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Ein Fingerschnipsen reicht nicht

Als trockene Alkoholikerin hilft Doreen Wünsche anderen auf dem Weg aus der Sucht. In Niesky gibt es ebenfalls Hilfe.

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© Joachim Rehle

Von Constanze Knappe

Landkreis. Wovon träumt man, wenn man jung ist und das Leben noch vor sich hat? Doreen Wünsche wollte Konditorin werden und dann in die Feinkostherstellung. Den Beruf eines Bäckers hat sie dafür gelernt. Doch was dann kam, machte all ihre Träume zunichte. „Sie zerplatzten wie eine Seifenblase“, sagt sie. Statt in die Höhen der süßen Kunst aufzusteigen, legte sie eine Karriere als Alkoholikerin hin. Doreen Wünsche erzählt das ohne Groll. Sie hat den Absprung geschafft. Nach 15 aufreibenden Jahren. Seit vier Jahren ist sie trocken. Und es klingt, als habe sie den Kampf gewonnen. Sie schüttelt den Kopf. So einfach sei es nicht. „Wer einmal alkohol-, drogen- oder medikamentenabhängig oder spielsüchtig ist, den begleitet die Krankheit ein Leben lang“, sagt sie. Man wisse ja nie, was morgen passiert und ob es einem nicht den Boden unter den Füßen wegzieht.

Ein Glas Rotwein fördert das Einschlafen, davon habe sie sich damals leiten lassen. „Mit 17 ist man eben dumm und naiv“, sagt Doreen Wünsche. Die Erkenntnis war schmerzhaft. Bei einem Glas „Einschlafhilfe“ am Abend war es nicht geblieben. Es wurden Liter – über den ganzen Tag verteilt. Im 3. Lehrjahr ging nichts mehr ohne Alkohol. Sie habe zwar selbst gemerkt, dass so viel trinken nicht normal ist, sagt sie. Aber wer will sich schon mit 19 eingestehen, dass er ein Alkoholproblem hat. Trotz des hohen Alkoholpegels erfasste sie alles „noch relativ gut“. Ein Zeichen dafür, dass sie bereits alkoholabhängig war. 2006 folgte die erste Entgiftung. Während der Therapie in Großschweidnitz hat es das erste Mal Klick gemacht. „Aber es reichte noch nicht zum Umdenken“, sagt Doreen Wünsche. Einer Entgiftung folgte die nächste – mit Trinkpausen von gerade mal zwei Wochen. Bis ihr 2009 der Arzt in Großschweidnitz sagte, dass sie in drei Monaten tot sei, wenn sie ihr Leben nicht ändert. Die Bauchspeicheldrüse hatte ihren Dienst eingestellt.

Die gebürtige Löbauerin zog ins Haus am Hain nach Weißwasser und blieb dort bis 2012. In der sozialtherapeutischen Wohnstätte lernte sie, dass das Leben auch dann noch Sinn hat, wenn es mit dem Traumberuf nicht geklappt hat. Der Umzug in eine eigene Wohnung wuchs ihr über den Kopf. Sie wurde erneut rückfällig. Bis sie 2014 merkte, „dass es so nicht mehr weitergehen kann.“ Seitdem rührt sie keinen Tropfen Alkohol mehr an – und ist stolz darauf.

Inzwischen hat Doreen Wünsche ihr Lachen wieder. Sie spricht öffentlich über ihre Alkoholsucht. Selbstverständlich ist das nicht. „Mit meiner Offenheit will ich zeigen, dass man den Alkoholismus nicht einfach mit einem Fingerschnipsen besiegen kann, aber dass es zu schaffen ist“, erklärt die 33-Jährige. Sie weiß, dass man hinfallen kann. Immer wieder. Trotzdem müsse man wieder aufstehen. Und dabei will die sympathische junge Frau anderen helfen. Im Frühjahr 2015 gründete sie mit einer Mitstreiterin eine Selbsthilfegruppe in Weißwasser. Die trifft sich alle zwei Wochen donnerstags. Bald darauf suchte sich Doreen Wünsche über die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen (Kiss) eine zusätzliche Aufgabe. Als Wegbegleiterin betreut sie ehrenamtlich vier alkoholabhängige Männer. Sie hilft ihnen aus der Einsamkeit und Isolierung und macht Mut, unter Menschen zu gehen.

Seit anderthalb Jahren sitzt Doreen Wünsche auch am Krisentelefon des Sozialen Netzwerks Lausitz. Jeweils 14 Tage im Wechsel mit zwei Männern hört sie von 18 bis 21 Uhr zu, wenn jemandem die Selbstbeherrschung zu entgleiten droht. Saufdruck, so nennt sie es. Das unbändige Verlangen nach Alkohol, welches sie in ihrer Vergangenheit selber nur allzu gut kannte. Es ist abends, an Wochenenden oder Feiertagen, wenn man alleine ist, am größten. Am Krisentelefon bekommen Betroffene Tipps, wie sie sich ablenken können, damit der Druck verschwindet. 30 Betroffene von Weißwasser bis Berlin meldeten sich bisher, meist über Whatsapp. Im Winter häufiger als im Sommer. „In der dunklen Jahreszeit fühlt man sich eher einsam“, weiß auch Doreen Wünsche. Was schon normalen Menschen zu schaffen macht, kann bei Alkoholikern im Fiasko enden, sagt sie.

Und, dass Alkoholismus längst ein gesellschaftliches Problem sei. Alkohol ist leicht zu beschaffen. Dem einen bringt er Erleichterung, dem anderen Beruhigung. Nicht selten trinken Jugendliche bei Jugendweihe oder Konfirmation das erste Mal. Betroffene gebe es in allen Altersgruppen und sozialen Schichten. Sie spricht von dem Vorurteil, dass Alkoholiker „total verschludert sind, stinken und irgendwo auf der Parkbank oder Straße herumliegen.“ Doch dem sei ganz und gar nicht so. Nur wenigen würde man ihre Alkoholsucht auf diese Art anmerken. Anderen sehe man gar nicht an, dass sie ein Alkoholproblem haben. Wenn jemand die Tragweite seiner Abhängigkeit nicht in den Kopf bekommen will, da fühle sie sich hilflos und traurig. „Solange die Einsicht nicht da ist, kann man nichts machen“, erklärt Doreen Wünsche. Es sei ein Vorteil, dass sie selbst so eine Karriere hinter sich hat. So wisse sie, was man in bestimmten Situationen am besten sagt oder was der Betreffende gar nicht hören will. Mittlerweile hat Doreen Wünsche wieder einen guten Draht zu ihren Eltern. Was Freunde angeht, da ist sie sehr vorsichtig geworden. Es waren früher die falschen Freunde. Für diese Einsicht hat sie selber Jahre gebraucht. Jetzt hilft sie mit, dass andere schneller dahinterkommen. Viele Stunden ihrer Freizeit investiert Doreen Wünsche in ihr Ehrenamt. Sie tut es gern. Auch, weil es sie darin bestätigt, selbst den richtigen Weg gewählt zu haben. Vor Kurzem schloss sie eine anderthalbjährige Ausbildung zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin ab. Gern würde sie sich in der Drogenberatung weiter qualifizieren – und am liebsten auch beruflich in der Suchtkrankenhilfe Fuß fassen.

Für ihren ehrenamtlichen Einsatz wurde Doreen Wünsche jetzt mit dem Selbsthilfepreis des Landkreises ausgezeichnet. Da hätten ihr ganz schön die Knie gezittert, sagt sie. Im vergangenen Jahr bekam diesen Preis Sigrid Wirth aus den Händen von Landrat Bernd Lange. Sie steht dem „Freundeskreis zur Abstinenz Niesky“ vor. Inzwischen suchen ihn so viele Menschen auf, dass sich der Freundeskreis in zwei Gruppen aufgeteilt hat: die Gruppe Becker und die Gruppe Wirth. Hilfe- und Ratsuchende aus dem Raum Niesky können sich über die Kontaktstelle in Weißwasser an den Freundeskreis wenden. (mit SZ/sg)