 500 Meter an den Start gehen. Bisher gab es für ihre Altersklasse nur Rennen bis 1 000 Meter. Beim Aufeinandertreffen der besten Shorttracker aus Nordwesteuropa dürfte sie in ihrer Heimatstadt jedoch kaum Chancen auf eine vordere Platzierung haben, weil sie zu den Jüngsten im Startfeld zählt. „Für Marie-Luise geht es in diesem Jahr darum, internationale Erfahrung zu sammeln“, sagt Vater Marko.

2013 hatten die Hartmanns bei der Shorttrack-EM zugeschaut, als die Tochter ihren Wunsch ziemlich deutlich äußerte. „Den Sport will ich unbedingt machen.“ Andere Sportarten betreibt man erst mal als Hobby, vielleicht zwei, dreimal die Woche. Doch im Shorttrack beim Eislauf-Verein Dresden gibt es keine Freizeitgruppe, weil es an Eisfläche mangelt. Als Nachwuchsleistungssportlerin muss sie jedes Jahr bestimmte Normen erfüllen. Die Zeiten auf dem Eis sind kein Problem, doch bei der Athletik hat die Spätentwicklerin noch Nachteile. Vier Hundertstel fehlten ihr beim 60-Meter-Test in Kienbaum, um in den Kader aufgenommen zu werden.

„Marie-Luise ist sehr talentiert, muss sich den Erfolg aber erst erarbeiten“, sagt der Trainer. Der frühere Eisschnellläufer ist begeistert, wie „lern- und wissbegierig“ seine Athletin ist. Peter Geissler betreut zwölf Shorttracker im Alter von 14 bis 16. Jahrgänge, sagt er, die in Zukunft wieder Hoffnung auf Erfolge machen. „Nach Anna Seidel und Bianca Walter klafft eine Lücke im Juniorenbereich, ab 16 abwärts sieht es dann wieder sehr gut aus.“

Mit dem 56-jährigen Briten Stuart Horsepool ist seit Sommer ein neuer Bundestrainer in Dresden angestellt, der eng mit den Nachwuchstrainern zusammenarbeitet. Im Verein macht man sich zudem Gedanken, wie man weiter Talente gewinnt – und auch unterstützt. „Wir haben einen Kumpeltag, bei dem man Freunde zum Probetraining mitbringen kann. Und wir organisieren Ernährungsvorträge“, erklärt Abteilungsleiter Marko Hartmann.

Am ersten Februar-Wochenende 2019 findet der Weltcup in Dresden statt. Und vielleicht gibt es wieder junge begeisterte Zuschauer, wie damals seine Tochter.