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Dschihad-Spur führt nach Riesa

Ein Tunesier, der in Riesa untergebracht war, hatte nicht nur mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz zu tun.

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© Bernd von Jutrczenka/dpa

Von Christoph Scharf

Riesa. Eine Spur des islamistischen Terrors führt nach Riesa: Das geht aus den Ermittlungen des Bundeskriminalamts (BKA) hervor, wie die Tageszeitung „Die Welt“ jetzt berichtet. Das BKA hatte schon ein Jahr vor dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Umfeld des späteren Attentäters Anis Amri ermittelt.

Mit diesem Bild fahndete das BKA nach dem Attentäter Anis Amri.
Mit diesem Bild fahndete das BKA nach dem Attentäter Anis Amri. © BKA/dpa
Erst Rapper, dann Terrorist: Denis Cuspert alias Deso Dogg.
Erst Rapper, dann Terrorist: Denis Cuspert alias Deso Dogg. © Di Matti/dpa

Seinerzeit hatten die Fahnder zahlreiche verdächtige Telefonanschlüsse überwacht. Darunter waren demnach auch Nummern, die dem einstigen Berliner Rapper Deso Dogg gehörten: Der Salafist mit dem bürgerlichen Namen Denis Cuspert war in Deutschland als islamistischer Prediger aufgetreten, bevor er sich in Syrien dem Islamischen Staat (IS) anschloss. Mehrfach hatte er mit Terroranschlägen in Deutschland gedroht.

Die Fahnder versuchten deshalb, seine Telefonate zu überwachen. Laut „Welt“ klingelte am 8. Juli 2015 ein Handy, das der Ex-Rapper benutzte. Der ging zwar nicht ran – aber der Anruf alarmierte das BKA: Denn er kam aus Sachsen. Der Anrufer war Sabou S., ein 30-jähriger Asylbewerber aus Tunesien. Was brachte den dazu, einen weltweit gesuchten Terroristen zu kontaktieren? Ging es um geplante Anschläge in Deutschland? So geriet Sabou S. ins Visier. Glaubt man der Berichterstattung, war S. mit sechs weiteren Tunesiern – darunter ein späterer Freund von Amri – per Boot übers Mittelmeer nach Italien gelangt und über die Schweiz nach Deutschland gekommen. Hier bezog der Mann erst eine Asylunterkunft in Karlsruhe, dann in Chemnitz und schließlich in Riesa.

Wo in Riesa Sabou S. lebte, dazu schweigt das BKA: Man erteile „grundsätzlich keine personenbezogenen Auskünfte“, teilt eine Sprecherin am Freitagnachmittag auf SZ-Nachfrage mit. Und gibt dann doch noch einen Hinweis: „Was die Unterbringung von Asylsuchenden in Deutschland betrifft, müssten Sie sich an die Ausländerbehörden wenden, die für die Unterbringung zuständig sind.“ Im Kreis Meißen ist das Šache des Landratsamts. Das ließ eine Anfrage der SZ vom Freitagnachmittag zunächst jedoch unbeantwortet.

Riesa ist jedenfalls die Stadt im Kreis Meißen, in der die meisten Asylbewerber untergebracht werden: Im Sommer 2016 waren es 528, im Sommer 2017 immer noch 452. Damit lebt mehr als jeder vierte vom Landkreis verteilte Asylbewerber in der Stadt. Sind darunter womöglich weitere Personen, die im Kontakt mit Terroristen stehen? Werden Bewohner überwacht? Und bekämen die Ausländerbehörden, die Kommunen oder die Betreiber davon etwas mit? Auf diese Fragen gab es am Freitag wenig Antworten: Die Polizeidirektion teilt mit, in der Sache keine Auskunft zu geben – schließlich sei das BKA zuständig. Dort gab es nur den Verweis auf die Ausländerbehörden. Diesen bekommt man auch von der Riesaer Stadtverwaltung.

Ohnehin habe man „null“ Einfluss auf die Verteilung von Asylbewerbern, heißt es aus dem Rathaus. Zur Informationspolitik von Bund und Freistaat an die Kommunen, vor allem in der Zeit der Flüchtlingskrise von 2015, erübrige sich jede Zeile. Die Kommunen seien komplett im Regen stehengelassen worden. Die Arbeit des BKA aber, die wolle man nicht bewerten. – Die Fahnder ließen Sabou S. jedenfalls nicht aus den Augen, auch als der aus Sachsen nach Berlin umgezogen war: Wie die „Welt“ berichtet, ermittelte das BKA monatelang gegen den Tunesier und seine Bekannten. Deckname der Operation: Lacrima – zu deutsch Träne. Immer wieder sei es gelungen, verdächtige Gespräche aufzufangen. Dabei sei es auch um Weihnachtsmärkte gegangen.

Neben der Telefonüberwachung gab es auch mindestens einen Informanten im Umfeld von Sabou S.: Der meldete, dass S. vom IS nach Deutschland geschickt worden sei, um einen Terroranschlag zu begehen oder um andere zu trainieren. Nach den Ermittlungen des BKA schaltete sich schließlich auch der Generalbundesanwalt in das Verfahren ein, ebenso das Berliner Landeskriminalamt. Bei den Ermittlungen stieß man endlich auch auf Anis Amri.

Dessen Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz allerdings konnten die Behörden nicht mehr verhindern. Dort waren 2016 elf Menschen ums Leben gekommen, als Amri mit einem Lkw auf das Gelände raste, dessen Fahrer er zuvor ermordet hatte. Amri selbst wurde später in Italien von einem Polizisten erschossen. Denis Cuspert soll Anfang 2018 in Syrien ums Leben gekommen sein. Und Sabou S., der zeitweise in Riesa lebte? Der sei mittlerweile nach Tunesien abgeschoben worden.