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Die Zwänge eines Olympiasiegers

Der Dresdner Ruderer Tim Grohmann kündigt das Ende seiner Karriere noch nicht offiziell an, aber es sprechen viele Gründe dafür.

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© Arvid Müller

Von Alexander Hiller

Er erscheint verschwitzt zum Termin. Tim Grohmann kommt direkt vom Training. Dabei hat der Ruder-Olympiasieger von 2012 sein Saisonziel bereits klar verfehlt. Die Weltmeisterschaft wird im September in Plowdiw ohne den 29-Jährigen vom Dresdner Ruderclub stattfinden. „Ich trainiere dennoch täglich“, sagt er. Aber nicht unbedingt im Boot. Laufen, Radfahren, Krafttraining.

Es mehren sich die Anzeichen, dass diese erfolglose Saison 2018 die letzte in einer großen aktiven Karriere sein wird. Dafür sprechen gleich mehrere Gründe. Grohmann wird nach diesem Jahr seinen Status als O-Kader im Deutschen Ruderverband (DRV) einbüßen – das O steht für Olympia. Die regelmäßige Zahlung der Sporthilfe entfällt damit ersatzlos. Der gebürtige Dresdner bezieht seinen hauptsächlichen Lebensunterhalt als Sportsoldat von der Bundeswehr. „Es ist noch nicht 100-prozentig raus, wie und ob es da weitergeht“, sagt er. Verpflichtet ist er zunächst bis zum 30. September. „Ich weiß noch nicht, ob ich nächstes Jahr weitermachen möchte.“

Das wiederum hängt entscheidend vom Privatleben ab. Im kommenden Frühjahr will der dreifache WM-Medaillengewinner sein Sportwissenschaftsstudium abschließen. Dann sind er und seine Lebensgefährtin Julia Feist bereits junge Eltern. Der Geburtstermin für den gemeinsamen Sohn, verrät Grohmann breit lächelnd, ist am 22. August. Es ist also kein Wunder, dass dem Profisportler ein Satz über die Lippen kommt, der wenig kämpferisch klingt. „Mittlerweile“, sagt er, „bin ich auch froh, dass ich zu Hause sein kann.“

Finanziell wäre die kleine Familie, die in Pesterwitz in idyllischer Ruhe wohnt, abgesichert. Da der Schützling von Egbert Scheibe bereits seit zehn Jahren als Sportsoldat beschäftigt ist, könnte der Stabsunteroffizier drei Jahre ein Übergangsgeld von 75 Prozent beziehen. „Da wäre ich abgesichert, stünde nicht mit leeren Händen da.“ Die sind nach wie vor mit Schwielen übersät, Rudern ist eine Knochenmühle, sechs Stunden Training täglich. „Das Ziel in dieser Saison war ein anderes, ich wollte zu dieser WM“, sagt der Olympiasieger mit dem Doppelvierer. Für einen Platz im Großboot müssen allerdings im Frühjahr bei den nationalen Qualifikationsrennen die Einer-Leistungen stimmen. Das klappte diesmal nicht. „Ich war im Einer nie Spitze, dafür aber in anderen Parametern vorn. Es hat nicht gereicht“, erklärt Grohmann keineswegs bedrückt. „Im Nachhinein bin ich nicht unglücklich. Ich war seit elf Jahren im Sommer nicht mehr daheim“, sagt er. Deshalb kann er die unfreiwillige Wettkampfpause sogar genießen.

Und das kann er auch künftig. Dafür sorgt ironischerweise auch der DRV mit einer klaren Forderung. „Falls ich mir noch das Ziel Olympia 2020 stellen würde, müsste ich ab November nach Hamburg“, erklärt der Routinier. Am Bundesstützpunkt soll die Elite gemeinsam und zentral entwickelt werden. Die Leistungssportreform zwingt zum Sparkurs, zum Zusammenrücken. „Um alles Drumherum hätte ich mich privat kümmern müssen“, sagt Grohmann. Wenngleich er vorübergehend im Olympiastützpunkt in eine WG hätte einziehen können – als frisch gebackener Vater. Die Mehrkosten würden im Idealfall knapp 450 Euro betragen. „Es ist relativ klar, dass ich nicht nach Hamburg gehe, von daher ist die Tendenz auch klar.“

Es wird eine Entscheidung für die Familie, gegen das Rudern. Zumindest als Aktiver. Gerade hat Grohmann zwei Wochen Trainerpraktikum hinter sich – an der Seite von Landestrainerin Regine Rieß betreute er die heimischen Junioren bei der deutschen Nachwuchsmeisterschaft. „Hat mir sehr viel Spaß gemacht“, erklärt der Trainer-Novize. Der Landesruder-Verband Sachsen signalisierte, dem verdienten Athleten eine Stelle zu beschaffen oder zumindest bei der Suche behilflich zu sein.

Er wirkt nicht wehmütig, sondern mit sich im Reinen. Es warten schließlich wieder Herausforderungen – ganz anderer Art. Ob er dabei auch ins Schwitzen gerät?