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Ein ganzer Hain von Bäumen des Jahres

Im Klipphausener Ortsteil Miltitz stehen rund hundert große alte Esskastanien – nördlich der Alpen ist das einmalig.

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© Andreas Weihs

Von Udo Lemke

Elbland. Es gibt Dinge, die weiß selbst ein Baum-Professor wie Andreas Roloff nicht: Esskastanien, die drehwüchsig sind, sind immer linksdrehend. Allerdings sind Rosskastanien immer rechtsdrehend. Warum das so ist, ist nicht klar. Es habe sicher etwas mit der Genetik zu tun, sagt Andreas Roloff, der nicht nur den Lehrstuhl für Forstbotanik an der Technischen Universität Dresden innehat, sondern auch Direktor des Forstbotanischen Gartens Tharandt ist. Und von 2009 bis 2015 war er Vorsitzender des Kuratoriums Baum des Jahres, und auch heute noch ist er an der jährlichen Auswahl beteiligt.

Erst im vergangenen Jahr im Auftrag der Stadt Meißen gepflanzt wurden dagegen die Bäumchen in Korbitz. Stefan Weigt vom Sachsenforst betreut diese.
Erst im vergangenen Jahr im Auftrag der Stadt Meißen gepflanzt wurden dagegen die Bäumchen in Korbitz. Stefan Weigt vom Sachsenforst betreut diese. © SZ/Udo Lemke

Deshalb steht er jetzt an der Kirche in Miltitz. Denn hier gibt es nicht nur einen Baum des Jahres, sondern einen ganzen Esskastanien-Hain – den größten mit einem solch alten Bestand nördlich der Alpen. „Es sind knapp 100 große Bäume“, sagt der Professor. Sie dürften zwischen 300 und 350 Jahre alt sein, denn als 2009 einer der Bäume umgefallen war, wurden 299 Jahresringe gezählt, und das war nicht das größte Exemplar. Ähnlich vertrackt, wie das Problem der Stammdrehung ist die Frage, ob die Esskastanie ein Exot ist oder ein heimischer Baum. Darauf hat Andreas Roloff eine eindeutige Antwort.

„Alle Bäume, die vor 1492, dem Jahr, in dem Columbus Südamerika entdeckte und in der Folge unzählige Pflanzen nach Europa kamen, hier vorhanden waren, zählen als einheimische.“

Die Esskastanie wurde schon vor 2000 Jahren von den Römern über die Alpen gebracht und gilt deshalb als heimischer Baum. Das kann man von der normalen Kastanie nicht behaupten – die ist erst 1473 hierher gekommen. Paradox: Was als heimisch gilt, ist fremd und was als fremd gilt, ist heimisch.

Die Esskastanie (Castanea sativa) hört auch auf den Namen Edelkastanie oder Marone. Dieser Name ist von den Früchten abgeleitet. Im Hain von Miltitz liegen die braunen, stacheligen Fruchtbecher vom Vorjahr auf dem Boden, auch einige Kastanien sind zu finden. Und dann liegen unzählige gut zehn Zentimeter lange Kätzchen. An den Bäumen selbst sind sie ebenfalls noch zu sehen. In den Kätzchen sitzen die männlichen Blüten, an ihrem Grund die weiblichen, aus denen jetzt die neuen Früchte wachsen.

Die Blüten der Esskastanie sind eine ausgezeichnete Weide für Bienen und andere Insekten. Der Honig der Esskastanie ist „dunkel bernsteinfarben, hat einen sehr aromatischen, leicht herben Geschmack und ist überaus pollenreich“, heißt es im Faltblatt zum Baum des Jahres 2018. Dort ist auch zu lesen, dass es auf Sizilien eine aus mehreren Stämmen zusammengesetzte Esskastanie gegeben hat, die den sagenhaften Stammumfang von 60 Metern gehabt haben soll. Damit wäre es der dickste Baum, der jemals auf der Erde stand gewesen. Als er im Alter hohl geworden war, sollen angeblich 30 Pferde in ihm Platz gefunden haben.

Damit können die Bäume im Hain von Miltitz nicht mithalten. Andreas Roloff misst den Umfang des stärksten und kommt auf 3,53 Meter. Allerdings stehe in Radebeul-Zitzschewig ein Exemplar mit einem Stammumfang von 6,50 Metern – das ist die dickste Esskastanie im Landkreis Meißen.

Anders als vielen andern Baumarten kommt der wärmeliebenden Esskastanie der Klimawandel entgegen. „Allerdings kommen mit der Wärme auch die Krankheiten mit“, sagt Professor Roloff. So töte der Rindenkrebs, ein Pilz, in Südwestdeutschland viele Esskastanien.

„Der Zuckertransport aus der Krone zu den Wurzeln wird unterbrochen, sodass diese absterben.“ Was das Holz der Esskastanie betrifft, so ist es für den Laien nur schwer von dem der Eiche zu unterscheiden. Es wird auch wie diese für Vollholzmöbel verwandt.

Allerdings werde der Baum nur selten genutzt und kaum angebaut. Umso mehr freut sich Andreas Roloff, als er ein Foto von der in Korbitz neu angelegten Esskastanien-Schonung sieht. Und dann weiß er noch etwas, was nicht jeder weiß: „Es gibt allein zehn Kochbücher zur Esskastanie, so viele kenne ich zu keinem anderen Baum.“ Er schaut durch den Hain und sein Urteil steht fest: „Das ist eine dendrologische Kostbarkeit.“