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Die verordneten Musikfestspiele

Die Partei- und Staatsführung der DDR haben sie vor 40 Jahren eingeführt. Sie haben sich bravourös gehalten.

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© SZ/Werner Mohn

Von Ralf Hübner

Stehend applaudiert: Im ausverkauften Dresdner Kulturpalast haben die Gäste des diesjährigen Eröffnungskonzertes die Königliche Kapelle Kopenhagen unter Hartmut Haenchen gefeiert. Applaus im Stehen gab es auch, als vor 40 Jahren die Musikfestspiele erstmals über die Dresdner Bühnen gingen.

Nach der festlichen Eröffnung im Rathaus stand am Abend des 20. Mai 1978 die Neuinszenierung von Claude Debussys „Pelleas und Melisande“ unter der Regie von Harry Kupfer auf dem Programm. Der große Höhepunkt der Festspiel-Premiere aber war das Gastspiel der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan, die im Kulturpalast mit Beethovens 4. Sinfonie sowie Richard Strauss‘ Sinfonischer Dichtung „Ein Heldenleben“ aufwarteten. Das Publikum feierte den applausverwöhnten Dirigenten mehr als 20 Minuten lang.

Vor dem Konzert waren diffizile diplomatische Fragen zu klären, wie sich der Gründungsintendant der Musikfestspiele, Winfried Höntsch, erinnert. „Nach der Berlin-Ideologie der DDR war es nicht opportun, dass ein so berühmtes Orchester mit einem noch berühmteren Dirigenten in einer Bezirksstadt konzertierte, bevor dies in der Hauptstadt geschehen war. Der Westberliner Senat wiederum befürwortete ein Gastspiel seines Prestigeorchesters – aber nicht in Ostberlin.“ Er hatte das Gastspiel auch zum größten Teil bezahlt. In Dresden spielten nach den Berliner Philharmonikern weitere große Orchester wie die Mailänder Scala mit Claudio Abbado 1981, das New York Philharmonic Orchestra mit Zubin Mehta 1985 oder die Wiener Philharmoniker 1994.

Am Ende der 16-tägigen ersten Festspiele 1978 hatten mehr als 100 000 Gäste die 140 Veranstaltungen besucht, darunter 28 Opernabende, 18 Operetten und 9 Ballettaufführungen. Das Echo in der überregionalen Presse fiel wohlwollend aus. „Mit 12 Uraufführungen und 15 Erstaufführungen können sie eine Bilanz ziehen, die weit renommiertere Festspiele erröten lassen sollte“, schrieb die Tageszeitung „Die Welt“.

Die Musikfestspiele gehen auf einen Beschluss der Partei- und Staatsführung der DDR von 1976 zurück, die verfügte, dass 1978 beginnend in Dresden jährlich „Musikfestspiele internationalen Ranges“ stattfinden sollten. Es gab aber auch Zweifel, ob ein solches Vorhaben vor der Wiedereröffnung der damals noch zerstörten Semperoper Sinn hat oder überhaupt zu verwirklichen sei, erinnert sich Höntsch. Und tatsächlich litten die ersten Festspiele unter ziemlichem Raummangel.

Zudem war die Konkurrenz groß: Es gab die „Berliner Festtage“, die „DDR-Musiktage“, die „Händel-Festspiele“ in Halle sowie Johann Sebastian Bach, Robert Schumann und Georg Philipp Telemann gewidmete Festivals in Leipzig, Zwickau und Magdeburg. Vergleiche etwa mit Salzburg seien als „naive Fantasien“ abgetan worden, sagt Höntsch.

Deshalb sollten die Musikfestspiele ein eigenes Profil entwickeln und an 300 Jahre Dresdner Musiktradition anknüpfen, beginnend mit den Hoffesten des 15. Jahrhunderts. Für die Dresdner Musik stehen Namen wie Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Johann Gottlieb Naumann, Richard Wagner, Richard Strauss.

Trotz chronisch knapper Devisen gelang es den Veranstaltern, die Musikfestspiele international zu etablieren. Die Liste der Weltstars, die nach Dresden kamen, ist lang und reicht von Marilyn Horne, René Kollo, Barbara Hendricks bis zu Dietrich Fischer-Dieskau und Anne-Sophie Mutter. Viele der Künstler wollten vor allem einmal in Dresden auftreten oder gemeinsam mit der Staatskapelle musizieren.

Programmatisch waren die Musikfestspiele bis 1989 mehr nach Osteuropa ausgerichtet. Anfang der 1990er Jahre orientierten sie sich gesamteuropäisch. Neben Orchester-, Kammermusik- und Solokonzerten wurde auch Alte Musik, Neue Musik, Weltmusik, Jazz und Tanz geboten.

150 000 Besucher waren 2003 der Rekord. Dennoch entgingen die Musikfestspiele wenig später nur knapp dem Rotstift. Die Stadt hatte kurzzeitig überlegt, sie einzusparen. Seit 2009 ist der Cellist Jan Vogler Intendant.