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Ein Lichtblick im Alltag

Gabriele Lechleitner kocht und turnt mit Behinderten in Herrnhut. Die frühere Lehrerin ist dafür vom Freistaat geehrt worden.

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© Rafael Sampedro

Von Anja Beutler

Herrnhut. Wenn Gabriele Lechleitner durch Herrnhut geht, kann es passieren, dass sie auch mal spontan gedrückt wird. „Wenn ich einen der Erwachsenen mit Behinderung aus meinem Koch- oder Sportkurs treffe, dann freuen sie sich immer sehr“, erzählt die Frau mit dem rot schimmernden Kurzhaarschopf und lächelt. Seit acht Jahren gehört sie inzwischen für so manchen Bewohner in den Diakonie-Wohngruppen zur Familie. Gemeinsam kochen und essen, Sport und Spiel, dafür konnte sie über die Jahre so einige gewinnen. Immer zur gleichen Zeit und immer im wöchentlichen Wechsel.

Mit so viel Stetigkeit ist Gabriele Lechleitner bei der Herrnhuter Diakonie inzwischen sogar die dienstälteste Ehrenamtlerin im Team von Peter Tasche. Der Bereichsleiter für die Wohngruppen der Erwachsenen hat sie deshalb für eine besondere Ehrenamts-Feier bei der Staatsregierung in Dresden vorgeschlagen – und Erfolg gehabt, wie er stolz sagt. Frau Lechleitner war so eine von 55 Sachsen, die nach Dresden in den Plenarsaal eingeladen wurden. Eine sehr feierliche Veranstaltung mit Laudatio, Urkunde und gutem Essen habe sie erlebt, erzählt sie.

Gutes Essen ist auch für die Erwachsenen mit Handicap wichtig. Sechs Hobbyköche hat sie in ihrem Team. „Es sind ein Mann und fünf Frauen, alle so um die 50 Jahre“, sagt sie. In dieser Woche war Weihnachtsfeier beim Kochkurs angesagt: „Wir haben Kartoffelsalat und Würstchen gemacht“, erzählt sie. Einfache Gerichte kocht sie gemeinsam mit den Kursteilnehmern. „Und ich richte mich nach ihren Wünschen“, betont sie. Und was wird da gewünscht? „Nächstes Mal soll es überbackene Schnitten geben. Was immer gern gegessen wird, sind Nudeln“, resümiert sie.

Von Haus aus ist die 64-Jährige eigentlich Lehrerin. Mathe und Physik hat sie unterrichtet. Ganz am Anfang, nach ihrem Studium kam die Dresdenerin auf Wunsch der damaligen Politik an die alte Herrnhuter Schule. Später unterrichtete sie auch in Obercunnersdorf und zuletzt an der Oberschule Seifhennersdorf. Als sie aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten musste und dann in den Ruhestand ging, suchte sie etwas, wo sie sich engagieren kann. „Ich habe mich bei der Diakonie beworben – ohne einen konkreten Vorschlag“, erinnert sie sich. So ist sie dann zur Koch- und Sportleiterin geworden.

Wie sie mit den erwachsenen Behinderten am besten umgeht, das hat Gabriele Lechleitner einfach ausprobiert. „Beim ersten Kochkurs habe ich sie einen Nudelsalat machen lassen, danach konnte ich einschätzen, wer was gut kann“, erklärt sie die Strategie. Immer wieder mal habe sie neue Gesichter in den Kursen gesehen. Aber viele bleiben ihr auch treu und freuen sich, wenn sie nach ihrer Arbeit, die sich meist in geschützten Werkstätten abspielt, auch in der Freizeit noch ein bisschen mehr Struktur haben.

Eine Masse an Kochbüchern oder Sportanleitungen hat die Mutter von vier Kindern und sechsfache Großmutter allerdings seit 2009 nicht extra angeschafft. „Nein“, sagt sie mit einem Lachen, „ich koche ohnehin eher mit Gefühl statt nach genauen Angaben.“ Und komplizierte Dinge passen ohnehin nicht in die zwei Kursstunden. Dennoch gibt es im Jahresverlauf auch Gerichte, die in Großküchen eben nicht angeboten werden, wie Spargel oder auch Forelle. „Das größte Hindernis war da nicht das Kochen, sondern, dass man den Fisch beim Essen nicht wie ein Schnitzel schneiden kann“, erinnert sie sich. Auch beim Sport muss die Herrnhuterin Rücksicht auf die Einschränkungen ihrer zwölf Mitturner zwischen 20 und 63 Jahren nehmen. „Ich merke schnell, was ihnen gut tut – Lockerungsübungen für die Schultern zum Beispiel“, sagt sie. Auch Spiele, bei dem die Behinderten in Teams gegeneinander antreten, sind sehr beliebt.

Gelohnt hat sich aber auch für sie ganz persönlich ihr ehrenamtliches Engagement: „Über die Jahre habe ich gesehen, was die Menschen trotz ihrer Einschränkungen alles können“, gesteht sie. Und auch persönlich freut sie sich an der Herzlichkeit und der Dankbarkeit ihrer Mitstreiter, die sie selbst, aber auch ihr Mann immer wieder zu spüren bekommen. Als sie in diesem Jahr durch eine Erkrankung längere Zeit ausfiel, ist sie immer wieder gefragt worden, wann es denn endlich weitergeht. „Die neuen Kurstermine waren dann für mich auch ein persönliches Ziel“, teilt sie mit. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass sie auf die Frage, wie lange sie ihr Ehrenamt noch ausüben will, prompt antwortet. „Solange ich kann.“