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Die Rose des Winters

Es ist ein kleines Wunder, dass drei uralte Kamelien in Königsbrück Kriege und wechselhafte Zeiten überstanden haben. Nun kann man die blühfreudigen Pflanzen wieder bestaunen.

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Von Christina Wittig-Tausch

Königsbrück. Die Italienerinnen zieren sich ein wenig, ihre Knospen sind noch nicht entfaltet. „Es war einfach sehr lange kalt“, sagt Günter Dummer, „da brauchen sie noch ein bisschen.“ Dafür aber blühen zwei seiner „Lieblinge“, wie der 78-jährige Königsbrücker sie nennt: Die Kamelie der Sorte „Colombo“ trägt rosa-weiß gestreifte Blüten, „Adolphe Audusson“ hingegen bildet ein Feuerwerk aus geranienroten Blüten zwischen kräftigen, dunkelgrünen Blättern. Günter Dummer ist ein Mann der Praxis, gelernter Klempner, gern werkelt er im Kleingarten. Von den Kamelien auf dem Gelände des Königsbrücker Schlosses spricht er, als handele es sich um ganz außergewöhnliche Kinder. Um einen Schatz. „Kamelien“, sagt der Rentner, „sind die Rosen des Winters“.

1739 kamen die ersten Kamelien aus Ostasien nach Europa.
1739 kamen die ersten Kamelien aus Ostasien nach Europa. © ronaldbonss.com
Es gibt über 200 Arten und 30000 Sorten Kamelien.
Es gibt über 200 Arten und 30000 Sorten Kamelien. © ronaldbonss.com

Heute gelten Kamelien eher als schwierige Pflanzen. Als Angelegenheit für Liebhaber, während die meisten Menschen sich im Herbst und Winter lieber Alpenveilchen oder Azaleen zu Discountpreisen für ihre Wohnungen kaufen und nach einigen Wochen entsorgen, vielfach im Müll. „Kamelien sind keine Mimosen“, findet Günter Dummer. „Man muss nur einige Dinge beachten, dann danken sie es einem mit herrlichen Blüten.“ Seine Liebe zu Kamelien begann vor 18 Jahren.

Günter Dummer kannte sie bis dahin nur aus einem Buch, aus der „Kameliendame“ von Alexandre Dumas, dem Jüngeren. Die unglückliche Liebesgeschichte der Kurtisane Marguerite, die immer nur Kamelien geschenkt bekommen möchte, erschien erstmals 1848. Damals waren die aus Ostasien stammenden Kamelien begehrt und wertvoll. Zu Beginn des Jahres 2000 betrat Günter Dummer das Gewächshaus und sah die drei ältesten Sträucher der Königsbrücker Schau erstmals in voller Blüte: Die beiden weißen Camellia japonica „Alba Plena“ und die dunkelrote „Althaeiflora“ schmiegen sich an eine alte Mauer des Schlosses und reichen bis zur fünf Meter hohen Decke des Gewächshauses. Blüten über Blüten, mitten im tristen Winter mit seiner trostlosen Farbsinfonie aus Braun, Grau, Ocker. Allein die „Althaeiflora“ trug in diesem Winter 530 Blüten. Von der Form her erinnern sie tatsächlich an Rosen. Aber sie duften nicht.

Alter nicht ganz geklärt

Wie alt die drei Sträucher sind, ist bis heute nicht ganz geklärt. Möglicherweise mehr als 190 Jahre, die rote mehr als 170 Jahre. Beweise dafür gibt es nicht, nur Indizien. Nach wie vor forscht der Heimatverein nach der Herkunft der Kamelien. 1846 notierte ein Pfarrer in der Kirchenchronik, dass im Schloss ein Kamelienhaus wiederhergerichtet worden sei. „Wir vermuten, dass die damaligen Schlossbesitzer die Kamelien nach Königsbrück geholt haben“, sagt Peter Sonntag vom Heimatverein. Die Familie war sozial und künstlerisch interessiert, Peter Carl Wilhelm von Hohenthal war Minister. Auch am sächsischen Hof waren die Kamelien begehrt.

Unter dem Einfluss der Gärtnerei Seidel entwickelte sich Dresden im 19. Jahrhundert zum führenden Anbauzentrum für Kamelien in Europa. 1801 wurde die Pillnitzer Kamelie am heutigen Standort ausgepflanzt. 1797 ließ der Graf von Einsiedel Gewächshäuser in Roßwein bauen. Seine weiße Kamelie, ebenfalls eine „Alba Plena“, ist noch heute zu sehen. Möglicherweise erging es den Königsbrücker Besitzern ganz ähnlich: Manche Kameliensorten wachsen rasch und können große Sträucher oder sogar Bäume bilden. Sie vertragen Kälte, mit starken Frösten haben sie jedoch Probleme. Also wurde auch in Königsbrück ein Haus für sie gebaut. Heute besteht es aus einer Mauer auf der einen Seite, einem Glasdach und Glaswänden auf drei Seiten.

Kamelien mögen es kühl

Es ist ein kleines Wunder, dass die Kamelien dort heute noch stehen und zur Blütezeit besichtigt werden können. Das Schloss wurde wiederholt verkauft, eine Weile gehörte es der Dresdner Näh- und Schreibmaschinen-Dynastie Naumann. Es diente nach dem Zweiten Weltkrieg und der Enteignung der Naumanns als Wohnheim für Flüchtlinge aus dem Osten, als Lazarett, später als Heilanstalt für Lungenkranke und als psychiatrische Klinik.

Sogar gesprengt werden sollte es, da es aber nützlich war, wurde 1948 nur der Schlossturm zerstört. Ein Gärtner nutzte das Gewächshaus und weigerte sich, die Kamelien zu roden, um Gemüse anzupflanzen. Die Kamelien blieben und überlebten im geheizten Gewächshaus die wechselvollen Zeiten bis zur Wende. „Eigentlich war es den Kamelien zu warm“, erzählt Peter Sonntag. Während der Blütezeit mögen es Kamelien eher kühl, ideal sind zwei bis acht Grad. Die Königsbrücker Exemplare ertrugen auch dies und blühen heute noch Jahr für Jahr, allerdings etwas eher als ihre Artgenossen in Pillnitz oder Roßwein, ungefähr ab Dezember.

Der nach der Wende gegründete Heimatverein widmete sich zunächst dem Wiederaufbau des Schlossturms, der 1998 eingeweiht wurde. „Im Jahr darauf wurden wir gefragt, ob wir uns um die Kamelien kümmern könnten“, sagt Peter Sonntag. Ein Versuch, die Kamelien auszupflanzen, um sie in der Seidelschen Kameliensammlung in Pirna-Zuschendorf zu integrieren, scheiterte – die Wurzeln hatten sich zu fest in die Mauer geschlungen. Also blieben sie an Ort und Stelle.

Eigene Sammlung etabliert

Auf Anregung des Leiters der Botanischen Sammlungen in Zuschendorf, Matthias Riedel, gingen die Königsbrücker daran, eine eigene Sammlung zu etablieren. Peter Sonntag und seine Mitstreiter gründeten eine Kameliengruppe, bemühten sich um Helfer, Sachleistungen und Geld, um das Gewächshaus zu modernisieren. Die Zuschendorfer stellten noch weitere, etwas jüngere Kamelien zur Verfügung. Anfang 2000 erlebten die Mitglieder der Kameliengruppe und bald darauf Tausende von Besuchern erstmals die Blüte.

Seither kümmern sich die gut 20 Mitglieder der Kameliengruppe mit Unterstützung des Zuschendorfer Experten um die Pflanzen, überwachen Temperatur und Luftfeuchtigkeit, düngen und gießen, achten auf Schädlinge, machen Führungen und verkaufen Ableger der Königsbrücker Kamelien, die in einer Coswiger Gärtnerei aufgezogen werden, zusammen mit geeignetem Dünger und der richtigen Erde. Alle Helfer sind ehrenamtlich tätig, mit den Spenden – der Eintritt ist frei – werden Heizkosten und Pflegemittel bezahlt.

Günter Dummer hilft beim Verkauf und berät zur Pflege. Doris Füssel aus Königsbrück pflegt die Pflanzen. Sie half zunächst als ABM-Kraft und blieb, als die Maßnahme auslief und sie keine neue Arbeit fand. Fasziniert ist auch sie: „Man entdeckt jeden Tag etwas Neues“, sagt sie und zieht ihr Handy hervor, um eine Blüte zu fotografieren. Tausende solcher Fotos hat sie. Wie Günter Dummer oder Peter Sonntag hat sie inzwischen mehrere Kamelien zu Hause. „Die erste war nach einem Jahr kaputt“, sagt sie. „Jetzt hab ich sieben. In warmen Wohnzimmern fühlen die sich halt nicht wohl. Im Sommer stehen sie auf meinem Balkon, jetzt während der Blütezeit im Hausflur, zur Freude meiner Nachbarn.“

Jetzt auch mit durftkamelien

Die Königsbrücker Altkamelien oder „Großeltern“, wie Günter Dummer sie nennt, haben inzwischen sogar Namen: Schneeweißchen und Rosenrot. Alle zwei Jahre werden an der Königsbrücker Oberschule zwei junge Frauen zu Kameliendamen erkoren. Nicht nur als Fotomodelle. „Wir wollen auch junge Leute heranholen, und wir wollen möglichst vielen Leuten Freude machen mit den Kamelien“, sagt Sonntag.

Caprice und Linda, so heißen die amtierenden Damen, gehen mit kleinen Kamelien in Seniorenheime, um von den Pflanzen zu erzählen. Sie sind dabei, wenn Mitglieder der Kameliengruppe Kindergarten- und Grundschulkindern bei Märchenführungen die Kamelien zeigen. Sie helfen auch beim jüngsten Projekt: Blinde Besucher können die Kamelien bei speziellen Exkursionen erkunden. Denn zur Königsbrücker Sammlung gehören seit vergangenem Jahr Duftkamelien. Viele stammen aus Italien und öffnen jetzt, da es allmählich wärmer wird, ihre Blüten. Und entfalten ihren Duft, den Peter Sonntag als „Hauch einer Fee im Frühling“ beschreibt.

Kamelienschau am Schloss Königsbrück, bis Mitte April sonntags 10 bis 17 Uhr, Führungen für Gruppen zu anderen Zeiten kann man bei der Stadtinformation buchen, Telefon 035795 42555

Kamelienhaus im Botanischen Blindengarten Radeberg, Agathe-Zeis-Straße, bis 28.3. Mi. und Sa. 13 bis 17 Uhr

Kamelienblüte in Pirna-Zuschendorf, Am Landschloss 6, Di.–So. und feiertags von 10 bis 17 Uhr bis 8.4.

Kamelienhaus im Schlosspark Dresden-Pillnitz, bis Mitte April tägl. 10 bis 17 Uhr