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Die unterschätzten Arbeitskräfte

Menschen mit Behinderung sind ein wichtiges Potenzial für den Arbeitsmarkt. Aber es liegt brach. Ein Beispiel aus dem Landkreis zeigt, dass es auch anders geht.

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© Alexander Nuck

Von Jens Fritzsche

Bautzen.Einerseits haben zum Beispiel Gaststätten und Hotels auch im Landkreis Bautzen Probleme, Mitarbeiter zu finden – andererseits liegt ein durchaus interessantes Arbeitskräftepotenzial quasi brach. „Schade, dass so wenige auf die Idee kommen, darauf zu setzen“, sagt Martin Wallmann.

Mit selbstbewusst-augenzwinkernden Plakaten wirbt die Inklusions-Firma „Paso doble“ mit ihren behinderten Mitarbeitern. Auch, um deren Potenzial zu zeigen.
Mit selbstbewusst-augenzwinkernden Plakaten wirbt die Inklusions-Firma „Paso doble“ mit ihren behinderten Mitarbeitern. Auch, um deren Potenzial zu zeigen. © PR

Er ist der Chef des Epilepsiezentrums Kleinwachau, das sich im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad um schwerst- und schwerbehinderte Menschen kümmert – und er setzt auf genau dieses Potenzial. Auf eben diese Menschen mit Behinderung. Und ist damit zwar nicht der Einzige im Landkreis, aber so wie das Epilepsiezentrum, tut es hier eben bisher kein Zweiter. Denn auch im Kreis Bautzen gibt es viele gute Beispiele für den Einsatz von Menschen mit Behinderung in Wirtschaftsunternehmen, sagt Kreissprecher Gernot Schweitzer, „aber häufig sind das Arbeitsplätze in Behindertenwerkstätten, die in Betriebe quasi ausgelagert werden“. Mit dem sogenannten Ersten Arbeitsmarkt habe das aber nichts zu tun, räumt er ein. In der Shiitake-Pilzzucht in Hoyerswerda zum Beispiel, aber auch in etlichen Landwirtschaftsbetrieben, einem Fleischereibetrieb im Raum Wittichenau sowie Sport- und Freizeitcentern im südlichen Landkreisgebiet gibt es solche ausgelagerten Arbeitsplätze.

Hier arbeiten Menschen mit und ohne Handicap zusammen

Das Epilepsiezentrum geht in Radeberg einen anderen Weg: eine sogenannte Inklusions-Firma, in der Menschen mit Handicap und Nichtbehinderte gemeinsam arbeiten. Gezahlt wird nach Branchentarifen; über dem Mindestlohn. Die Firma ist am Markt platziert, „und da wir branchenübliche Löhne zahlen, wird also nicht etwa mit finanziell gestützter Arbeit anderen Firmen Konkurrenz gemacht“, stellt Martin Wallmann klar. Die Firma „Paso doble“ ist dabei ein modernes Dienstleistungs-Unternehmen und bietet unter anderem Hausmeisterservice, Gebäudereinigung, Umzugs- und Transportservice oder auch Hauswirtschaftshilfe an.

Natürlich haben die behinderten Mitarbeiter ein Stück mehr Sicherheit, so der Epilepsiezentrumschef. „Sie wissen, dass unsere Einrichtung hinter ihnen steht“ und im Ernstfall auch eine Rückkehr in die Behindertenwerkstatt möglich wäre. Für Franziska Pohling ist das Projekt auch deshalb „ein gutes, wichtiges Stück Vorreiterrolle“. Sie ist die Behindertenbeauftragte des Landkreises und hofft, dass „dieses Beispiel Schule macht und sich weitere solcher Unternehmen im Kreis gründen.“

Epilepsiezentrum holt Doppelpreis in den Landkreis

Eine Hoffnung, die nicht zuletzt auch der Kommunale Sozialverband Sachsens teilt – und der Radeberger Firma am gestrigen Montag in Leipzig den Sächsischen Inklusionspreis verliehen hat. Auch Landrat Michael Harig (CDU) hatte sich deshalb auf den Weg gemacht. Wobei das Epilepsiezentrum sogar einen Doppelpreis in den Landkreis holt. Denn auch die Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung der Einrichtung gehört zu den Preisträgern. Und auch hier geht es um das Thema, Menschen mit Behinderung auf dem Ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Die Förderschule ist dabei quasi die Basis für den Erfolg. Auch der Inklusionsfirma. Mit insgesamt 17 Betrieben im südlichen Kreisgebiet hat die Schule Kooperationsverträge abgeschlossen, um Schülern Praktikumsplätze zu vermitteln. „Im Vorfeld werden die Schüler in unserer Werkstufe sozusagen getestet und bekommen einen Berufswegeplaner an ihre Seite“, beschreibt Schulleiter Matthias Dieter. Es wird also genau herausgearbeitet, für welche Berufe die Jugendlichen geeignet sind. Auch ein Mobilitätstraining gehört dazu, „damit die Schüler lernen, die Praktikums- oder später auch Arbeitsstelle selbstständig per öffentlicher Verkehrsmittel zu erreichen“.

Radeberger sind erfolgreich

Die Radeberger sind dabei durchaus erfolgreich. Denn neben der Inklusionsfirma mit mittlerweile über 50 Mitarbeitern konnten in den vergangenen beiden Jahren auch drei Förderschüler in sozialversicherte Arbeitsverhältnisse außerhalb des Epilepsiezentrums vermittelt werden. Unter anderem in eine Hotelküche und in die Autoaufbereitung eines Autohauses. Was auf den ersten Blick wenig aussieht, ist es auf den zweiten ganz und gar nicht: Denn deutschlandweit waren 2017 rund 160.000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos und rund 300.000 arbeiteten in Behinderten-Werkstätten – „von denen schaffen gerade mal 0,16 Prozent den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“, nennt Epilepsiezentrumschef Martin Wallmann eine eigentlich ernüchternde Zahl. 736 also in ganz Deutschland. Dass davon drei aus seiner Einrichtung stammen, macht ihn dann doch wieder stolz. Und er verweist auch noch einmal auf das „enorme Potenzial, das da deutschlandweit leider brachliegt“.

Übrigens ist der sächsische Inklusionspreis nicht die erste Auszeichnung fürs „Paso doble“. Die Firma hat jüngst auch schon den Dresdner Marketingpreis abgeräumt. Für eine durchaus gewagte Werbe-Kampagne. Einer der Slogans, mit denen zum Beispiel für den Bereich Hausmeisterservice geworben wird, lautet: „Schraube locker?“ Zu sehen sind dazu Bilder von realen Mitarbeitern. Doch die werden nicht vorgeführt, sondern „es wurden eben genau die leider viel zu häufig verkannten Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund gestellt und nicht die Defizite“, unterstreicht Martin Wallmann. Sie haben Potenzial und das könnte eben noch viel stärker genutzt werden, ist er überzeugt. Auch im Landkreis Bautzen.