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Dieser Sachse will nach Tokio

Der querschnittsgelähmte Lars Hoffmann zählt zu den besten deutschen Handbikern – mit 48 hat er nun ein neues Ziel.

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© Robert Michael

Von Maik Schwert

Er dreht wieder seine Runde – so wie jeden Morgen. Gut 60 Kilometer rund um Weinböhla. Lars Hoffmann ist etwa zwei Stunden unterwegs, mal ein bisschen länger, mal etwas kürzer. „Das hängt von der Tagesform ab“, sagt er. Er ist jetzt 48 Jahre alt und will wissen, ob er es in seinem Alter noch schaffen kann: nach ganz oben, zu den Paralympics 2020 in Tokio. Ein sportliches Ziel, wie er es sich früher so wohl nicht gesetzt hätte.

Der Blick zurück ist wichtig. Im Straßenverkehr ist Hoffmann mit einer Fahne und Rücklicht unterwegs.
Der Blick zurück ist wichtig. Im Straßenverkehr ist Hoffmann mit einer Fahne und Rücklicht unterwegs. © Robert Michael
Erst mit der Behinderung hat der 48-Jährige zum Sport gefunden. Jetzt sind die Paralympics sein Ziel.
Erst mit der Behinderung hat der 48-Jährige zum Sport gefunden. Jetzt sind die Paralympics sein Ziel. © Robert Michael

Doch seit seinem Unfall mit dem Motorrad 2004 ist alles anders. Hoffmann raste nicht, wie er betont, trotzdem kam er von der Straße ab. Seitdem ist er querschnittsgelähmt – und froh, überhaupt überlebt zu haben. „Ich weiß noch, wie ich wach lag und dachte: Wenn du diese Nacht überstehst, dann hast du es gepackt.“

Er schafft es. Hoffmann zieht in ein behindertengerechtes Haus. Seinen Beruf kann der Kraftfahrzeugmeister nicht mehr ausüben. Er gibt das Motorradgeschäft auf und entdeckt das Handbiken für sich. Es beginnt 2008 als Therapie gegen Rückenbeschwerden und entwickelt sich zu einer Leidenschaft. Der Unerfahrene meldet sich für den ersten Halbmarathon in Dresden an. „Ich wusste nicht, dass so viele Muskeln in meinem Körper sind, die noch schmerzen können, kam aber ins Ziel.“

Anfangs die weiten Strecken

Das Anfeuern, der Wettbewerb, die Atmosphäre – all das gefällt ihm. Das Handbiken tut seinem Körper gut. Es macht ihn agiler und fitter für die Herausforderungen seines Alltags. Das Herausheben aus dem Rollstuhl ins Auto oder Bett – alles mit der Kraft der braun gebrannten Oberarme – fällt ihm immer leichter. Seit 2009 betreibt Hoffmann das Handbiken professionell.

Der Sport treibt ihn an, anfangs nach dem Motto: weiter und schneller. In Heidelberg bestreitet er seinen ersten Marathon. Die Schnellsten benötigen keine 60 Minuten. Hoffmann braucht anderthalb Stunden. Heute steht seine Bestzeit bei 67 Minuten. Er gehört inzwischen zu den stärksten deutschen Handbikern. 2011 startet er beim Styrkepröven. Norwegens bekanntester Radmarathon führt über 540 Kilometer von Trondheim nach Oslo. „Das klingt gut. Da fahre ich mit und will unter 30 Stunden bleiben.“ Gesagt, getan. Nach 28:48 Stunden erreicht er das Ziel.

2012 fährt er nonstop im Handbike durch Deutschland: von Hamburg nach Creußen bei Bayreuth – 700 Kilometer in 46:30 Stunden. Seine Aktion diente als Spendenmarathon für Karina, ein Mädchen mit Downsyndrom, das 2004 auf die Welt kam – in dem Jahr also, als er verunglückte. Hoffmann verbindet den Sport mit einem sozialen Engagement. Sein 24-Stunden-Weltrekordversuch im September 2013 auf dem Lausitzring scheitert zwar, aber er erfüllt trotzdem seinen guten Zweck. Dieses Mal sammelt er Geld für von der Flut betroffene Kinder in der Region. Mit seinen Projekten erreicht er Aufmerksamkeit für Behinderte und entwickelt mit dem Großenhainer Betrieb Multikon einen Rasenmäher für Menschen mit Handicap.

Inzwischen sind die Strecken kürzer, er aber schneller. Hoffmann trainiert „wie verrückt“, weil er weiß: Spitzenfahrer liegen 20 bis 25 Stunden pro Woche im Handbike. Dazu kommen internationale Rennen. Er siegt 2015 bei der EM und nimmt an Weltcups teil. Das finanziert und organisiert er selbst. Sponsoren und sein Klub, der SV Elbland Coswig-Meißen, helfen ihm, seine Familie unterstützt ihn. Barbara, seit Mai seine Frau, ist bei Wettkämpfen genauso häufig dabei wie die Kinder, „obwohl es für sie langweilig ist, ständig am Straßenrand zu stehen“. Er sagt aber auch: „Der Sport gibt mir etwas zurück. Das mache ich nicht nur an Podiumsplätzen fest.“

Aufgeben ist keine Option

Als bestes Beispiel dient ihm der Miami-Marathon Ende Januar. Gleich am Start bricht die linke Kurbel ab. „Ich dachte: Du bist nicht um die halbe Welt geflogen, um nach zehn Metern aufzugeben“, sagt Hoffmann. Er dreht auf der rechten Seite weiter – im Dunkeln, bei Kälte und Regen. Den Gedanken, nach der Hälfte auszusteigen, findet er „doof“, erreicht das Ziel nach 2:10 Stunden als 23. von 45 Startern.

Aufgeben gehört nicht zu seinen Optionen. „Wenn ich etwas anfange, dann mache ich es richtig. So ist das auch mit dem Sport. Ich will zeigen, was mit dem Handbike alles möglich ist.“ Hoffmann ist ein Optimist. Er glaubt an Heilung seiner Querschnittslähmung und wirbt als Botschafter für Wings for Life, eine gemeinnützige Stiftung für Rückenmarksforschung. Nachts, wenn Hoffmann träumt, gibt es keinen Rollstuhl: „Im Unterbewusstsein ist das vielleicht noch gar nicht angekommen.“

Es passiert viel auf dem Gebiet. Spitzenforscher tauschen sich immer häufiger aus. Auch er arbeitet mit Wissenschaftlern zusammen. Die Sporthochschule in Köln hilft ihm. Sie erstellt Trainingspläne. Studenten analysieren Bewegungsdaten und Herzfrequenzen und sagen Hoffmann, wie viele Kalorien er täglich zu sich nehmen muss, um nicht abzumagern. „Das ist natürlich auch sehr effektiv für mich, um noch Reserven zu entdecken.“

Für Tokio 2020. „Das ist ein schönes Ziel“, meint er. Für die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro genügte seine Zeit noch nicht. Doch nun weiß er, „wie die Uhren im Leistungssport ticken“. Und dreht seine Runden.