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„Dresdens Mikrotechnologie ist stehengeblieben“

Der sächsische Chip-Experte Michael Raab über Halbleiter für Honecker und aktuelle Gefahren für Globalfoundries.

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© ronaldbonss.com

Herr Dr. Raab, vor 30 Jahren waren Sie dabei, als der 1-Megabit-Chip aus Dresden an Staatschef Erich Honecker übergeben wurde. Was machte diesen Chip so wichtig?

Die Mikroelektronik stand vorher nicht im Scheinwerferlicht, aber die Mikroelektronik ist die Voraussetzung für eine moderne Industriegesellschaft und heute mehr denn je. Damals gab es Absprachen unter den sozialistischen Ländern, Anlagen und Materialien gemeinsam zu entwickeln. Eine entscheidende Belichtungseinheit war ein Vorzeigeprodukt von Carl Zeiss Jena. Man kann es sich als ein ganzes Netzwerk von Komponenten vorstellen, an deren Ende dann das Produkt 1-Megabit-Chip steht. Unsere Regierung hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die Gesamttechnologie dann in Dresden zu entwickeln.

Im Westen gab es damals diese Technologie schon. Waren die Dresdner Chips eher ein Nachbau oder eine Eigenentwicklung?

Das Schaltungs-Design und die Technologie zur Fertigung des Chips mussten wir selbst machen, das konnte man nicht eins zu eins kopieren. Zwar wurden auch Anlagen aus westlichen Ländern gekauft, aber wir bekamen nicht die Anlagen, die für so eine Technologie genutzt wurden. So wurden auch neu gekaufte Anlagen umgebaut und angepasst. Wir mussten versuchen, Technik und Material zu nutzen, die wenigstens ähnlich waren. Damit einen 1-Megabit-Chip zu bauen und voll funktionsfähig zu bekommen, war eine gewaltige Leistung. 64-Kilobit-Speicher waren das letzte Schaltungsdesign, das zur Verfügung stand. Zum Megabit war es ein Riesensprung.

Wie wichtig war diese Arbeit für die spätere Entwicklung der Dresdner Industrie?

Auf dieses Wissen ließ sich aufbauen. Ohne diese Grundlagen hätten wir heute hier nicht über 300 Firmen mit etwa 50 000 Beschäftigten in dieser Branche. Gut, dass viele die Mikroelektronik gefördert haben. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf stand dazu, obwohl große Unternehmensberatungsfirmen die Lage völlig falsch einschätzten und abrieten.

Ihre 1-Megabit-Chips sind aber nie in die Massenproduktion gekommen …

Es wurden nur etwa 30 000 Chips hergestellt und zu Robotron geliefert, das ist nach heutigen Maßstäben eigentlich nichts. Aber das Wissen war da, die Leute, die Technologie. Als ich 1996 ein Vorstellungsgespräch beim Chip-Hersteller AMD hatte und Bilder vorzeigen konnte, Querschnitte durch einen Siliziumwafer, da hat es die Chefs beeindruckt. Genau diese Arbeit war notwendig für die Entwicklung zur Herstellung von Mikro-Prozessoren der nächsten Technologiegenerationen.

Wurden Sie nach der Wende arbeitslos?

Nein, die Fraunhofer-Gesellschaft baute ein Institut in Dresden auf, von Duisburg aus. Ich wurde gefragt, ob ich für ein Jahr nach Duisburg kommen wollte. Ich habe zugesagt und bin mit meinem Trabant gependelt. Das Entwicklungsteam des 1-Megabit-Chips ist fast komplett von Fraunhofer übernommen worden. Bis 1996 war ich dann im Fraunhofer Institut IMS2, heute das IPMS in Dresden, als Gruppenleiter tätig. Im Januar 1997 habe ich dann bei AMD begonnen und war zuerst in Texas und Kalifornien, dann habe ich in der neuen Fabrik in Dresden die Entwicklung aufgebaut. Bis 2010 haben wir in Dresden acht Chip-Technologien entwickelt, von 180 Nanometer immer feiner bis zur 28-Nanometer-Technologie.

Aus AMD wurde Globalfoundries, dort sind Sie vor wenigen Tagen in Rente gegangen. Woran haben Sie gearbeitet?

Bis 2011 war ich Direktor für Technologie und Integration und war für die Technologieentwicklung der Mikroprozessoren von AMD verantwortlich. Danach bei Globalfoundries habe ich als Fellow weiter an der Technologieoptimierung gearbeitet. Ich habe mich zuletzt um Änderungen und Weiterentwicklungen an der 28-Nanometer-Technologie für Kunden in den USA und in Asien gekümmert, die ihre Chips an Handyhersteller liefern.

Ist Dresden heute noch führend in der Mikrotechnologie?

Nein. Die Industrie spricht heute über Mikrochips mit Strukturen von nur noch 14, 10 und 7 Nanometern. Die 5 Nanometer sind auch bereits in der Entwicklung. Dresdens Mikrotechnologie ist stehen geblieben. Die Konzernführung von Globalfoundries hat entschieden, dass die Hochtechnologie in der neu gebauten Fabrik in den USA entwickelt und eingesetzt wird. Der Standort in Singapur hat es wenigstens geschafft, alle Entwicklungsabteilungen zu behalten. Aber Dresdens größte Chipfabrik ist nur noch verlängerte Werkbank.

Nach Angaben des Unternehmens gibt es aber Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bei Globalfoundries Dresden. Stimmt das nicht?

Man kann vieles dort hineinrechnen. Eine Reihe von Leuten arbeiten in weltweiten Teams daran, Chip-Entwürfe umzusetzen. Aber es gibt keine wirkliche Dresdner Struktur, um die Fertigung in Dresden mit eigenen Entwicklungen zu unterstützen – alle Randbedingungen werden aus den USA festgelegt.

Globalfoundries sagt, seine neue Technologie im Werk Dresden sei innovativ, Strom sparend und preiswert. Wird nicht genau so etwas gebraucht?

Ja, Strom sparende Elektronik wird immer wichtiger. Globalfoundries spricht davon, dass die 22-Nanometer-FDSOI-Technologie das leistet. Aber bereits im August 2016 haben die führenden Intel-Experten Mark Bohr und Zane Ball gesagt, dass sie die Technologie nicht für überlegen halten.

Die FDSOI-Technologie ist der Neandertaler in der Mikroelektronikentwicklung. Ursprünglich sollte dieses Jahr in Dresden massiv in dieser Technologie produziert werden. Stattdessen wurde Personal reduziert und Kurzarbeit begonnen.

Das Management hat angekündigt, die Nachfrage der Kunden nach solchen Chips werde wachsen. Strom sparende Elektronik ist doch ein gutes Werbeargument?

Es ist nur Werbung. Meiner Meinung nach und nach Ansicht vieler Kollegen führt diese Technologie in eine Sackgasse. Die FDSOI-Chips brauchen bei gleicher Leistung mehr Fläche. Das ist nicht das, was die Kunden wollen. Es ist nötig, die Wünsche der Kunden umzusetzen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Stattdessen wird gesagt, hier ist unsere technologische Lösung, nehmt das bitte.

Globalfoundries hat nach eigenen Angaben zumindest kleinere Kunden gefunden und arbeitet mit Lieferanten und Forschern zum Beispiel in Frankreich zusammen, dafür gibt es auch EU-Fördergeld …

Ja, diese grenzüberschreitende Kooperation sieht wunderschön aus, aber sie ist leider nicht zielführend.

Mit der Technologie will Globalfoundries auch Chips für Autos liefern, wie schon Infineon, X-Fab und Bosch. Bringt das nicht zusätzliche Kunden?

Ich will nicht bestreiten, dass es Anwendungsmöglichkeiten für die Chips gibt, zum Beispiel zur Datenübertragung mit einer Antenne auf dem Chip. Auch für einfache Elemente im Auto wie Fensterheber, Rückspiegelverstellung, Sitzheizung könnte man sie nutzen. Die Technologie ist aber nicht schnell genug für autonomes Fahren und hohe Übertragungsgeschwindigkeiten wie bei der neuen Mobilfunkgeneration 5G. Solche Mikrochips produzieren leider andere und nicht mehr in Europa.

Immerhin hat der Konzern jetzt Aufträge aus seinem Werk in Singapur nach Dresden verlagert.

Ja, das ist hilfreich, damit kann man einen Teil der Produktionslinie füllen. Aber das ist doch keine Strategie.

Was schlagen Sie vor?

Für das Werk Dresden wäre es nach meiner Einschätzung besser, wenn es selbstständig geführt würde und eine enge Zusammenarbeit mit allen Design-Firmen in Europa aufbauen könnte. Dann könnte es auch gezielter von der Politik gefördert werden. Mikrochips sind ein wichtiger Rohstoff und wichtig für eine eher rohstoffarme Region. Das müssen die Politiker in Deutschland und der EU bei ihrer Förderpolitik erkennen, wenn sie nicht wieder einen Niedergang wie bei Qimonda erleben möchten.

Bosch baut in Dresden gerade eine neue Chipfabrik mit 700 Arbeitsplätzen, ist das nichts?

Das finde ich wunderbar. Dort haben sich auch schon fähige Kollegen beworben, weil ja bei Globalfoundries gekürzt wird. In Dresdens größter Mikrochipfabrik mit jetzt 3 300 Mitarbeitern wurde die Chance verpasst, das entscheidende Fertigungszentrum für Deutschland und Europa zu etablieren. Hier könnten genau die Chips produziert werden, die in Europa gebraucht werden. Das Geld dafür ist da, die Autoindustrie würde sich nach meiner Einschätzung auch daran beteiligen, um einer dauerhaften und riskanten Abhängigkeit von asiatischen oder amerikanischen Herstellern zu entkommen. Ich wünsche mir eine europäische Wertschöpfungskette.

Das Gespräch führte Georg Moeritz.