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Ein erzwungener Familienumzug

Doppel-Olympiasieger Karl Schulze aus Dresden muss nach Hamburg gehen. Der Ruderer kritisiert die Zentralisierung vehement.

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© Instagram/privat

Von Alexander Hiller

Karl Schulze kann seine respekteinflößenden Muskeln jetzt sinnvoll gebrauchen. Allerdings außerhalb seines Sportlerdaseins. Der Doppelolympiasieger von 2012 und 2016 im Rudern wird bei der derzeit laufenden Weltmeisterschaft in Bulgarien zuschauen – wie auch alle anderen Dresdner WM-Kandidaten.

Der 30-jährige Dresdner muss in den nächsten Tagen mit Sack, Pack und seiner kleinen Familie umziehen. Und ja, der Zwang ist nicht nur ein Wortspiel. Er muss wirklich. Weil er weiterhin als Ruderer erfolgreich sein will. Olympia in Tokio ist das letzte sportliche Ziel des blonden 1,90 Meter großen Modellathleten. Um das zu erreichen, muss er sich der Zentralisierung des Deutschen Ruder-Verbandes (DRV) unterwerfen, der damit auf die Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) reagiert hat.

Die besten Skuller des DRV, zu denen Schulze zählt, müssen folglich am Stützpunkt Hamburg/Ratzeburg ihre Residenzpflicht erfüllen, die Riemer in Dortmund. Bei den Frauen sind es die Stützpunkte Berlin und Potsdam. „Ja“, bestätigt Karl Schulze, „wir ziehen per 1. Oktober nach Hamburg um.“ In Glinde, knapp sieben Kilometer östlich der Stadtgrenze, hat Karl Schulze für seine Familie eine bezahlbare Drei-Zimmer-Wohnung gefunden. Eine Fernbeziehung mit Lebensgefährtin Marie-Christin Jonekeit zu führen, kam für Schulze nie infrage, auch, weil es seit einem Jahr die gemeinsame Tochter Leni Marie gibt.

„Die Zentralisierung sehe ich als absolute Frechheit an“, sagt Schulze. Wobei sich der Dresdner ohnehin örtlich verändern wollte, raus aus der Komfortzone, die er sich seit seinem Wechsel nach Berlin im Jahr 2014 in der Hauptstadt geschaffen, aber mittlerweile als lähmend empfunden hatte. Allerdings wollte Schulze in seine Heimat zurückkehren. Am Bundesstützpunkt Dresden trainierte er von 1998 bis 2014. Dort kennt der Ausnahmeathlet jeden Stein. An der Dresdner Elbe wollte Schulze unter Anleitung seines früheren Trainers Egbert Scheibe nach einem Jahr Pause vom Leistungssport für seinen Traum vom Olympiasieger-Triple schwitzen. „Es zog mich zurück zu meinen Wurzeln. Was mich früher erfolgreich gemacht hat, wollte ich noch einmal aufleben lassen“, erklärt Schulze.

Der Verband schob diesen Gedankenspielen einen Riegel vor. Keine Ausnahmen. Also Umzug nach Hamburg. „Hamburg bietet für mich nicht die optimalen Trainingsbedingungen, deshalb stand das für mich eigentlich gar nicht zur Wahl“, sagt Schulze. Der fügt sich nur widerwillig in das System ein. Weil es seiner Ansicht nach zu viele Lücken aufweist. Dass der DRV durch seine strikte Anweisung mit dem Schicksal ganzer Familien spielen könnte, wie im Fall des Sachsen, scheint keine Bedeutung zu haben. „Es ist ein Unterschied, wenn ein Athlet, der 20 Jahre alt ist und ungebunden, voller Eifer seinen Wohnort wechselt, oder ob eine Familie komplett aus einem funktionierenden Umfeld gerissen wird“, sagt Schulze.

Die neue Wohnung hat er mit seiner Partnerin selbst ausgesucht, obwohl der Olympiastützpunkt Hamburg mit einer Hamburger Wohnungsgenossenschaft kooperiert. „Für uns war nichts Passendes dabei. Die meisten Sportler, die es betrifft, sind junge Athleten, die in einer WG wohnen können oder in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Als Familie ist das schon was anderes. Das war eine Mammutaufgabe für uns“, schildert der Routinier vom Berliner RC.

Der verdient als für den Leistungssport freigestellter Bundespolizist seine Brötchen und wird zudem von wenigen regionalen Partnern unterstützt. Der Verdienst würde nicht für zwei Wohnungen reichen, weshalb Schulze eine zeitlich begrenzte räumliche Trennung von seiner Frau und Tochter von vornherein nicht in Betracht zog. Deshalb muss auch Lebensgefährtin Marie-Christin in Hamburg möglichst schnell Arbeit finden. Ob das in dem neuen sozialen Umfeld für die Storemanagerin von Runnerspoint reibungslos funktioniert, weiß niemand. „Auch meine Frau muss jetzt neu in Hamburg Fuß fassen“, sagt der Familienvater.

Der hat die für ihn so wichtige Entscheidung über die nähere sportliche Zukunft nur so getroffen, weil seine Partnerin ihn bestärkte. „Der Verband hat ganz klar kommuniziert, dass finanzielle Unterstützungen nicht möglich sind. Da gab es Härtefälle“, sagt Schulze und meint damit auch seinen Kumpel Tim Grohmann. Der 29-jährige Olympiasieger von London 2012, seit ein paar Wochen frischgebackener Papa, will nicht nach Hamburg ziehen und wird deshalb wohl seine Karriere beenden.