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Ein Gemälde wird lebendig

Bannewitz ehrt Johann Joachim Winckelmann – an seiner Wirkungsstätte im Schloss.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Thomas Morgenroth

Bannewitz. Wir schreiben das Jahr 1768. Dreizehn ehrbare Männer in Kniestrümpfen, wadenlangen Hosen, Gehröcken und mit gepuderten Perücken auf dem Kopf haben sich in der Bibliothek des Schlosses Nöthnitz versammelt. In der Mitte steht Johann Joachim Winckelmann und tätschelt liebevoll eine weiße Büste. Es handelt sich um den lockigen Kopf des berühmten Apoll vom Belvedere, einer antiken römischen Marmorstatue, dessen Original in den vatikanischen Museen zu besichtigen ist.

„Ein himmlischer Geist erfüllt diese Figur“, sagt Winckelmann enthusiastisch und schwelgt in der Beschreibung der als vollkommen geltenden Bildhauerarbeit. Zu seinen Zuhörern gehören etwa der Dichter Gotthold Ephraim Lessing, der Hofmaler Canaletto, der päpstliche Botschafter Albericio Archinto, der Steuerrevisor und Publizist Gottlieb Wilhelm Rabener sowie der Gastgeber Heinrich Graf von Bünau und sein Bibliothekar Michael Francke.

Es ist eine Begegnung großer Geister ihrer Zeit, die es allerdings so nie gegeben hat. Die Szene ist der Fantasie des Historienmalers Theobald von Oer entsprungen, der 1874 das Ölgemälde „Winckelmann im Kreise der Gelehrten in der Nöthnitzer Bibliothek“ fertigstellte. Es handelte sich um ein Auftragswerk des Nöthnitzer Schlossherrn Rudolf Carl Freiherr von Finck, der damit dem Begründer der Klassischen Archäologie ein Denkmal setzen wollte.

Gedenkstube, Büste und Theater

Johann Joachim Winckelmann, geboren am 9. Dezember 1717 in Stendal, ermordet am 8. Juni 1768 in Triest, wird zwei Jahre lang gefeiert. Anlass ist sein 300. Geburtstag und sein 250. Todestag. Auch Bannewitz ehrt Winckelmann, der sechs Jahre lang in Nöthnitz wirkte.

Am Freitag eröffnet Bürgermeister Christoph Fröse im Bürgerhaus eine Gedenkstube mit einer Ausstellung der Oberschule und Entwürfen für eine 20-Euro-Gedenkmünze. Außerdem soll eine Büste von Winckelmann aufgestellt werden, die der Bildhauer Hans Effenberger angefertigt hat. Beginn des Festaktes, den der Musikverein musikalisch umrahmt, ist 18 Uhr.

Am Sonnabend lädt die Musik-, Tanz- und Kunstschule Bannewitz zu einer musikalisch-szenischen Zeitreise mit Barockkonzert und Bildnachstellung in den Festsaal des Schlosses Nöthnitz ein. Beginn ist 16 Uhr und 19.30 Uhr (ausverkauft), Eintritt 25, erm. 20 Euro, Restkarten gibt es in der Musikschule unter 0351 4046200.

11 Uhr: Vortrag zur 20-Euro-Silber-Gedenkmünze im Bürgerhaus.

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Aus Anlass des 300. Geburtstages Winckelmanns findet das fiktive Treffen jetzt tatsächlich statt: Am Sonnabend erwecken Einwohner der Gemeinde Bannewitz das Gemälde, das heute im Sitzungszimmer des Generaldirektors der Landesbibliothek in Dresden hängt, am Originalschauplatz zum Leben. Im Festsaal des Schlosses Nöthnitz werden allerdings nicht nur dreizehn, sondern sogar sechzehn aufwendig kostümierte Figuren auftreten, der Maler des Bildes ist mit dabei – und zwei Schokoladenmädchen lockern die Männerrunde auf.

Irmela Werner, die Leiterin der Musik-, Tanz- und Kunstschule Bannewitz, hatte die Idee zu der außergewöhnlichen Aktion. Sie fand auch sofort begeisterte Partner wie Gisela Donath, die nicht nur eine Schulfreundin Irmela Werners ist, sondern in Bannewitz über viele Jahre mit Schülern der Musikschule Musicals und Theaterstücke inszenierte. Sie führt bei der szenischen Bildnachstellung Regie. Das Buch dafür schrieb der Publizist Klaus-Werner Haupt, der 2014 ein Standardwerk über Winckelmann veröffentlicht hat. Und weil der Nöthnitzer Schlossherr Jan David Horsky selbst Musikschüler in Bannewitz war, ließ er sich nicht lange bitten, den Saal für das Ereignis zur Verfügung zu stellen.

Einige textliche Ergänzungen stammen von Gisela Donath und vor allem von Jürgen Voitel, der als Bibliothekarius Michael Francke der eigentliche Hauptdarsteller des Geschehens ist. Er nämlich brachte den Stein überhaupt ins Rollen: Winckelmann kündigte in einem Brief an Francke seinen Besuch in Nöthnitz für den April oder Mai 1768 an, bat aber um strikte Geheimhaltung seiner Reisepläne. Francke allerdings ließ das Schreiben in der Bibliothek liegen, wo es Heinrich von Bünau las und nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Gelehrten aus dem Dresdner Umland einzuladen.

Wahr an dieser Geschichte ist nur eines: Der Brief Winckelmanns an Francke, den hat er tatsächlich geschrieben, und zwar am 23. März 1768 in Rom. Jürgen Voitel fand ihn nach langer Recherche im Internet, auf einer Seite der größten New Yorker Bibliothek. Überhaupt hat sich der 68-jährige Ingenieur, der viele Jahre bei der Telekom in Dresden war, intensiv mit Francke und seinem Verhältnis zu Winckelmann befasst: „Das war eher distanziert. Von Freundschaft konnte keine Rede sein.“

Nöthnitz spielte für Winckelmanns Karriere eine entscheidende Rolle, er war dort ab 1748 einer von Bünaus Bibliothekaren und unterstützte ihn bei seinem Werk über die deutsche Kaiser- und Reichsgeschichte. Mit einem kursächsischen Stipendium ging Winckelmann schließlich nach Rom, 1763 ernannte ihn Papst Clemens XIII. zum Oberaufseher über die Altertümer des Kirchenstaates. Winckelmann schrieb Aufsätze und Bücher über das Altertum, seine Wirkung auf das europäische Geistesleben war immens.

Winckelmann ist nie wieder in Nöthnitz gewesen. Er startete zwar zu seiner Reise in den Norden, kehrte aber in Regensburg wegen schwerer Depressionen um. Eine schicksalsschwere Entscheidung: Am 8. Juni 1768 wurde Winckelmann in Triest Opfer eines Raubmordes. Am Sonnabend wird er in Nöthnitz noch einmal lebendig, allerdings anders gekleidet als auf Oers Gemälde. Winckelmann tritt so auf, wie ihn Anton von Maron in Rom kurz vor seinem Tod porträtierte: Im edlen Hausmantel und mit einem Turban auf dem Kopf. Der 26-jährige Bannewitzer Student Paul Richter wird als Winckelmann schließlich den Apoll vom Belvedere gar als „göttliches Haupt“ preisen.