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Die Stunden nach der Explosion

Evakuierte Nachbarn rätseln, was in ihrem Haus in der Leipziger Straße passiert ist.

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© Roland Halkasch

Von Alexander Schneider

Es ist fast ein bisschen wie damals beim Jahrhunderthochwasser. Auch 2002 mussten Bewohner an der Leipziger Straße in Trachau ihre Häuser verlassen, weil das Wasser kam. Am Donnerstagnachmittag gab es einen anderen Grund, warum Bewohner der Nummer 213 lange nicht zurück in ihr Haus durften. Ein 30-jähriger Familienvater hat sich dort im Erdgeschoss in die Luft gesprengt.

Um 17 Uhr knallte es in der Wohnung. Der Mann hatte aus zunächst unbekannten Gründen mit einem Schwarzpulver-Gemisch experimentiert, als es dann in der Dreiraum-Wohnung zu dem Unglück kam. Glücklicherweise waren seine Lebensgefährtin und die beiden gemeinsamen Töchter nicht zu Hause. Durch die Wucht der Detonation wurden dem Mann beide Hände, nach Schilderungen von Augenzeugen sogar die halben Unterarme abgerissen. Der Schwerverletzte sei vor dem Brand aus der Wohnung ins Treppenhaus geflüchtet und habe um Hilfe gerufen. Ein Nachbar alarmierte sofort Feuerwehr und Rettungsdienst. Ein Rettungssanitäter aus dem Nachbarhaus soll als einer der ersten vor Ort gewesen sein, um die stark blutenden Wunden zu versorgen. Der 30-Jährige kam in eine Klinik. Inzwischen kam die Feuerwehr und löschte den Brand in der Wohnung. Es gab wohl nicht mehr viel zu tun, hieß es abends vor dem Wohnhaus. Alle Bewohner mussten das Haus verlassen.

Die Polizei hielt die Sperrung der Leipziger Straße zwischen Peschel- und Rankestraße aufrecht. Weil der 30-Jährige mit Sprengstoff gewerkelt hatte, wie er selbst noch gesagt hat, wurden erst einmal die Experten für Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) des Landeskriminalamtes alarmiert, um in dem Haus nach möglichen Gefahrenstellen zu suchen. Lagert noch mehr Schwarzpulver in der Wohnung oder gar im Keller? Erst als die Beamten den Tatort freigaben, durften andere Ermittler ins Haus.

Draußen rätselten Nachbarn unterdessen, was passiert sein könnte. Warum der Arbeitslose, der von niemandem als Sympathieträger beschrieben wurde, „Bomben baut“? Einer berichtet, dass er den Verletzten gesehen habe – ohne Hände. Eine Frau ist erleichtert, dass der 30-Jährige alleine war und seine Töchter noch unterwegs in Hort und Kindergarten waren.

Martina Matus sitzt auf den Stufen von der Bäckerei Lehmann gegenüber. Sie war auf dem Heimweg in der Linie 4, als per Durchsage mitgeteilt wurde, dass die Straßenbahn wegen der Sperrung aufgrund eines Brandes zum Elbepark fährt. Von dort ging es mit Ersatzbussen weiter. In ihre Wohnung kam die Frau nicht mehr. Auch nicht ihr Mann und all die anderen Mieter der sieben Parteien. Sie mussten warten. Sie beobachteten, wie Polizisten in dem Haus nach Spuren suchten, auch die Fassade begutachteten und wie drinnen der Schein von Taschenlampen tänzelte.

Mehrere Nachbarn kamen vorbei und boten den Evakuierten Wasser an oder fragten, ob sie Getränke besorgen sollen. Das erinnerte sie an die Solidarität beim Hochwasser, wie Martina Matus sagte. Die Frau musste sich noch in Geduld üben: „Um 22.45 Uhr durften wir endlich wieder rein.“ Ein Polizist habe zu ihr gesagt, sie solle sich im Treppenhaus nicht umsehen. Vor der Erdgeschosswohnung sei alles voller Blut. Frau Matus war erleichtert, dass wenigstens die Statik des Hauses durch die Explosion nicht in Mitleidenschaft gezogen worden sein soll. „Aber“, rief sie, „was alles hätte passieren können! Fußgänger vor dem Haus, Autofahrer – die hätten verletzt werden können.“

Der 30-Jährige habe mit Sprengstoff gebastelt, weil er plante, sich zum Pyrotechniker ausbilden zu lassen. Das sagte Polizeisprecher Thomas Geithner zum Grund, warum der Mann mit dem Material werkelte. Polizeilich sei der Verdächtige bislang unauffällig gewesen. Gegen ihn wird wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt.