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Diego in Leipzig

1988 trifft Lok im Europacup auf den SSC Neapel und Maradona. 30 Jahre später will RB ins Achtelfinale – mit Diego.

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© WORBSER-Sportfotografie

Von Daniel Klein

Die Paarung ruft Erinnerungen wach, das geht gar nicht anders. Leipzig gegen Neapel – das waren keine normalen Europapokalabende vor 30 Jahren. Diego Armando Maradona, der weltbeste Fußballer, der Superstar, dribbelt vor mehr als 80 000 Zuschauern im Zentralstadion. Der 1. FC Lok scheidet zwar in der zweiten Runde des Uefa-Pokals aus, die Partien aber sind trotzdem Ereignisse.

Lok-Verteidiger Matthias Lindner (Mitte) versucht Neapel-Star Diego Maradona zu stoppen. Rechts wartet Careca auf den Pass. Das Hinspiel 1988 endet 1:1.
Lok-Verteidiger Matthias Lindner (Mitte) versucht Neapel-Star Diego Maradona zu stoppen. Rechts wartet Careca auf den Pass. Das Hinspiel 1988 endet 1:1. © picture alliance / ZB

Lok spielt längst nicht mehr international, nach zwei Insolvenzen und Namensänderungen inzwischen aber immerhin viertklassig. Leipzig ist nun mit RB vertreten, bekam den Gegner aus der süditalienischen Hafenstadt in der K.o.-Runde der Europa League zugelost. Am Donnerstag bestreiten die Rasenballer das Hinspiel beim Tabellenersten der Serie A, eine Woche später kommt der SSC ins Zentralstadion, das inzwischen Red-Bull-Arena heißt.

Heiko Scholz, der ehemalige Mittelfeldspieler und jetzige Trainer von Lok, wird dann auf der Tribüne sitzen – aber nicht in Erinnerungen schwelgen, sagt er. „Die Zeiten damals waren einfach andere und Lok eine Bezirksauswahl, die gegen eine mit Stars gespickte Weltauswahl antrat.“ Unter all den prominenten Namen beim Gegner stach Maradona noch hervor. Der Argentinier, zwei Jahre zuvor Weltmeister geworden, benahm sich in Leipzig auch wie ein Superstar. „Er machte die Erwärmung allein und kam dann gefühlt zehn Minuten später aus der Kabine als alle anderen. Seine Schuhe waren offen, die Stutzen hingen am Knöchel, 50 Fotografen verfolgten ihn. Und wir mussten warten, bis Monsieur endlich fertig war“, erinnert sich Scholz.

Beim Hinspiel in Leipzig geht Lok durch einen Kopfball von Matthias Zimmerling in Führung, doch Maradona leitet nur fünf Minuten später den Ausgleich ein. „Das 1:1 war ein gerechtes Ergebnis“, sagt Scholz rückblickend. Und das fand auch Maradona damals. „Ein großes Publikum, eine starke Leipziger Mannschaft, und wir haben nicht verloren. Ich war leicht verletzt, deshalb konnte ich nicht alles von meinem Können zeigen“, ist alles, was sich der Superstar, abgeschirmt von seinen Bodyguards, entlocken lässt. „Wir werden weiterkommen“, schob er noch nach. Damit behielt er recht.

Beim Rückspiel soll sich Scholz um den Ausnahmefußballer kümmern. „Ich hatte die Arschkarte gezogen, sollte ihm 90 Minuten hinterherrennen. Zwar war ich damals noch flink und aggressiv, aber gegen ihn  ... Er war schon eine Ausnahme.“ Trotz seiner Aufgabe als Maradonas Sonderbewacher trifft Scholz zum Endstand. „Der einzige Treffer von mir im Europapokal“, erzählt er und schmunzelt: „Aber leider ins eigene Tor.“ Das 0:2 besiegelt das Aus für Lok. „Wir sind verdient rausgeflogen, Neapel war einfach eine Nummer zu groß für uns.“ Was damals noch niemand ahnt: Das Spiel ist das letzte einer Leipziger Mannschaft im Europacup für rund 29 Jahre.

Nach der Wende gerät der Fußball meist nur noch im Zusammenhang mit der erbitterten Rivalität zwischen den Stadtnachbarn Lok und Chemie in die Schlagzeilen, sehr oft geht es auch um Schulden und Insolvenzen. Lok muss ganz unten, in der Kreisliga C, neu starten. „Wir sind ein Traditionsverein, haben eine Geschichte, auf die wir stolz sind“, sagt Scholz. „Aber von Tradition kann man sich nichts kaufen.“ Das große Geld fließt jetzt beim 2009 gegründeten Red-Bull-Ableger Rasenballsport, der es seitdem von der fünften Liga in die Champions League geschafft hat.

Als Gruppendritter rutschte RB in die Runde der letzten 32 in der Europa League. Sein Verhältnis zum reichen Nachbarn ordnet Scholz unter „entspannt“ ein. „Man kann sie mögen oder nicht, sie sind nun mal da und werden auch nicht mehr verschwinden. Natürlich haben sie viel Geld, machen es inzwischen aber auch gut“, findet der 52-jährige Görlitzer, der von 1990 bis 1992 für Dynamo und 1999/2000 für den Dresdner SC gespielt hatte.

In diesen Tagen erzählt er seine Geschichte von den Begegnungen mit Maradona öfter. „Gegen Neapel war die halbe DDR im Stadion, weil alle ihn sehen wollten. Wir haben uns immer riesig auf die Mittwoch-Spiele gefreut und auch auf die Stimmung in dem riesigen Rund“, sagt Scholz, ohne dabei sentimental zu wirken.

Wenn er in einer Woche auf der Tribüne sitzt, wird womöglich Diego auf dem Platz stehen – Diego Demme, RB-Mittelfeldspieler, Jahrgang 1991, Vater Süditaliener und großer Maradona-Fan. Einen Namen für seinen Sohn musste er nicht lange suchen. Am Mittwoch steigt Demme nach auskurierter Erkältung in den Flieger nach Neapel. Diego und Leipzig – die Geschichte geht weiter.

TV-Tipp: Sport 1 überträgt am Donnerstag ab 21 Uhr.