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Dresdens Pfahlbrücke

Hans-Joachim Kummert leitet die Bauarbeiten an der Marienbrücke. Die Holzpfähle unter den Pfeilern wurden verstärkt.

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Von Peter Hilbert

Hans-Joachim Kummert steht vor der Marienbrücke, schaut nachdenklich auf Sandsteine. Die Mittagssonne taucht sie in eine Farbpalette, die von hellem Gelb bis hin zu düsterem Braun reicht. Die Zeit hat an dem altehrwürdigen Bauwerk ihre Spuren hinterlassen. Doch das ist nur der sichtbare Teil. Tief darunter, verborgen unter der in verschiedenen Tönen schillernden Elbe, sind Details, von denen der Brückenbauingenieur gern spricht. Mit ihnen verbindet er den Start in die Selbstständigkeit seines Ingenieurbüros und den Stolz auf seine Vorgänger, die hier Hervorragendes geleistet haben.

1994 hat der heute 59-jährige Weinböhlaer mit drei Partner gerade sein Ingenieurbüro Bit gegründet. Sein erster Auftrag – die Marienbrücke. Mit einer Bausumme von knapp drei Millionen Euro kein kleiner. Das Problem: „Die Elbe hatte sich seit 1852 tiefer ins Flussbett gegraben“, erklärt er. Die Holzpfähle, auf denen die acht Pfeiler im Strom stehen, liegen teilweise frei. „Da war die Standsicherheit der Gründungen nicht mehr gegeben.“

Kummerts Büro hat die Arbeiten zu planen und zu überwachen. Unter jedem Pfeiler stehen über 200 etwa 2,50 Meter lange Pfähle. Zur Bauzeit war das Holz aus dem Osterzgebirge auf Flößen über die Weißeritz, die damals noch unweit dieser Brücke in die Elbe mündete, zur Baustelle gebracht worden. Die Arbeiter hatten die Pfähle per Hand in den Elbgrund getrieben und darüber die Pfeiler gebaut.

Ehrfurcht vor den Vorgängern

Infos zur Brücke

1852 wurde die Marienbrücke als kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke übergeben. Der Bau hatte 1846 begonnen.

Die Sandsteinbogenbrücke hat eine Länge von 440 Metern. Sie hat 13 Pfeiler und 14 Bögen.

Eine neue Eisenbahnbrücke entstand zwischen 1898 und 1901 neben der Straßenbrücke.

Die Pfeilergründung der Straßenbrücke wurde von 1994 bis 1996 mit Betonpfählen verstärkt.

Zwischen 1997 und 1998 ließ die Stadt die Straßenbrücke sanieren und verbreitern. Von 1999 bis 2011 folgte die Sandsteinsanierung. (SZ/phi)

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„Für uns war beeindruckend, mit welcher Genauigkeit damals gearbeitet wurde“, sagt Kummert. An den Pfeilerfüßen seien die Sandsteine so versetzt, dass die Fugen nur Abweichungen von höchstens einem Zentimeter haben. „Da bekommt man Ehrfurcht vor der Arbeit unserer Vorgänger“, so Kummert. Hinzu kommt, dass damals trotz einfacher Geräte teilweise schneller gearbeitet wurde als heute, sagt er mit Blick auf die Waldschlößchenbrücke. An der ist Kummert auch Bauoberleiter. Die 14 Bögen der Marienbrücke wurden in neun Monaten gebaut. „Das ist eine gewaltige Leistung“, sagt er.

1994 beginnen die Nachfolger der Brückenbauer damit, die Pfeilergründungen zu verstärken. Von einem Ponton aus schlägt eine Ramme stählerne Spundwände um die Pfeiler. Mit dem sogenannten Hochdruckinjektionsverfahren (HDI) stellen die Bauleute neue Betonpfähle her. Zuerst werden die Holzpfähle mit einem hohlen Spezialbohrer schräg durchbohrt. Das Gerät dringt bis in eine Tiefe von vier Metern unter dem Elbgrund vor. „Mit hohem Druck wurden dann Zement, Wasser und Luft eingeblasen. Die vermischten sich mit dem anstehenden Kies“, beschreibt Kummert den nächsten Schritt. So entstehen unter jedem Pfeiler drei schräge, jeweils 1,50 Meter starke Betonpfähle.

Mit diesem HDI-Verfahren stellen die Spezialtiefbauer letztlich unter jedem Pfeilerfuß noch eine durchgehende Wand aus kleinen Betonpfählen her. „Damit haben wir eine sichere Pfeilergründung geschaffen, die nicht mehr ausgespült werden kann“, bilanziert Kummert. Allerdings dauern die Arbeiten ein halbes Jahr länger als geplant. Schuld daran ist die Elbe. Denn die spielt nicht so mit wie erhofft.

„Wir hatten nur noch eine Pfeilergründung herzustellen. Dafür brauchten wir aber einen niedrigen Wasserstand“, nennt Kummert den Ausgangspunkt. Täglich ruft er beim Pegelservice an. „Es war wie verhext, die Elbe sank und sank nicht.“ Die Betonbauer können nichts machen. Erst nach fünf Monaten kommt der ersehnte Tag, als der Pegel endlich in großem Maße sinkt. So können die Arbeiten im August 1996 beendet werden.

Gleich ein Jahr später geht es weiter. Der Überbau der Marienbrücke soll bis Ende 1998 saniert und um 2,5 Meter verbreiter werden. An eins erinnert sich Kummert besonders. Im Juli 1997 geht er mit seiner Frau an der Elbe spazieren. „Plötzlich sah ich Blaulicht auf der Brücke“, berichtet er. Ein Baggerfahrer hatte mehrere Kisten mit Sprengstoff entdeckt, die 1945 glücklicherweise nicht gezündet wurden.

Brückenwache bei der Flut

Von 1999 bis 2001 werden unter Kummerts Bauoberleitung noch die Sandsteinflächen saniert und dieses Jahr die Gleise. Sein Fachwissen ist auch bei der schwierigsten Prüfung für die Marienbrücke gefragt, der Jahrhundertflut 2002. Tag und Nacht steht er mit seinen Mitarbeitern auf der Brücke, beobachtet, ob es gefährlich wird. „Ich hatte ein gutes Gefühl. Die Gründungen waren gesichert, die Brücke stabil“, sagt Kummert. Zudem weiß er, wie solide die Altvorderen gearbeitet hatten. Die Brücke besteht die Bewährungsprobe. „Da alles saniert ist, wird sie auch die nächsten 100 Jahre überstehen“, ist sich Kummert gewiss.