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Dieser Aufzug biegt ab

Der weltweit erste seillose Fahrstuhl soll bald in einem Neubau in Berlin installiert werden. Sein Aussehen geben ihm Dresdner Wissenschaftler.

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© TU Dresden

Von Jana Mundus

Hoch und runter geht es seit über 160 Jahren. Im Jahr 1853 erfand der US-Amerikaner Elisha Graves Otis den ersten absturzsicheren Aufzug. Damit brachte er seine Mitmenschen aber erst einmal ins Schwitzen. Otis hatte wohl einen besonderen Sinn für Humor. Bei einer Demonstration vor Publikum befand er sich in seiner Erfindung und ließ seinen Assistenten das einzige Tragseil durchschneiden. Die Zuschauer schrien vor Angst, der Aufzug fiel nach unten – und bremste sich von selbst ab. Seitdem steigen Menschen gern ein, um sich das Treppensteigen zu ersparen. Hoch und runter reicht bald aber nicht mehr aus. Ingenieure und Wissenschaftler bauen derzeit am Aufzug der Zukunft. Der kann mehr. Sein Aussehen wird in Dresden entwickelt.

Es soll der erste seillose Aufzug der Welt werden. „Multi“ nennt das deutsche Unternehmen Thyssenkrupp Elevator sein Aufzugsystem. Mittels moderner Technologie ermöglicht es erstmals, dass mehrere Kabinen im selben Aufzugschacht vertikal und horizontal unterwegs sind. Sie bewegen sich damit also nicht nur rauf und runter, sondern können auch nach links oder rechts fahren. Es lässt sich erahnen, wie die die Zukunft funktionieren könnte. Benachbarte Hochhäuser etwa könnten durch diese Transportsysteme miteinander verbunden werden. Von Etage eins ins Stockwerk zehn des Nebengebäudes? Wahrscheinlich schon bald kein Problem mehr. Wie genau die Kabinen aussehen, in die die Fahrgäste dann einsteigen, haben sich Wissenschaftler aus dem Bereich Technisches Design der TU Dresden ausgedacht. Für ihre Leichtbaukabine erhielten sie jetzt den Designpreis Baden-Württemberg „Focus Silver“, einer der renommiertesten deutschen Designwettbewerbe mit internationaler Ausrichtung.

Die Technischen Designer um Jens Krzywinski hatten die Aufgabe, ein modernes und transparentes Aussehen für die Kabine zu entwerfen. Dabei mussten sie vor allem eine Besonderheit im Blick haben: den Antrieb des Aufzugsystems. Der basiert auf der Linearmotortechnologie, die ursprünglich für die Magnetschwebebahn Transrapid entwickelt wurde. Der Antrieb und auch das Leitgestänge, auf dem sich die Kabine bewegt, können sich um 90 Grad drehen. So fahren mehrere Kabinen problemlos in einer Dauerschleife auf einer Seite hinauf und auf der anderen hinunter. Wer diesen Fahrstuhl ruft, muss in Zukunft also nicht mehr lange warten.

Eine Herausforderung für die Dresdner Designer war dann auch der Linearmotor, der in der Kabine verbaut ist. Für den ist nämlich eine Gewichtsgrenze festgelegt, die die zu transportierende Kabine haben darf. Wie leicht kann sie also sein, wenn sie gleichzeitig stabil sein muss, war die Frage. Die TU-Entwickler entschieden sich, die Wände der Kabine aus carbonfaserverstärktem Kunststoff herzustellen – ein Material mit hoher Festigkeit bei vergleichsweise geringem Gewicht.

So wurde es möglich, in die nur wenige Millimeter dicke Wand eine Vielzahl von technischen Funktionen wie Be- und Entlüftung, Beleuchtung sowie ein Soundsystem zu integrieren. Bei aller Technik aber besonders wichtig: die gute Sicht. Die ist wichtig für die Orientierung während der Fahrt. Vor allem auch, weil sie sich eben von einer Fahrt in einem normalen Aufzug unterscheidet. Große Fenster ermöglichen den Passagieren einen Blick nach draußen, auch beim ungewohnten Fahrtrichtungswechsel. Ein großformatiges Touch-Bedienfeld zeigt neben der Fahrtroute eine Vielzahl weiterer Informationen. Die Bewegung der Kabine, die Fahrtrichtung und auch die Geschwindigkeit werden durch die Kabinenbeleuchtung veranschaulicht. Das soll die Fahrt künftig dann auch noch unterhaltsam machen.

Dass das Konzept jetzt einen Designpreis bekam, freut die Wissenschaftler. Die Jury honorierte vor allem auch, dass das Konzept integrativ gedacht ist. So dient die Wabenstruktur der Wände nicht nur der Aussteifung, sondern auch als Haltegriff für die Passagiere. „Dass die Jury insbesondere die Integration funktionaler und gestalterischer Elemente gewürdigt hat, zeigt, was mit einem kooperativen Ansatz von Konstruktion und Design möglich ist“, sagt Jens Krzywinski, Juniorprofessor für Technisches Design an der Fakultät Maschinenwesen der TU Dresden. In den vergangenen Monaten wurde weiter an der Gestaltung gearbeitet. „Das neue Design ist noch besser geworden“, ergänzt er.

Bereits im Februar wurde die Leichtbaukabine mit dem German Design Award 2018 ausgezeichnet. Die Composyst GmbH aus Bayern setzte den Entwurf der TU-Designer um. Das Lichtkonzept steuerte die Agentur Neongrau bei, ebenfalls aus Dresden. Schon in wenigen Jahren steigen die ersten Fahrgäste in den Fahrstuhl der Zukunft ein. Aktuell erproben Ingenieure das neue Transportsystem in einem Testturm in Rottweil. 2021 wird es erstmals in Berlin eingebaut.