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„Die Stadt handelt frech“

Verkehrsrechtler Dieter Müller sieht Bürger der Büttnerstraße in Görlitz im Recht – gegen das Rathaus.

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Von Sebastian Beutler

Görlitz. Da parkt ein Fahrzeug des städtischen Ordnungsamtes an einem Sonnabendvormittag auf einem privaten Stellplatz an der Büttnerstraße. Als sich der Mieter des Platzes beschwert, erhält er von der Stadt die lapidare Erklärung, die Mitarbeiter hätten schnell Knöllchen verteilen müssen. Dieter Müller, Verkehrsrechtler an der Hochschule der sächsischen Polizei, findet diese Erklärung ungeheuerlich. Es sei ein klarer Gesetzesverstoß, sagt er im SZ-Interview.

Dieter Müller aus Bautzen lehrt an der Hochschule der sächsischen Polizei.
Dieter Müller aus Bautzen lehrt an der Hochschule der sächsischen Polizei. © Michalk

Herr Müller, worin irrt sich denn die Stadt?

Das Polizeigesetz kann nur angewendet werden nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Parken auf einem privaten Stellplatz ist hier aber sicher nicht das mildeste Mittel gewesen. Das ist aber zwingend anzuwenden. Ich denke, es hätte an dem Sonnabendvormittag genügend Stellplätze für die Mitarbeiter der Stadtverwaltung im öffentlichen Raum gegeben. Auch, wenn sie dann zwei, drei Straßen hätten laufen müssen.

Sich einfach auf einen privaten Stellplatz zu stellen, kann also aus Ihrer Sicht nur das letzte Mittel sein?

Ja. Das ist eine ganz übliche Auslegung der Gesetze durch Verwaltungen.

Aber offensichtlich nicht in Görlitz.

Ich unterrichte als Professor für Verkehrsrecht an der Hochschule der sächsischen Polizei ständig diese Themen und habe einen bundesweiten Überblick. Was in Görlitz passiert, ist ein negativer Ausreißer.

Das Rathaus kann also aus dem Polizeigesetz nicht auf Sonderrechte in der Straßenverkehrsordnung schließen?

Das Polizeigesetz ist ein Landesgesetz, die Straßenverkehrsordnung ein Bundesgesetz. Das ist schon das erste Problem. In der gesamten Straßenverkehrsordnung wird die Polizei fünfmal erwähnt. Es handelt sich aber ausschließlich um Vollzugspolizei der Landespolizei. Auch die Bundespolizei wird separat in der StVO erwähnt wie auch kommunale Behörden. Dort ist aber nur die Rede von den Straßenverkehrs- und Straßenbaubehörden. Wenn der Gesetzgeber dem städtischen Ordnungsamt Befugnisse hätte zuweisen wollen, dann würde dieses Amt auch in der StVO erwähnt, wird es aber nicht. Dass das städtische Rechtsamt in seiner Stellungnahme das so sieht, ist einfach nur frech.

Haben Sie eine Vermutung, warum das Görlitzer Rathaus dann zu einer solchen Auslegung kommt?

Ich kann es mir zumindest vorstellen. Die Landesdirektion in Chemnitz argumentiert ganz ähnlich. Nach deren Ansicht fallen kommunale Ordnungsämter unter den Polizeibegriff des Paragrafen 35 der StVO. Das ist aber nicht so.

In den sozialen Netzwerken sorgt der Fall für eine heftige Debatte. Ihr Tenor: Die Stadt erlaubt sich Dinge, die sie nicht darf. Bei ihren Bürgern lässt sie so etwas aber nicht durchgehen.

Ich verstehe diese Meinung. Es ist auch wirklich ärgerlich für den Bürger, der sieht, wie städtische Angestellte gegen geltendes Recht verstoßen. Und es ist kein Einzelfall. Vor ein paar Wochen parkten städtische Mitarbeiter ihr Fahrzeug in die Einfahrt zur Post am Postplatz. Auch das ist nicht zulässig. Solche Fälle sind auch schlecht für das Image von Görlitz, sie sprechen sich über die sozialen Netzwerke im Internet rasant herum und sorgen für schlechte Außenwerbung. Ich habe auf meiner Facebook-Seite „Verkehrssicherheit“ ihren Beitrag geteilt, und daraufhin hat eine Vollzugsbeamte aus einem Kreis bei Frankfurt/Main gleich geschrieben: „Ein klassischer Fall von Faulheit siegt. Ich habe selbst schon oft genug Kollegen gesagt, doch woanders das Auto abzustellen und mal 50 Meter zu laufen. Aber nein, da müsste man ja laufen.“

Wenn einer Ihrer Studenten, das Vorgehen der Stadt so verteidigt hätte, was wäre mit dem passiert?

Er wäre durchgefallen.