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Dokumente aus Nazi-Eliteschule gefunden

Überraschung im Backofen: Am Radebeuler Paradies wurde das Führungspersonal für eroberte Gebiete getrimmt.

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© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Es gibt kaum einen friedlicheren Ort in Radebeul als den am Paradiesweinberg. Dort, wo die Sonne auf die Reben scheint und gleich daneben große Laubbäume Schatten spenden, ist jetzt etwas zutage getreten, worüber in Radebeul wenig gesprochen wird. Eine der wichtigsten Elite-Schulen der Nazis war hier angesiedelt.

Die ehemalige Villa bekam einen Anbau. In dem Gebäude sind heute Privatwohnungen.
Die ehemalige Villa bekam einen Anbau. In dem Gebäude sind heute Privatwohnungen. © Norbert Millauer
Die Goldschmidt-Villa, in der die Schule war.
Die Goldschmidt-Villa, in der die Schule war. © privat

Mit dem Thema konfrontiert sah sich jetzt urplötzlich wieder Winzer Odo Kühn. Auf den Bergen, direkt am Sächsischen Weinwanderweg, bewohnt er mit seiner Frau ein kleines Fachwerkhaus. Stück für Stück saniert Kühn das Haus. Seit wenigen Tagen ist die Küche dran. Der Winzer: „Als ich an eine Ziegelwand klopfte, klang es hohl dahinter. Die Ziegel ließen sich ohne große Schwierigkeiten lösen.“

Hinter der zugemauerten Öffnung kam die eiserne Tür eines Backofens zum Vorschein. Kühn, der akribisch viele geschichtliche Stücke um seinen Hof sammelt, wühlte freilich auch im Innern des Backofens. „Ich wusste, dass unser Haus früher in einer Verbindung zur benachbarten Villa stand.“

Die Villa war in Radebeul als die Goldschmidt-Villa bekannt. Ein sehr vermögender Berliner Bankier, Joseph Goldschmidt, hatte sich das Gebäude 1894 errichten lassen. Sein Sommersitz abseits des Berliner Trubels in den Oberlößnitzer Weinbergen, eben direkt im Paradies.

Das Sommerparadies währte für die jüdische Familie Goldschmidt allerdings nur, bis die Nazis an die Macht kamen. Geschichtsbücher verzeichnen, dass der Besitz 1937 von den Nazis „arisiert“ wurde.

Zur Villa gehörte auch der bis über den Berg reichende Park. Goldschmidt hatte ihn mit Wasserspielen versehen lassen und in Teilen der Öffentlichkeit für Spaziergänge zugänglich gemacht. In dem kleinen Fachwerkhaus, welches Udo Kühn nach einem früher in der Nähe befindlichen Gebäude Jägerhof nennt, waren Hausmeister und Wirtschaftspersonal der Goldschmidts untergebracht. Auch zur NS-Zeit gehörten beide Grundstücke zusammen.

1939 ging das Goldschmidt-Areal an die Langemarck-Stiftung des Reichsstudentenwerks. Langemarck, heute Langemark, ist ein Ort im belgischen Flandern, in dem im Ersten Weltkrieg junge deutsche Soldaten mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in die Schlacht gezogen sind und im Maschinengewehrfeuer umkamen. Die Nazis pflegten den Mythos dieser Heereseinheit und benannten danach die Stiftung. Die Radebeuler Villa diente als Studentenwohnheim und Ausbildungsstätte für „politisch einwandfreie“ und fachlich besonders begabte Angehörige von Unter- und Mittelschicht für das sogenannte Langemarck-Studium. Udo Kühn: „Hier ist die Führungselite für die eroberten Gebiete ausgebildet worden.“

Das Anwesen wurde nach 1945 nicht an die Familie Goldschmidt zurückerstattet, es fiel an das Grundstücksamt der Stadt Radebeul. Auch zu DDR-Zeiten wurde die im Besitz der Stadt Radebeul befindliche Immobilie zu Ausbildungszwecken genutzt. Ende 1946 mietete der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) einen Teil der Räume, 1950 übernahm er das gesamte Anwesen und machte es zum „Eigentum des Volkes“. Die dort eingerichtete Gewerkschaftsschule erhielt 1951 den Namen „M. Andersen Nexö“.

Die Goldschmidtvilla ist heute im Privatbesitz. Sie bekam 2005 einen Anbau im gleichen Stil und wurde saniert. Bereits Mitte der 1990er-Jahre hatte die Stadt das große ehemalige Goldschmidt-Areal geteilt. Den Teil mit dem damals verfallenen Hausmeisterhaus kauften die Kühnes.

Doch von dem Geheimnis im Backofen wusste damals noch niemand. Offenbar hatten in den Wirren des Kriegsendes die Nazis auf die Schnelle versucht, Akten zu verbrennen. Das ist allerdings nur zum Teil gelungen. Als Udo Kühn den Inhalt im Backofen ausgeräumt hatte, kamen dabei rotgefärbte Papiere zum Vorschein. Deutlich ist darauf der Reichsadler mit dem Hakenkreuz zu erkennen. „Langemarck-Studium der Reichstudentenführung, Lehrgang Dresden, III. Vorauslese“ ist einer der Bögen überschrieben. Auf dem Bogen ist der Name eines Studenten Emil P. verzeichnet, geboren 1912 in Halle, der im „Sudetengau“, dem heutigen tschechischen Staatsgebiet, unter Reichsstatthalter Konrad Henlein zum Einsatz kam.

Udo Kühn will die Funde demnächst dem Radebeuler Stadtarchiv anbieten. Dessen Leiterin Annette Karnatz ist hoch erfreut: „Wir haben zu dem Thema kaum was da bei uns. Da ist ja sehr viel vernichtet worden. Die letzten Hinweise gab es kurz nach der Wende, als uns zwei ehemalige Absolventen der Langemarck-Schule besuchten.“