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Dynamos neuer wichtigster Mann

Für eine Fußballkarriere hat es bei Felix Schimmel nicht gereicht. Jetzt arbeitet er neben dem Platz.

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© Robert Michael

Von Tino Meyer

Mexiko wäre mit ihm nie passiert. Felix Schimmel sagt das nicht so deutlich, im Prinzip sagt er das überhaupt nicht. Und doch ist herauszuhören, dass sich Dynamo Dresdens Video-Analyst schon ziemlich gewundert hat, wie sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft beim verlorenen WM-Auftakt von den Südamerikanern taktisch überraschen ließ.

Er wolle sich da lieber nicht so weit aus dem Fenster lehnen, so Schimmel. Dass die Mexikaner „brutal gut vorbereitet waren“, dass sie einen klaren Matchplan hatten, hat aber auch er gesehen, sogar vom Fernseher aus. Also sagt er diplomatisch korrekt: „Es kommt immer wieder vor, dass der Gegner anders auftritt, als man ihn analysiert und erwartet.“ Dann folgt der Nachsatz: „Es ist aber wichtig, dass die Jungs immer auch den Plan B an die Hand bekommen.“

Das haben die Verantwortlichen der Nationalmannschaft in diesem Fall offenbar vergessen. Oder doch nicht?

Entscheidend ist immer noch auf dem Platz, sagt Schimmel, der im Juni 30 Jahre alt geworden ist und beim Chemnitzer FC selbst mal Fußball gespielt hat. Seinen Anteil am Ergebnis als Video-Analyst schätzt er auf „ein paar Prozentpunkte, ein paar wenige“. So komplex der Volkssport Fußball geworden sein mag, Zweikämpfe werden nicht am Computer gewonnen, und auch die Chancenverwertung, derzeit Dynamos größtes Problem, wird vorm Bildschirm selten besser.

Muster erkennen, kurz und knackig

Ganz ohne Video-Analyse geht es allerdings nicht mehr, also nicht auf Dauer. „Die Professionalisierung ist bei allen Vereinen sehr weit vorangeschritten. Und ich“, erzählt Schimmel, „wäre als Spieler unglaublich dankbar gewesen, wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass mein Gegenspieler immer rechts an mir vorbei will.“

Darum geht es: Muster erkennen und den Spielern zusätzliche Informationen zu liefern. Und zwar kurz und knackig. Die Worte fallen immer wieder. Sie beschreiben ziemlich gut das Resultat seiner Arbeit, die eigentlich ziemlich viel Ausdauer verlangt. Kurz und knackig – das passt aber auch gut zu Schimmels Auftreten. Er redet schnell und auf den Punkt genau, jedes Wort sitzt. Der Mann hat keine Zeit zu verlieren. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Bei Dynamo arbeitet er seit 2013, mit zweijähriger Unterbrechung. Dass er während der Drittligazeit zwei Jahre für den Bundesligisten VfL Wolfsburg unterwegs war, hatte allein finanzielle Gründe. In Dresden musste gespart werden, auch und vor allem um das Profiteam herum. „Mit dem Aufstieg war aber relativ schnell klar, dass wir wieder zusammenarbeiten wollen“, sagt Schimmel, der Kontakt zu Dynamos damaligem Chefscout Kristian Walter war ohnehin nie abgerissen.

Mit ihm hat er sich schon während der gemeinsamen Studienzeit in Chemnitz intensiv über Fußball unterhalten – und anders als andere. An Traumtoren kann sich auch Schimmel berauschen, keine Frage. Mehr interessiert ihn jedoch das taktische Auftreten der Mannschaften, das Verhalten einzelner Spieler. So rutschte er in den Bereich Scouting hinein und wurde irgendwann Video-Analyst. Eine konkrete Ausbildung dafür gibt es nicht. Doch Schimmel, der BWL, Unternehmensentwicklung und Personalführung studiert hat, scheint seine Sache mindestens gut zu machen.

Seit Saisonbeginn darf sich Schimmel offiziell Co-Trainer Spielanalyse nennen. Ein neu geschaffener Posten bei Dynamo ist das, der eher nach Verkomplizierung klingt und aufgeblähtem Trainerstab. Dabei folgt der Verein damit letztlich nur der rasanten Entwicklung in der Sportart.

Natürlich hat Schimmel auch Dynamos Pokalgegner Rödinghausen analysiert. Das Regionalligaspiel vergangenen Freitag gegen Verl hat er sich vor Ort angesehen und zudem zwei weitere, per Video aufgezeichnete Spiele. „Wir haben Rödinghausen mit derselben Hingabe vorbereitet wie jeden Zweitliga-Gegner – mit allen Facetten, die dazugehören“, sagt Schimmel. Das heißt: eine erste Präsentation für den Trainer, der 15-minütige Vortrag für die Mannschaft sowie Video-Schnipsel für die Spieler mit Szenen möglicher Gegenspieler. „Mir geht es darum, das Bewusstsein zu schaffen, welche Situationen uns auf dem Platz begegnen könnten“, meint Schimmel.

Nach jedem Spiel wertet er zudem die eigene Partie aus – mithilfe der sogenannten Taktikkamera, die immer alle 22 Feldspieler einfängt und den Vereinen von der Liga exklusiv zur Verfügung gestellt wird. Ist der Matchplan aufgegangen, haben die Spieler die besprochenen Laufwege eingehalten? Das sind Fragen, die Cheftrainer Uwe Neuhaus über das erste Bauchgefühl hinaus interessieren. Und dann beginnt das wöchentliche Prozedere von Neuem.

Live-Signale von der Taktikkamera

Rund drei Stunden benötigt Schimmel für die Auswertung und Aufbereitung von 90 Minuten. Und drei Spiele jedes Gegners schaut er sich mindestens an. Da kommen schnell mal zehn Stunden zusammen. Anschließend werden konkrete Szenen ausgewählt und die einzelnen Präsentationen erstellt. „Die Schwierigkeit ist, in der Kürze der Zeit allumfassend zu arbeiten und so qualitativ hochwertig, wie es nur geht“, erklärt Schimmel.

Und wenn das Spiel erst mal läuft – ist Schimmel neuerdings noch wichtiger. Seit Saisonbeginn darf zwischen Tribüne und Trainerbank kommuniziert werden. „Ich bekomme das Live-Signal von der Taktikkamera auf meinen Laptop und schneide Szenen raus, die ich den Trainern und Spielern in der Halbzeit zeige“, sagt Schimmel.

Sogar während des Spiels greift er ein, noch per Handy-Nachrichten. Demnächst soll eine Funkverbindung getestet werden, und nächste Woche im Heimspiel gegen Heidenheim haben die Trainer erstmals ein Tablet auf der Bank dabei. „Das muss sich alles erst einspielen. Schließlich hilft es nicht, die Trainer mit Informationen zu überfrachten. Außerdem steht die Frage, ob sie während eines Spiels überhaupt das Zeitfenster haben, die Informationen umzusetzen“, erklärt Schimmel.

Kurz und knackig, darauf kommt es tatsächlich immer an. Damit Mexiko passieren kann, aber nicht 0:1 ausgeht.