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Dürfen Lehrer in der Schulzeit frei machen?

Eine Pädagogin hat am New York-Marathon teilgenommen. Eine Mutter kritisiert, dass dafür Unterricht ausfällt.

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© Claudia Hübschmann

Von Juliane Richter

Die Landung aus New York ist hart. Nicht, weil das Flugzeug unsanft aufsetzt, sondern weil sich Rica Gottwald plötzlich mit schweren Vorwürfen konfrontiert sieht. Eben noch hat die 54-jährige Lehrerin das erste Mal in ihrem Leben einen Marathon überstanden und schwebt noch ein wenig auf der Euphoriewolke. Gerade wieder in Deutschland angekommen, muss sie sich rechtfertigen, dass sie nicht in Dresden war. Die Mutter eines Schülers kritisiert, dass durch die Abwesenheit von Rica Gottwald Unterricht an der 30. Oberschule ausgefallen ist oder fachfremd vertreten wurde. Die Mutter selbst möchte anonym bleiben, weil sie negative Folgen für ihr Kind befürchtet.

Konkret geht es um vergangene Woche Mittwoch bis Freitag sowie den Montag und Dienstag dieser Woche. Also mitten im Schuljahr. Rica Gottwald unterrichtet an der Oberschule in der Neustadt Mathe, Geografie und Biologie in den fünften, sechsten, siebten und zehnten Klassen. „In über 30 Jahren als Lehrerin waren das meine ersten Ausfalltage“, ist Gottwalds erste Reaktion. Nie sei sie krank, viele Schulprojekte betreue sie in ihrer Freizeit weiter. Weil sie gern Lehrerin ist. Den Ausflug nach New York hat ihr Direktor Ernst-Ulrich Stier genehmigt. Der ist einerseits wütend über die anonyme Mail, andererseits steht er voll hinter Rica Gottwald und seiner Entscheidung. „Das war eine Ausnahme. Und die Kollegin hat alle Stunden eingearbeitet. Es gibt keine Stunden, die nicht gehalten worden sind.“ Konkret heißt das, dass in den vorangegangenen Monaten bei Erkrankung eines Lehrers oft Rica Gottwald eingesprungen ist und anstatt des eigentlichen Faches Mathe, Geo oder Bio gegeben hat. „Die Kinder sind entsprechend der Stunden im Lehrplan an der richtigen Stelle“, sagt Stier. Diese Vorgehensweise sei langfristig geplant worden. Immerhin wusste Rica Gottwald seit einem Jahr von dem Marathon. Im November 2016 hatte sie bei der „Rewe New York Challenge“ einen von 13 Startplätzen ergattert, die unter Dresdnern verlost wurden. Sie habe daraufhin sofort mit dem Direktor gesprochen. Für die Vertretung habe sie neben vielem anderen eine Mathearbeit und einen Projekttag zum Thema Regenwald vorbereitet.

Mit der zuständigen Dresdner Bildungsagentur hat weder sie noch Direktor Stier im Vorfeld Kontakt aufgenommen. Dass eine solche Freistellung in Zeiten von Lehrermangel und Unterrichtsausfall durchaus heikel ist, zeigt die Reaktion der Bildungsagentur. Deren Sprecherin Petra Nikolov wirkt im ersten Moment irritiert von der Genehmigung der freien Tage. Wie die Regelungen zum Urlaub eines Lehrers außerhalb der Ferien sind, will sie recherchieren. Sieben Stunden später kommt eine Mail, welche diese grundlegenden Fragen nicht beantwortet.

Regulär keine Freistellungen

Erst auf erneute Nachfrage erklärt die Sprecherin, dass Lehrer während der Schulzeit üblicherweise nicht freigestellt werden. Kommen aus besonderem Anlass doch derartige Anträge, werden diese Einzelfälle geprüft. „Eine solche Freistellung ist eine Ausnahme. Es werden nicht in Größenordnungen Freistellungen genehmigt“, sagt sie. In diesem speziellen Fall kam die Erlaubnis nur, weil Rica Gottwald über die Maßen hinaus die Stunden vorgearbeitet und die Vertretungsstunden vorbereitet hat. „Durch die Freistellung sind demzufolge keine zusätzlichen Ausfallstunden entstanden“, sagt sie. Grundsätzlich müsse die Bildungsagentur allerdings so einer langen Freistellung zustimmen. Diese hatte im Vorhinein jedoch nicht einmal von dem Plan gewusst.

Rica Gottwald ist indes enttäuscht von der anonymen Kritik an ihr. Eine direkte Nachfrage der Mutter wäre ihr lieber gewesen. Ein Geheimnis aus dem Lauf hat sie nie gemacht. Ein Team von Sachsen Fernsehen hat sie nicht nur bei der Vorbereitung, sondern auch beim Lauf am Sonntag in New York begleitet. Von ihren Schülern fand sich Gottwald sehr unterstützt. Mehrere hätten ihr in den Stunden vor dem Lauf noch SMS geschrieben. „Das hat mich noch gepusht. Dann will man den Lauf natürlich erfolgreich beenden.“

Fünf Stunden und sechs Minuten hat sie am Ende gebraucht. Leicht war das nicht. Gottwald läuft zwar seit 20 Jahren hobbymäßig, hat aber selbst in der Vorbereitung nur maximal 33 Kilometer zurückgelegt. Zwei Tage nach dem Marathon hat sie blaue Zehen, aufgeriebene Oberarme und Beine. „Ich laufe wie eine alte Frau“. An diesem Mittwoch wird sie trotzdem wieder unterrichten. Die 54-Jährige ist in ihrer Schule sehr engagiert. Sie hat die Errichtung eines grünen Klassenzimmers im Freien initiiert, organisiert Blutspendetermine an der Schule, betreut die Theater- und die Schach-AG sowie den Schulgarten. Auch außerhalb der Schule ist sie sehr aktiv. Mehr als zehn Jahre war sie Ortsbeirätin, bevor sie 2015 für die Linke in den Stadtrat nachrückte. Ihr umfangreiches Engagement will sie nicht falsch verstanden wissen. „Mein Unterricht leidet nicht darunter.“ Ihr Fokus liegt auf der Schule. Und sie hofft, dass Lehrer und Eltern künftig noch stärker an einem Strang ziehen.