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Ein Hauch Wildnis

Die Freitalerin Martina Orth hegt alte Heilkräuter. Sie nutzt auch Pflanzen, die andere als Unkraut bezeichnen würden.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Als Kind lief Martina Orth über Feldwege nach Pesterwitz. Ihre Großeltern mütterlicherseits wohnten im Dorfkern, sie selbst stamme aus Dresden-Leutewitz, erzählt die 62-Jährige auf ihrer Terrasse. Sie gießt einen Erfrischungstrunk aus Melisse, Minze, Zitrone, Ingwer und Wasser in Gläser. Auf dem Tisch steht eine Schale mit frischgebackenen Plätzchen. Sie schmecken leicht nach Lavendel. Die mediterrane Pflanze blüht im Vorgarten zwischen Salbei und Heil-Ziest.

Odermennig: „Odermennig stärkt Leber und Galle, ist stoffwechselanregend und harntreibend. Es hilft bei Problemen der oberen Atemwege und wenn die Stimme wegbleibt. Ich nutze den Blütenstand frisch oder getrocknet für Tee.“
Odermennig: „Odermennig stärkt Leber und Galle, ist stoffwechselanregend und harntreibend. Es hilft bei Problemen der oberen Atemwege und wenn die Stimme wegbleibt. Ich nutze den Blütenstand frisch oder getrocknet für Tee.“ © Karl-Ludwig Oberthür
Nachtkerze: „Kurz vor der Blüte ernte ich die Wurzel. Ich verwende sie roh oder gekocht. Sie gibt Kraft, gerade nach langwierigen Erkrankungen. Die jungen Blätter sind ein wohlschmeckendes Wildgemüse.“
Nachtkerze: „Kurz vor der Blüte ernte ich die Wurzel. Ich verwende sie roh oder gekocht. Sie gibt Kraft, gerade nach langwierigen Erkrankungen. Die jungen Blätter sind ein wohlschmeckendes Wildgemüse.“ © Karl-Ludwig Oberthür
Herzgespann: „Herzgespann ist herzstärkend. Das Heilkraut wirkt auch blutdruckausgleichend und cholesterinsenkend. Man verwendet das obere Blütendrittel. Ich gebe Herzgespann gern zur Vorbeugung in den täglichen Mischtee.“
Herzgespann: „Herzgespann ist herzstärkend. Das Heilkraut wirkt auch blutdruckausgleichend und cholesterinsenkend. Man verwendet das obere Blütendrittel. Ich gebe Herzgespann gern zur Vorbeugung in den täglichen Mischtee.“ © Karl-Ludwig Oberthür

Fast 25 Jahre lebt sie nun hier mit ihrem Mann in einem eigenen Haus in Pesterwitz. Die Birke neben dem Eingang entwickelte sich vom 20 Zentimeter kleinen Senker zum großen Baum. Über die Jahre entstand ein Wild- und Heilkräutergarten. „Den Grundstock haben wir aus unserem Dresdner Schrebergarten mitgebracht. Andere Pflanzen tauschten wir im Laufe der Jahre ein. Etliche samten sich wild bei uns aus“, sagt Martina Orth. „Eine Weisheit sagt: ‚Verkaufe deinen Mantel und kauf dir Ziest dafür!‘ Es ist eine wertvolle Heilpflanze. Schon die alten Römer, Griechen und Ägypter kannten sie“, verrät die 62-Jährige. Mit Ton- und Schieferscherben bedeckte Wege führen an den Beeten entlang. Dort haben Blumen, aber auch viele Kräuter wie Nachtkerze, Odermennig, Herzgespann, Echter Eibisch oder die Schwarze Edelraute ihren Platz. Martina Orth verwendet sie für den Eigenbedarf in der Küche, für das Wohlbefinden sowie die Hausapotheke.

Vor fünf Jahren hat Martina Orth eine Ausbildung in Phytotherapie, also Pflanzenheilkunde, am Naturzentrum Freital absolviert. Mit einer Prüfung schloss sie diese ab. „Anfängern würde ich empfehlen, sich zuerst mit den einfachsten Kräutern zu befassen, die uns täglich umgeben“, sagt sie. Wer keine Sachkenntnis hat, sollte Heilpflanzenprodukte in Apotheken, Drogerien oder Kräuterläden erwerben und sich beraten lassen. Wer Medikamente nehme und ernsthafte Erkrankungen hat, müsse sich mit seinem Arzt abstimmen.

Martina Orth sammelte schon als Kind Kräuter. Als sie zwölf war, bekam sie ihr erstes Kräuterbuch. „Ein Schulfreund hatte mir seins gezeigt. Das gefiel mir.“ In Pesterwitz tauscht sie sich heute gern mit Elisabeth Schmieder vom Kräuterhof Salvia aus. Dort hat sie auch schon oft Kurse zu Spezialthemen besucht.

Martina Orth gehört zu einem festen Kreis von Ärzten, Heilpraktikern und anderen Therapeuten, die sich mit alternativen Heilmethoden beschäftigen. In Workshops bietet sie Kräuterwanderungen an oder demonstriert die Anwendung ätherischer Öle. „Wichtig sind auch Bitterstoffe. Sie wurden aus unseren Nahrungsmitteln weitestgehend herausgezüchtet. Wir brauchen sie aber für den Stoffwechsel, die Gefäßgesundheit und das Wohlbefinden.“ Martina Orth zeigt das Mutterkraut, das bitter schmeckt. „Es wirkt besonders bei Migräne“, sagt sie.

Die Kräuterfrau hat am Vortag schon einen Brennnesselauszug angesetzt. Die meist als Unkraut gemiedene Pflanze wächst unterm Kirschbaum. Sie füllt das Wasser in die Gläser. Es sieht rosa aus. „Die Färbung ist auf den Eisengehalt der Pflanze zurückzuführen. Die Brennnessel hilft bei Erschöpfung und Blutarmut. Sie wirkt blutdruckausgleichend und blutreinigend.“ Im Frühjahr pflücke sie die Gänseblümchen und den Löwenzahn der Wiese für den Salat, verrät sie noch.

Martina Orth arbeitet schon viele Jahre bei einer Behörde. Ursprünglich hat sie Wirtschaftskauffrau gelernt und später ein Ingenieurstudium absolviert. Wenn sie im Ruhestand ist, will sie sich noch intensiver den Heil- und Wildkräutern widmen. Die Pesterwitzerin achtet auch auf einen gesunden Lebensstil mit genügend Bewegung. Sie ist zertifizierte Übungsleiterin.

Für sich hat sie auch das Weitstreckenwandern entdeckt: Ihre rund 100 Kilometer lange Tour nach Königstein war bisher die weiteste. Vier Uhr zog sie los. „Ich habe die Morgenstimmung genossen, die Bewegung des Elbwassers beobachtet, Pflanzen angesehen, auf einer Wiese in Königstein Rast gemacht und mich mit Spaziergängern unterhalten.“ Als sie auf dem Rückweg am Terrassenufer vorbeilief, sang Roland Kaiser gegenüber. Noch vor Mitternacht war sie zu Hause. Ihre Beine schmerzen nach den langen Wanderungen kaum. „Doch nach dieser Tour war ich geschafft und müde.“