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Die siebenten Mühlenbesitzer

Familie Großmann zog von Berlin in den kleinen Hirschsteiner Ortsteil. Dafür gab es einen besonderen Grund.

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© Lutz Weidler

Von Jürgen Müller

Hirschstein. Es gibt so Momente im Leben, die kann man nicht erklären. Einen solchen erlebte vor vielen Jahren auch Bernd Großmann. Unzählige Male schaute er schon aus der Turm-Holländer-Windmühle, die sich auf dem Grundstück seiner Eltern in Schänitz befindet, doch erst jetzt fällt es ihm auf: Das ist doch eine wunderschöne Gegend hier, da könnte man doch ein Haus bauen. Das hatte Familie Großmann Anfang der 1990er Jahre ohnehin vor.

Ein Modell zeigt den Aufbau der Mühle, als hier noch Getreide gemahlen wurde.
Ein Modell zeigt den Aufbau der Mühle, als hier noch Getreide gemahlen wurde. © Lutz Weidler
Auch der Riesaer Heimatmaler Hans-Christian Walcha malte die Schänitzer Mühle.
Auch der Riesaer Heimatmaler Hans-Christian Walcha malte die Schänitzer Mühle. © Lutz Weidler

Das Problem nur: Bernd Großmann lebte schon seit 17 Jahren in Berlin, lernte seine Frau – eine Berlinerin – dort kennen, die drei Kinder erblickten in dieser Stadt das Licht der Welt. Von der Hauptstadt in die tiefste sächsische Provinz? Der Familienrat tagt. „Ich wollte zunächst nicht weg. Wir wohnten in Friedrichshain, vier Kilometer vom Alex weg, hatten ein Wochenendgrundstück“, sagt die heute 64-jährige Gudrun Großmann. Und willigte schließlich doch ein.

Erst später gingen die Probleme los. Denn das Grundstück, auf dem die Großmanns bauen wollten, lag im Außenbereich. Die Gemeinde Hirschstein hat geholfen, änderte den Flächennutzungsplan. So konnte die Großmanns statt wie geplant in Berlin oder Dresden doch in Schänitz bauen. Auch die Kinder leben sich schnell ein in der Heimat ihres Vaters, besuchen das Gymnasium in Riesa. Heute leben sie in Schänitz und in Meißen, sind also Sachsen treu geblieben.

Rückkehr nach Hause

Für ihren Mann ist die Rückkehr in die Heimat auch die Möglichkeit, das Lebenswerk seines Vaters Gottfried Großmann, der vor wenigen Wochen starb, fortzusetzen. Denn dieser fing schon kurz nach der Wende an, die mehr als 200 Jahre alte ehemalige Turm-Holländer-Windmühle herzurichten. Die Familie Schumann ließ 1794 die Schänitzer Mühle bauen. Diese Turmholländerwindmühle hatte einen Durchmesser von 6,5 Metern und ist etwa 15 Meter hoch. Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass die Bruchsteine für den Bau aus dem ehemaligen Steinbruch bei Leckwitz stammen und im Winter über die zugefrorene Elbe transportiert wurden. Der letzte Schänitzer Müller war Gustav Klinger. 1916 wurde der Mühlenbetrieb eingestellt. Seitdem stand die Mühle, die jetzt in siebenter Generation der Familie gehört, buchstäblich leer. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Inneneinrichtung demontiert. Zu DDR-Zeiten diente die Mühle als Abstellraum. Brennholz und Kohle wurden dort gelagert.

„Mein Vater hat vieles in Eigenleistung gemacht, war handwerklich sehr beschlagen“, sagt der 67-jährige Bernd Großmann. So wurde der Putz erneuert, ein neues Dach aufgesetzt. In Originalgröße zwar, aber nicht drehbar. Damit war damals schon klar, dass diese Mühle nie wieder nutzbar sein würde. „Meinem Vater kam es nicht darauf an, die Mühle original und denkmalgerecht zu sanieren, sondern sie für die Nachwelt zu erhalten. Schließlich ist auch diese Mühle ein Stück Zeitgeschichte und zeigt, wie schwer es die Menschen damals hatten“, sagt Bernd Großmann.

So ist auch das Dach nicht mit Lindenholzblättern gedeckt, sondern mit Schiefer. Und auch die Flügel, die irgendwann in den 1940er Jahren abfielen, wurden nicht originalgetreu ersetzt. Sie sind kleiner als die originalen, bestehen aus verzinktem Stahl, sind nicht am ohnehin nicht drehbaren Dach, sondern am Mühlenkörper befestigt, können und dürfen sich auch nicht drehen. So sieht es die Baugenehmigung vor.

Die neuen Flügel wurden erst vor vier Jahren angebracht. Grund war ein Schlüsselerlebnis. „Es waren Leute hier und fragten uns, was denn das für ein Wasserturm sei“, sagt Bernd Großmann. Denn ohne Flügel war die Mühle nicht als Mühle erkennbar. Es folgte ein langer Weg durch die Mühlen der Bürokratie. So musste unter anderem ein Sachverständiger die Statik untersuchen und ein Brandschutzgutachten angefertigt werden. „Die Flügel selbst waren noch das geringste Problem“, sagt der Schänitzer.

„Die Mühle ist das Lebenswerk meines Vaters, er hat sein ganzes Geld reingesteckt. Statt in den Urlaub zu fahren oder sich ein neues Auto zu kaufen, hat er in die Mühle investiert“, so Bernd Großmann. Die Windmühle sei ein wichtiger Grund gewesen, wieder nach Schänitz zu ziehen. Jetzt führt der Sohn das Lebenswerk seines Vaters fort.

Heute wird die Windmühle vor allem für Familienfeiern genutzt. In einem Geschoss befindet sich eine Art Partyraum. Dort haben bis zu 18 Personen Platz. „Die Familie ist inzwischen so groß geworden, dass der Platz nicht mehr ausreicht“, sagt Gudrun Großmann.

Öffentlich zugänglich ist die Mühle normalerweise nicht, sie befindet sich auf einem Privatgrundstück. Manche interessiert das aber nicht. „Wir haben hier schon manche Dreistigkeit erlebt. Da stehen Leute auf dem Grundstück, trampeln den frisch gesäten Rasen nieder, nehmen auf den Bänken Platz . Fehlt nur noch, dass sie Kaffee und Kuchen bestellen“, sagt Bernd Großmann.

Dabei hat er nichts gegen Besucher. Eines Tages standen 40 Holländer vor der Tür. Er hat sie nicht weggeschickt. „Doch die Leute sollten sich vorher anmelden, wenn sie die Mühle sehen wollen und nicht einfach das Grundstück betreten“, sagt er. Für den Winter hat sich Bernd Großmann schon wieder einiges vorgenommen. Er will das Dachgeschoss der Mühleausbauen. Auch seine Frau hat in Schänitz immer zu tun. „Ich bin sehr froh, dass wir hier hergezogen sind. Anfangs war ich skeptisch, aber heute möchte ich nicht mehr von hier weg“, sagt die Berlinerin.