Merken

Dresden ist Kinostadt

Wie sind wir Sachsen denn eigentlich? Eine Annäherung an den sächsischen Charakter in zehn steilen Thesen. These 5: Der Sachse ist anders.

Teilen
Folgen
© Zeichnung: Mario Lars

Von Julia Vollmer

Geht ein Kinobetreiber eigentlich auch in andere Häuser, um sich die neuesten Produktionen anzuschauen? „Klar, sehr gerne sogar“, sagt Sven Weser und lehnt sich zurück in seinen Kinosessel. Er betreibt mit seinen Partnern seit 28 Jahren das Programmkino Ost – ein Kino, das auf Filme abseits vom Mainstream setzt. „Ich schaue gern, wie andere das so machen“, sagt der 53-Jährige und meint Ablauf und Ambiente.

Schauburg
Die Schauburg ist das erste frei stehende Kinogebäude Dresdens. Im Jahr 1927 wurde es eröffnet.
Schauburg Die Schauburg ist das erste frei stehende Kinogebäude Dresdens. Im Jahr 1927 wurde es eröffnet. © Repro: Ove Landgraf
Kino am Hauptbahnhof
1956 wurde das Filmtheater im ehemaligen Eingang mit 170 Plätzen eröffnet. 2000 schloss es.
Kino am Hauptbahnhof 1956 wurde das Filmtheater im ehemaligen Eingang mit 170 Plätzen eröffnet. 2000 schloss es. © Lars Kühl
Rundkino
Das 1972 eröffnete Dresdner Rundkino an der Prager Straße. Auch heute wird es noch als Kino genutzt.
Rundkino Das 1972 eröffnete Dresdner Rundkino an der Prager Straße. Auch heute wird es noch als Kino genutzt. © dpa
Faunpalast
1929 wurde auf der Leipziger Straße der Faunpalast eröffnet. Seit 1991 ist das Kino geschlossen.
Faunpalast 1929 wurde auf der Leipziger Straße der Faunpalast eröffnet. Seit 1991 ist das Kino geschlossen. © Jürgen Lösel

Nicht nur in den Dresdner Kinos ist Sven Weser unterwegs, sondern auch auf Festivals in Berlin und München sowie bei der Filmkunstmesse in Leipzig. Dort sichtet er die aktuellen Produktionen und entscheidet, was er für sein Kino einkauft. Um die 150 Filme pro Jahr schaut er.

Die Leidenschaft für das Kino teilt er mit vielen Dresdnern. Denn die Stadt ist eine echte Kinohochburg. Dresden ist mit drei Besuchen pro Einwohner im Jahr auf Platz 4 im deutschlandweiten Vergleich der Städte ab 200 000 Einwohner und ist somit die Großstadt in Ostdeutschland mit den fleißigsten Kinogängern, so die Statistik der Filmförderungsanstalt (FFA).

Bei der Zahl der Spielstätten wird Dresden mit seinen 18 Kinos nur von den vier deutschen Millioneneinwohnerstädten – Berlin, Hamburg, München und Köln – übertroffen. Rund 1,64 Millionen Gäste zählen die Kinos im Jahr.

Doch wie sieht es neben der bloßen Anzahl mit der Vielfältigkeit und Qualität aus? Neben den Multiplexen wie Cinemaxx und UCI hat Dresden eine einzigartige Programmkinoszene mit den fünf renommierten Programmkinos Schauburg, Thalia, PK Ost, Kino im Dach und dem Kino in der Fabrik. Filmfest-Chefin Sylke Gottlebe sieht in dieser Bandbreite einen Grund für das rege Interesse. „Das Publikum kann von Filmklassikern über Repertoire, Arthouse, Mainstream bis Kurzfilm und Medienkunst alles sehen. Festivals bereichern das Angebot.“

Frank Apel, Chef des Kinos in der Fabrik, wirft auf der Suche nach Ursachen für die Kinoleidenschaft einen Blick in die Geschichte. „In Dresden gab es bereits in DDR-Zeiten eine sehr engagierte Filmklubszene, die dann 1990 deutlich gegen das kommerzielle Kinogeschäft antrat“, sagt er. Dadurch seien Spielstätten entstanden, die dem in den 90er-Jahren vorhandenen Multiplexrausch widerstehen konnten. Daher habe Dresden mehr alternative Kinos als jede andere vergleichbare Großstadt.

Winfried Müller, Professor für sächsische Geschichte an der TU Dresden, forscht an einem Kinoprojekt und hat noch eine andere Erklärung, warum Dresden eine Kinostadt ist. „Hier leben sehr viele Studenten, und die gehen gerne ins Kino“, so Müller. Die Altersstruktur bei den Cinema-Besuchern verschiebe sich. Die mittlere Generation zwischen 35 und 50 Jahren würden kaum noch ins Kino gehen. Dafür aber die Jungen, und dann wieder das Publikum ab 55 Jahren aufwärts.

Zu diesem Ergebnis kommt auch die Filmförderungsanstalt. Laut der Programmkino-Studie sind bundesweit die stärkste Besuchergruppe von Arthouse-Filmen die über 50-Jährigen. Mit 58,9 Prozent machen sie mehr als die Hälfte aller Filmkunstbesucher aus. Nur rund 17 Prozent sind zwischen zehn und 29 Jahre alt. Das bestätigt Sven Weser vom Programmkino Ost. „Ein großer Teil unserer Gäste ist über 50 Jahre, Publikum unter 30 Jahren haben wir deutlich weniger“, sagt Weser. Das sei eine Herausforderung.

Jetzt und für die Zukunft. Wie kann man den Kampf um die jüngere Generation gewinnen? „Zeitig anfangen. Wer als Kind nicht im Kino sitzt, geht auch als Erwachsener nicht.“ Für die jüngsten unter den Kinogängern bietet das Programmkino jede Menge. Schnullerkino für Eltern mit Babys, Schul- und Kitavorführungen und die Teilnahme am Kinderfestival Kinolino. Etwa 25 Prozent seiner Besucher sind Kinder und Schüler. „Wir wollen anspruchsvolles Kino bieten, fernab vom Mainstream“, sagt er. Das gelte für Kinder- und für Erwachsenenfilme. Es sei dabei aber kein Ausschlusskriterium, wenn ein Film auch in einem Multiplexhaus läuft. Ungefähr ein Vierteljahr voraus plant er das Programm. Dabei achtet er auf die richtige Mischung.

Und was ist mit der Konkurrenz von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon? „Wir merken das noch nicht an den Besucherzahlen, da sind wir stabil bei rund 180 000 Besuchern im Jahr“, so Weser. Für diese gibt es auch genug Platz im PK Ost, 1990 gestartet als Ein-Saal-Kino, gibt es seit der Sanierung und Erweiterung 2009 fünf Säle mit 571 Plätzen. Was ihm dabei auffällt: Die Gäste kommen oft aus dem Viertel, aus Striesen und Umgebung.

Das beobachtet auch Paulo Isenberg Lima vom Kino im Kasten. „Bis auf wenige Ausnahmen sind die Kinos in Dresden relativ gut im Stadtgebiet verteilt“, sagt er. Das Mobilisierungspotenzial der Gäste aus anderen Stadtteilen heraus habe sich deutlich verringert. Daher hätten sich die Kinos erfolgreich auf die Ansprache einer eigenen Zielgruppe aus ihrer Nachbarschaft konzentriert. Denn das Kino sei auch eine Art Eckkneipe, in der man Freunde trifft, sind sich die Betreiber einig.