Merken

Ein Baustein für mehr Anerkennung

Behinderte können nun eine zertifizierte Berufsbildung durchlaufen. Die Harthaer Werkstatt nimmt am Pilotprojekt teil.

Teilen
Folgen
© André Braun

Von Verena Toth

Hartha. Wie verbindet man die beiden Holzteile so, dass sie einen stabilen Korpus bilden? Für Christin Flohr ist es eine knifflige Angelegenheit. Die 29-jährige Waldheimerin muss nun das anwenden, was sie kurz zuvor in der Theorie gehört und kennengelernt hat. Für Dieter Lindner ist das im Gegensatz zu seiner Kollegin nichts Neues. Er hat Mitte der 80-er-Jahre den Beruf des Tischlers bereits gelernt. Auch Ines Stemmler hatte ihre berufliche Laufbahn vor 20 Jahren mal in einer Tischlerei begonnen. Sie alle sind neue Mitarbeiter in der Werkstatt für Behinderte der Diakonie Roßwein-Hartha. Dort durchlaufen sie eine Fachausbildung, die speziell für Mitarbeiter mit Handicap entwickelt wurde.

Nach einer Orientierungsphase, in der jeder neue behinderte Mitarbeiter alle Bereiche der Werkstatt kennenlernt, kann er entscheiden, in welchem Berufsbildungsbereich er seine zweijährige Ausbildungszeit absolvieren möchte. Zur Auswahl stehen beispielsweise die Tischlerei, die Zimmerei, die Wäscherei, der Gartenbau, der Metallbau oder die Elektromontage.

Einen Tag in der Woche tauschen Christin Flohr und ihre drei Mitstreiter nun den regulären Werkstattbetrieb mit einem Klassenzimmer und der Lehrwerkstatt. Sie und ihre Kollegen sind die ersten Mitarbeiter in den Harthaer und Roßweiner Werkstätten, die ein Berufsbildungs-Pilotprojekt durchlaufen, in dem sie am Ende ein anerkanntes Zertifikat von der Handwerkskammer erhalten können. Praxisbausteine heißt die neue Berufsausbildung, die vor wenigen Monaten in den Diakonie-Werkstätten eingeführt wurde.

Für Menschen mit geistiger, körperlicher oder psychischer Behinderung bleibt der erste Arbeitsmarkt in den allermeisten Fällen verschlossen. In den geschützten Werkstätten, getragen beispielsweise von der Diakonie oder der Lebenshilfe, haben die Mitarbeiter zwar bisher auch eine Qualifizierung im Berufsbildungsbereich erhalten. Doch es fehlte die offizielle Anerkennung, wie sie im regulären Ausbildungssystem in Form von Zeugnissen, Diplomen oder Zertifikaten üblich ist. In Sachsen wurde mit dem Projekt Praxisbausteine nun eine bundesweit vorbildhafte Möglichkeit geschaffen, dass Menschen mit Behinderungen, die als nicht ausbildungsfähig und nicht erwerbsfähig gelten, eine anerkannte berufliche Bildung durchlaufen können. „Endlich können wir in den Werkstätten ein Ausbildungssystem anbieten, das die Leistung von behinderten Menschen offiziell würdigt. Absolventen erhalten nach erfolgreicher Leistungsüberprüfung ein offiziell gültiges Zertifikat. Das ist sehr wichtig“, sagt Michaela Bartel, Referentin bei der Diakonie Sachsen. Von den 60 anerkannten Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Sachsen sind 22 offiziell zugelassen, das Projekt durchzuführen, weitere zwölf sind auf dem Weg.

Etwa 300 Stunden müssen pro Praxisbaustein absolviert werden. Das sind sowohl Theorie- als auch Praxiseinheiten. In der Theorie werden Grundlagen vermittelt. „Die Mitarbeiter führen einen Ordner mit Stundenzetteln, in dem sie alle vorbereiteten Arbeitsblätter sammeln und auch später noch nutzen können“, erläutert Diakonie-Werkstattleiter Georg Rudolph. Am Ende eines jeden Praxisbausteines steht eine Leistungsüberprüfung an. Über die Teilnahme kann jeder Mitarbeiter selbst entscheiden. „Wir nennen es auch nicht Prüfung, denn es soll keine Ängste wecken. Diejenigen, die sich dem Test stellen und diesen auch entsprechend den Vorgaben der Handwerks- beziehungsweise der Industrie- und Handelskammern bewältigen, erhalten dann auch das Zeugnis“, so Rudolph weiter. Jeder Mitarbeiter kann in seiner zweijährigen Berufsbildungszeit mehrere Praxisbausteine durchlaufen.

79 Praxisbausteine wurden bislang entwickelt, die sich inhaltlich und strukturell an elf verschiedenen anerkannten Ausbildungsberufen orientieren. In den Diakonie Werkstätten Roßwein und Hartha laufen zunächst die Praxisbausteine der Holzwerkstatt an. Die Bausteine für die Montage, Näherei und Wäscherei werden bald folgen. Aufwendig ist für die Betreuer in den Werkstätten jedoch noch die Vorbereitung der Unterrichtseinheiten. Denn vorgegeben sind nur Rahmenlehrpläne. „Wir müssen uns als Betreuer zunächst alles selbst erarbeiten, die Inhalte und auch die Lehrmittel, die wir dann für unsere Werkstattmitarbeiter einsetzen“, sagt Tischlermeister Markus Kaphegy, der eine sonderpädagogische Zusatzausbildung absolviert hat. Auch die Prüfung wird er für seine Schützlinge vorbereiten und abnehmen.

„Im besten Fall kann ein solches Dokument für Bewerbungen im ersten Arbeitsmarkt genutzt werden. Aber auch innerhalb unserer Werkstatt gilt es als anerkanntes Zertifikat“, erklärt Werkstattleiter Rudolph. Eine solche Anerkennung der eigenen Leistung sei für das Selbstbewusstsein und auch die Motivation der Mitarbeiter nicht zu unterschätzen. „Realistisch betrachtet, werden die Überprüfung aber wahrscheinlich nur wenige Mitarbeiter schaffen. Und einen Wechsel von unserer Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt konnten wir leider auch noch nicht erreichen“, muss der Werkstattleiter einschränken. Für Christin Flohr ist das aber auch gar nicht so wichtig. Die Waldheimerin, die nach den Praxisbausteinen und der Berufsbildungszeit einen Arbeitsplatz in der Diakonie-Werkstatt sicher hat, ist die Lehrzeit in der Holzwerkstatt spannend und interessant. „Wir machen hier immer so schöne Sachen. Das kann ich ja vielleicht auch mal zu Hause anwenden“, sagt sie.