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Drama ohne Ende

Eine Familie aus Heidenau hat nach einem Wohnungsbrand alles verloren. Seit acht Monaten kämpft sie um ihr altes Leben.

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© Norbert Millauer

Von Gunnar Klehm

Heidenau. Es sieht wie ein ganz normales Familienleben aus. Der kleine Ron rutscht auf dem Fußboden herum und spielt. Dann sagt der Dreijährige plötzlich: „Nicht atmen. Ron, nicht atmen.“ Die Mutter, Claudia Eichner, hört es und schaut verdutzt. Der Junge beachtet sie gar nicht weiter und spricht ins Leere: „Papa brennt.“ Jetzt ahnt die Mutter, was gerade in ihrem Sohn vor sich geht. Ron verarbeitet offenbar im Spiel die dramatischen Minuten, als ihn sein Vater, Sandro Eichner, auf dem Arm aus dem brennenden Haus getragen hat. Claudia Eichner kämpft mit den Tränen, als sie davon berichtet. „Ich versuche jetzt, psychologische Beratung zu bekommen“, sagt sie. Bisher wurde das noch von niemanden für nötig erachtet, weil das Verhalten ihrer Kinder „unauffällig“ sei. Dann erzählen sie und ihr Mann, was die Heidenauer Familie seit acht Monaten durchmachen muss.

Im Februar dieses Jahres musste die Feuerwehr anrücken, um das Feuer im Wohnzimmer des Hauses zu löschen. Seitdem folgt für die Bewohner ein Unheil dem nächsten.
Im Februar dieses Jahres musste die Feuerwehr anrücken, um das Feuer im Wohnzimmer des Hauses zu löschen. Seitdem folgt für die Bewohner ein Unheil dem nächsten. © Archivfoto: Marko Förster

Wohnzimmer in Flammen

Am 21. Februar dieses Jahres nahm das Drama seinen Lauf. Sandro Eichner werkelte im Wohnzimmer an seinen Terrarien. Geckos sind sein Hobby. Der Rest der Familie war arbeiten oder in der Schule. Der Kleinste war krank und machte im Obergeschoss des Hauses an der Beethovenstraße in Heidenau Mittagsschlaf. Damit der Zweijährige nicht in einem unbeobachteten Moment in den Garten läuft, hat der Papa die Haustür von innen abgeschlossen. Dann kommt es zu einer Art Verpuffung. In Sekunden steht das Wohnzimmer in Flammen, Sandro Eichner mitten drin. Die Wohnung füllt sich mit beißendem Rauch. Panisch rennt er nach oben, um Sohn Ron zu holen. Sie müssen wieder runter in den Rauch, um rauszukommen. Wo der Hausschlüssel liegt, kann er nicht mehr sehen. Er kämpft sich mit dem Kind auf dem Arm zur Veranda durch und türmt mit ihm aus dem Fenster. Dabei müssen wohl die Worte gefallen sein: „Nicht atmen!“.

Genau erinnern kann sich Sandro Eichner nicht mehr an jedes Detail. Bis heute ist unklar, was die eigentliche Brandursache war. „Die Ermittler konnten nichts Genaues finden“, sagt der 35-Jährige. Auf der Straße rief er einen Passanten zu Hilfe, der die Feuerwehr alarmierte. Nach wenigen Minuten waren die Rettungskräfte da. Vater und Sohn wurden mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren.

Schnell war klar, dass das Haus unbewohnbar ist. Sofort hatten sich Freunde angeboten, die Familie aufzunehmen – daraus wurden zwei Monate. Ihren Sohn konnte Claudia Eichner im Krankenhaus in den Arm nehmen. Er war unverletzt. Anders als Sandro Eichner. „Sie hatten ihn verbunden wie eine Mumie. Es stand sogar eine Transplantation zur Debatte“, sagt sie. Die Wunden verheilten, sind aber noch zu sehen. Doch das war erst der Anfang.

Verheerender Wasserschaden

Ins Haus durfte man nur noch mit Atemschutz. Am nächsten Tag wagte sich Claudia Eichner hinein. Überall hingen schwarze Fäden. „Sah aus wie Spinnweben“, sagt die 33-Jährige. Doch es waren giftige Rückstände von verbranntem Plastik. Selbst in der entferntsten Schublade im Dachboden war es innen angekommen. Alles war verloren. Für die fünfköpfige Familie wurden eilig das Nötigste des täglichen Bedarfs und warme Sachen eingekauft. Nachbarn und Freunde sammelten Spielzeug für die Kinder. Am Ende des Winters wurde es noch mal richtig kalt. Das war verheerend, denn in dem notdürftig beheizbaren Brandhaus platzte eine Wasserleitung im Obergeschoss. Ewig plätscherte Wasser ins Haus, das nun endgültig zur Ruine wurde.

Diebe reißen alles raus

Das Leiden sollte aber noch weitergehen. Bauleute entkernten das gesamte Gebäude – im Auftrag der Versicherung. Noch brauchbare Waschbecken und die Badewanne wurden im Garten abgestellt. Das leer stehende Haus hatten sich dann Diebe ausgeguckt. Erst wurde das Moped vom Grundstück gestohlen, das später woanders in Heidenau wieder aufgetaucht ist. Dann rissen Metalldiebe die kompletten Heizungsrohre raus. „Bis ran an die Wasseruhr ist alles weg“, sagt Sandro Eichner. Wer das ersetzen wird? Eichner ist ratlos. Bisher hielten sie sich für gut versichert. Für eine entsprechende Erstattung sollten sie sämtliche Haushaltsgegenstände auflisten. So entstand eine lange Excel-Tabelle. „Das war viel Arbeit, aber schlafen konnten wir vor Sorge ja sowieso nicht“, sagt Claudia Eichner. Nun wurde auch die im Vorgarten von den Bauleuten abgestellte Wanne geklaut.

Versicherung stellt sich quer

Mit der Hausratversicherung bei der Debeka lief es reibungslos. Mit dem ersten Vorschuss haben sie sich in ihrer Übergangswohnung in einem Plattenbau in Heidenau eingerichtet. Die Waschmaschine spendeten Freunde. Alles Weitere brauchen sie, wenn sie wieder in ihr altes Leben in ihrem Haus zurückkehren können. Doch daran ist noch lange nicht zu denken.

Die Gebäudeversicherung läuft über die Sparkassen-Versicherung in Dresden. Die stellte sich jedoch quer. Erst wurden die üblichen polizeilichen Ermittlungen abgewartet, die jedoch ergebnislos verliefen. Doch auch danach wurde der Schaden nicht reguliert. Angeblich hätten sie ihre Wohnfläche im Versicherungsvertrag falsch angegeben, hieß es nun. „Wir mussten uns eine Anwältin nehmen, obwohl jeder weiß, dass im Dachgeschoss die Grundfläche wegen der Schrägen nicht gleich die Wohnfläche ist“, sagt Sandro Eichner. Ein Eigenanteil wegen angeblicher Unterversicherung von Tausenden Euro drohte. Das konnte zwar inzwischen abgewendet werden, aber die Familie fühlt sich grundlos hingehalten. Dieser Streit mit der Versicherung ist für sie die größte Enttäuschung in ihrer schwierigen Lage.

Bauexpertin muss warten

Das Geld ist auch acht Monate nach dem Brand nicht geflossen. Jedenfalls nicht an Eichners. Die Versicherung hat mehr als 30 000 Euro an die Baufirma für die Entkernung gezahlt. Einfluss darauf hatten die Brandopfer nicht. „Keine Ahnung, ob es eine Bauabnahme gab und wer die Sanitäranlagen sichern sollte“, sagt Sandro Eichner. Jetzt sind noch 90 000 Euro übrig – wenn sie das Versicherungs-Deutsch im jüngsten Schreiben richtig verstehen. Damit muss der komplette Ausbau erfolgen. Ob das reicht und der Wasserschaden mit eingerechnet ist, wissen sie nicht. Für den Wiederaufbau haben sie sich Hilfe bei einer Bauingenieurin gesucht. Doch auch dafür hat die Versicherung bis heute keine Freigabe erteilt. Ohne Heizung droht im Winter weiterer Schaden.

Zum Haus, dessen Grundstück langsam verwildert, will keiner mehr gern gehen. Eigentlich müsste Sandro Eichner jetzt für seine Umschulung lernen. Doch immer wieder holen ihn und seine Frau die Sorgen ein, besonders um das Wohl der Kinder. Sie wollen endlich mit dem Bauen beginnen und irgendwann zur Ruhe kommen.