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Die wetterfühlige Orgel

Das Instrument in der Kirche von Mikulasovice kurz hinter der Grenze in Sebnitz ist eine Rarität mit Eigenheiten. Am Sonntag ist es zu erleben.

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© Roman Klinger

Von Steffen Neumann

Mikulasovice. Patrik Engler scheint in sich versunken, wie er auf der Orgel in der Nikolaikirche (kostel Svateho Mikulase) in Mikulasovice (Nixdorf) spielt. „Das ist meine liebste Orgel“, gesteht er. Als Organist der Pfarrgemeinde Dolni Poustevna (Niedereinsiedel) hat er eine Handvoll Orgeln zu bedienen, denn zur Gemeinde gehört nicht nur Mikulasovice, sondern auch noch weitere Orte in der Umgebung. Immerhin, jede Kirche hat ihre Orgel, doch für Engler ist keine so besonders wie die in Mikulasovice, und das gleich aus mehreren Gründen.

1901 war die Orgel von Mikulasovice die drittgrößte im damaligen Böhmen.
1901 war die Orgel von Mikulasovice die drittgrößte im damaligen Böhmen.
Auch das Gotteshaus gehört zu den größten in der Region.
Auch das Gotteshaus gehört zu den größten in der Region. © Steffen Neumann

„Die Orgel in Sluknov (Schluckenau) ist zwar noch größer, aber keine Orgel hat so weiche Töne, wie diese hier.“ Das kommt von den Registern, die noch „romantisch gestimmt sind“, wie Roman Klinger erklärt, der sich im Ort um die Orgel kümmert. Insgesamt hat das Instrument fast 2 200 Pfeifen und 36 Register. „Die tiefen Töne reichen hier bis zur 32-Fuß-Lage“, sagt Engler. Für diese kaum hörbaren, aber umso mehr durch die von ihnen erzeugte Vibration spürbaren Töne sorgt die Reihe der größten Orgelpfeifen aus Holz.

Und noch eine Besonderheit hat diese 1901 von der Firma Rieger aus Krnov (Jägerndorf) gebaute Orgel. Sie ist mit einer pneumatischen Traktur ausgestattet. Von den Tasten und Registern führen dünne Bleiröhrchen vom Spieltisch zum Orgelprospekt. Die Luft darin löst bei Betätigung Hebel und Ventile aus und bringt so die Pfeifen zum Klingen. Im Unterschied zur mechanischen Traktur schlägt der Ton unmittelbarer an. Engler führt den Effekt vor. Seine Finger gleiten über die Tasten und scheinen sie kaum zu berühren. „Das kommt von der pneumatischen Traktur, sie spielt sich ganz leicht.“

Doch so eine Traktur hat laut Roman Klinger einen großen Nachteil: „Sie ist von der Temperatur und der Feuchtigkeit abhängig.“ Perfekt ist feuchtes und kühles Klima. Große Trockenheit wie diesen Sommer ist nicht nur schlecht für die Natur, sondern auch für eine Orgel wie jene in Mikulasovice. Je trockener, desto weniger Töne erklingen. „Oder es entstehen unliebsame Nebengeräusche“, weiß Klinger. Er kommt möglichst jeden Tag in die Kirche. Denn der Orgelbauer hat ihm gesagt, dass eine Orgel jeden Tag gespielt werden muss, damit sie nicht kaputtgeht. „Orgelspielen ist für das Instrument eine Art Wartung“, sagt der Autodidakt. „Ich hatte zwar einmal drei Jahre Klavierunterricht, aber das Orgelspiel musste ich mir völlig neu beibringen“, erzählt er. Das ist ihm das majestätische Instrument aber auch wert, denn Klinger gehört zu jenen, die vor fast zehn Jahren dafür sorgten, dass die Orgel überhaupt wieder erklingt.

Am Ende verstummte sie ganz

„Die Orgel war schon lange in einem schlechten Zustand. Sie wurde ja nie gepflegt“, erzählt er. In den 1970er-Jahren gab es noch einmal einen Versuch, ein Orgelkonzert zu veranstalten. Aber dafür war die Orgel zu anfällig. Der 30-jährige Klinger kennt erst die jüngere Vergangenheit aus eigenem Erleben. „Je nach Wetter spielte die Orgel zur Messe oder nicht.“ Am Ende ging gar nichts mehr und es kam ein nicht minder altes Harmonium zum Einsatz. Wie das in der riesigen Kirche klang, mag man sich lieber nicht vorstellen.

„Die Heimatvertriebenen, die sich alle zwei Jahre hier trafen, waren es, die die Orgel-Restaurierung anstießen und finanziell unterstützten“, erinnert er sich. Sie hatten bereits viel Geld in die Erneuerung der Kirche gesteckt. Viele von ihnen waren schon sehr alt.

„Aber dieses eine Mal wollten sie uns noch helfen.“ Klinger war der Koordinator auf tschechischer Seite. In einem Kraftakt gelang es, die mehr als 40 000 Euro bei Kulturministerium und Deutsch-tschechischem Zukunftsfonds aufzutreiben. An das erste Mal, als die Orgel wieder erklang, erinnert sich Klinger noch wie heute. „Es war Ostern, die Orgel war noch nicht fertig. Aber das reichte schon, dass ich Gänsehaut bekam“, sagt er.

Ein so altes Instrument bedarf aber ständiger Pflege. „Einmal im Jahr bestellen wir den Orgelbauer, der die Sommer-Schäden wieder beseitigt“, sagt Klinger. Das kostet Geld, das die Gemeinde gar nicht hat. In der Regel springt die Stadt ein. „Damit alle etwas von der frisch gestimmten Orgel haben, veranstalten wir seitdem immer ein Orgelkonzert“, sagt Klinger. In diesem Jahr sind es sogar zwei, denn das Musikfestival Lipa Musica hat das seltene Instrument in sein Programm aufgenommen. „Dafür musste der Stimmer extra anreisen.“

Das reguläre Konzert findet am Sonntag statt. Der führende tschechische Organist Pavel Cerny spielt dann Werke von Bach, Franck, Wagner und Janacek. Die breite Öffentlichkeit weiß noch zu wenig von der Orgel, so Klinger. „Aber Organisten kommen sehr gern zu uns. Und einer würde die Orgel am liebsten mit nach Prag nehmen, weil es dort kaum noch historische Orgeln gibt“, verrät Klinger nicht ohne Stolz. Er und Patrik Engler haben die Orgel jeden Tag.

Orgelkonzert: Pavel Cerny spielt am 28. Oktober im Rahmen des Tschechischen Orgelfestivals, Beginn 17 Uhr.