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Die Spannung stieg

Seit Dezember 1897 fährt die Görlitzer Straßenbahn mit Strom. Seit 1987 fahren Tatras nach Königshufen.

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© Repro: Sammlung Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Görlitz. Im Jahr 1897 hatte die Görlitzer Pferdebahn schon 15 Sommer und Winter lang ihre Runden gedreht. Nun sollte ein neuer Fortschritt einziehen, denn seit es in Frankfurt/Main (1884), Halle (1891) und Gera (1892) statt Pferden mit elektrischem Strom vorwärts ging, war das neue Straßenbahn-Zeitalter nicht mehr zu bremsen.

Charme mit Schnee – eine der ersten „Elektrischen“, fotografiert um 1900 am Theaterplatz.
Charme mit Schnee – eine der ersten „Elektrischen“, fotografiert um 1900 am Theaterplatz. © Repro: Sammlung Joachim Lehmann
Ordnung muss sein: Ohne Nachweis durfte kein Straßenbahnfahrer an die Kurbel.
Ordnung muss sein: Ohne Nachweis durfte kein Straßenbahnfahrer an die Kurbel. © Repro: Sammlung Lothar Kaulfers

Die Görlitzer Zuckelbahn war 1896 von der Berliner Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft gekauft worden, und beim Namen AEG ahnte jeder, warum: Mit einer schnelleren, elektrischen Bahn erhoffte sich damals jeder Profit, denn die Fahrgastzahlen stiegen parallel zum Anstieg der Einwohnerzahl. Die Industrialisierung schritt voran, es entstanden Arbeits- und Industriegebiete, die untereinander erreichbar sein sollten. Zunächst wurde vor 120 Jahren die Spur gewechselt. Die breiten Gleise der Pferdebahn (1 435 mm) verschwanden, die noch heute verwendete Meterspur hielt Einzug. Das erschien ob der engen Straßen günstiger. Völlig neu für Görlitz aber waren die Oberleitungen. Der Fahrdraht bekam 500 Volt Gleichspannung aus der städtischen Stromversorgung. Erst später baute der Verkehrsbetrieb auch eigene Umspannwerke. Aus den alten Pferdebahnwagen wurden Anhänger.

Die neuen Triebwagen lieferte die Görlitzer Waggonbaufabrik Lüders. Für die Erprobung gab es schon ein halbes Jahr vor Inbetriebnahme ein Gleis am Obermarkt. Der erste Wagen kostete 4 158 Reichsmark, 29 weitere sollten bis 1899 folgen. Einer von ihnen ist, wenn auch leicht angepasst, noch heute zu bewundern – als historischer Wagen Nummer 29.

Offiziell begann das neue Straßenbahnkapitel am 1. Dezember 1897. Die Ringbahn umrundete den Stadtkern, und schnell nannten die Görlitzer das neue Vehikel „Elektrische“. Schon am 5. Dezember ging die Linie 1 auf Fahrt, damals vom Untermarkt über Postplatz und Bahnhof zum Schützenhaus. Weitere vier Tage darauf fuhr die Linie 3 von der Rauschwalder Straße zur Stadthalle und von dort weiter über die Brücke bis zum Gasthof „Stadt Prag“.

Die Menschen nahmen die Bahnen an. In den ersten acht Monaten wurden bereits 1,2 Millionen Fahrgäste registriert. Bald wurde auch noch eine Linie 4 eingerichtet, die zum Jüdischen Friedhof unterwegs war. Insgesamt waren in den Anfangsjahren täglich 21 Triebwagen, fast jeder zweite mit Anhänger, unterwegs. Die Lage der Ausweichen gestattete einen 5-Minuten-Takt. Zweite Gleise folgten ab 1898 in der Innenstadt. 1898 beschäftigte der Verkehrsbetrieb 41 Mitarbeiter, ein Jahr später bereits 71. Die „Elektrische“ fuhr durch Kriege und verschiedene politische Systeme. Oft wollte man sie einstellen, immer wieder gab es Grünes Licht. Manche Strecke verschwand, andere kamen dazu. Heute setzt sie sich mit ihrem Jubiläum selbst ein technisches Denkmal.

Tram eroberte den Görlitzer Norden

Was 1987 passierte, konnte 1897 freilich niemand ahnen: Die Straßenbahn strebt in den Görlitzer Norden. Wie kam das?

Als die Ölpreise stiegen und der Diesel knapp wurde, ließen die Görlitzer Stadtväter Pläne zur Einstellung der Tram wieder fallen. Jetzt, wo Strom günstiger war und man auch begann, von Umweltfreundlichkeit zu reden, setzten alle Planer wieder auf die „Elektrische“. Nun sollte auch das komplett ohne Straßenbahn errichtete Neubauviertel Königshufen plötzlich nachgerüstet werden. Das Umdenken freilich kam verkehrsplanerisch zu spät: Längst war Nord mit Plattenbauten eingedeckt und mit Bussen erschlossen. Für die neue Straßenbahn blieb daher nur eine Randtrasse, wie man sie zumindest bis zum späteren Weiterbau gen Marktkauf kannte und auch heute noch kennt. Erinnert sei aber auch daran: Einerseits wohnten damals viele Tausende Menschen mehr in Nord als heute, andererseits gab es weder Gewerbegebiete noch Einkaufszentren.

Am 7. Januar 1985 begann die Erschließung des ersten Abschnittes. Am 21. Februar 1986 fuhr die erste Bahn zur Probe. Im Vergleich sowohl zu heutigen Planungen als auch zu anderen DDR-Bauvorhaben ist dieser Zeitraum bemerkenswert kurz. Bemerkenswert auch deshalb, weil 1983/84 gleichzeitig auch erhebliche Gleisbauarbeiten in der Innenstadt erfolgten. Insgesamt 31 Betriebe, Genossenschaften und Handwerksfirmen waren am Bau beteiligt, bei dem auch Gas-, Wasser-, Telefon- und Stromleitungen zu verlegen waren.

Die Trasse wurde zweigleisig ausgelegt. Am 8. März 1986 ging der Gleisabschnitt bis zum Alexander-Bolze-Hof in Betrieb, der zweite Abschnitt mit Wendeschleife folgte am 31. Dezember 1986. Dann kam noch der Neubau eines Gleichstrom-Unterwerkes an der Friedhofstraße dazu. Dank dieser Einspeisung konnten ab 16. November 1987 die noch heute bekannten Tatra-Züge auf der Trasse zum Einsatz kommen.