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Die Zahl der Obdachlosen steigt

Die Stadt Dresden stellt ihr neues Konzept zur Hilfe für Wohnungslose vor. Daran gibt es viel Kritik.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Ein alter Schlafsack liegt früh am Morgen im Alaunpark, an den Elbwiesen in der Johannstadt knistert eine Plane im Wind. Notdürftig ist sie zwischen zwei Bäumen gespannt – zum Schutz vor der Kälte in der Nacht. Diese stummen Zeugen sind oft das Einzige, was von den Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, zu sehen ist. Sie sind wohnungs- oder obdachlos. Wohnungslos sind Menschen, die keine eigene Wohnung haben, sondern beispielsweise in Heimen leben. Von obdachlos spricht man bei Personen, die auf der Straße oder Abrisshäusern schlafen.

Wie ist die Situation dieser Menschen und wie will die Stadt ihnen helfen? Am Dienstagnachmittag fand eine Expertenanhörung zum neuen Wohnungsnotfallhilfekonzept im Sozialausschuss statt.

Wie viele Wohnungslose gibt es aktuell in der Stadt?

Die Zahl der Obdachlosen steigt. Aktuell leben rund 320 Menschen auf der Straße, 2010 waren es noch hundert weniger. Die Verwaltung erfasst aber nur diejenigen, die sich wohnungslos melden. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, denn Viele scheuen den Kontakt mit den Behörden. 2016 waren bundesweit rund 860 000 Menschen ohne Wohnung – seit 2014 ist dies ein Anstieg um fast 150 Prozent, so die Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Auch die Zahl der wohnungslosen Dresdner steigt. In den Übergangswohnheimen, acht gibt es derzeit, schlafen pro Nacht etwa 282. 2010 waren es rund 200.

Was sind die Gründe für den Anstieg

Ein Grund ist die Zuwanderung. Rund 12 Prozent der Obdachlosen sind EU-Bürger. Experten beobachten einen Anstieg von Obdachlosen aus Polen, Rumänien und der Slowakei. Laut Christian Knappe vom Sozialamt sind aber auch die steigenden Mieten und der sinkende Leerstand Ursachen. „Aus Angst vor Verurteilung oder der Antragsflut trauen sich viele Wohnungslose nicht zum Amt“, so Gerd Grabowski, Leiter der Nachtcafés. Außerdem nennen die Sozialpädagogen: Trennungen, Drogen, Alkohol und Schulden.

Was schlägt die Stadt in ihrem Konzept vor?

Es sind mehrere Dinge geplant. Zum einen sollen noch mehr Menschen von der Straße in die Einrichtungen geholt und deren Ängste davor abgebaut werden. Die Zahl der Übergangswohnungen soll in den nächsten Jahren um 20 erhöht werden, so Knappe. Außerdem werden in allen Wohnheimen mehr Einzelzimmer geschaffen, in Summe 45. Zudem kommt mit dem Heim in Klotzsche auf der Straße Zur Wetterwarte ein Objekt dazu.

Für die „Problemfälle“, also Menschen, die in den anderen Wohnheimen durch Gewalt aufgefallen sind, soll ein „Übernachtungshaus“ mit einem Tagestreff etabliert werden. 20 Plätze entstehen, eine Immobilie dafür gibt es aber noch nicht. Es soll 24 Stunden täglich mit Sozialpädagogen besetzt sein und von einem freien Träger betreut werden, schlägt die Verwaltung vor. Kritiker des Konzepts wie Michael Hagedorn, Sozialarbeiter aus dem Übergangswohnheim in der Hubertusstraße, befürchten, damit einen Brennpunkt zu schaffen. „Pfercht man alle schwierigen Fälle in ein Haus, gibt es noch mehr Konfliktpotenzial unter den Bewohnern“, so Hagedorn in der Anhörung. Es sei aktuell schon schwierig, manche Obdachlose mit Drogen-und Alkoholproblemen zu bändigen.

Wo gibt es die drängendsten Probleme?

Laut Stadt konsumiert ein Großteil der Menschen, die aktuell in Übergangswohnheimen untergebracht sind, Drogen und Alkohol. Daher sei es zwingend nötig, mit Suchtberatungsstellen zu kooperieren. Damit soll 2019 begonnen werden. Außerdem nimmt der Anteil unter den Wohnungslosen, die einen akuten Pflegbedarf haben, immer weiter zu, so Christian Knappe vom Sozialamt. In den Einrichtungen werden sechs Zimmer geschaffen, die barrierefrei sind. Doch in Einzelfällen entlassen sich Obdachlose aus Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen selbst und müssen dann in den Heimen versorgt werden.

Aktuell werden die Menschen von verschiedenen Pflegediensten betreut. Hier soll noch besser an einer Kooperation gearbeitet werden. Michael Schulz von der Diakonie sieht die Gefahr, die Menschen, die zum Teil aus psychischen Gründen pflegebedürftig sind, sonst nicht mehr zu erreichen. „Sie brauchen mehr Schutz.“