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Die Retter des Erlauer Bahnhofs

Lange stand das Gebäude leer. Nun ist wieder Leben eingezogen, dank Döbelns Ex-Vizelandrat und der Schwiegertochter.

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© André Braun

Von Maria Fricke

Erlau. Sie waren ihn leid, den Anblick aus ihrem Fenster: Der Bahnhof von Erlau – eine Ruine. Familie Ahnert wohnt schräg gegenüber dem 1890 errichteten Gebäude. Jeden Tag hat sie auf den tristen Bau, der seit 1990 leer stand, geschaut. Das Dach teilweise eingestürzt, die Fenster an einigen Stellen mit Holz verschlossen. Doch dann kamen Jana Ahnert, ihre Architektur-Studenten und eine Gedankenspinnerei.

Ahnert, studierte Architektin, arbeitete 13 Jahre lang in der Lehre an der TU Dresden. Mit ihren Studenten hat sie Entwürfe erarbeitet, was aus dem Bahnhof in Erlau werden könnte. Eine Realisierung habe sie dabei gar nicht im Sinn gehabt. Die Deutsche Bahn wurde einbezogen, aus den Entwürfen ein Wettbewerb gemacht. „Dafür haben wir 1 000 Euro von der Bahn bekommen“, sagt Ahnert. Parallel zu den Entwürfen sind Machbarkeitsstudien von den Studenten angefertigt worden, zudem gab es eine Befragung im Ort, was die Bürger von einer Wiederbelebung des traditionsreichen Gebäudes halten würden.


Die Resonanz war immens. Zur öffentlichen Präsentation der Ergebnisse im März 2013 seien um die 100 Leute gekommen. „Die Anwohner standen von Anfang an dahinter“, sagt Wolfgang Ahnert. Der 67-Jährige war damals Bürgermeister in der Gemeinde. In der Region bekannt ist er vor allem als Döbelner Vize-Landrat, der bis zur Kreisreform 2008 im Dienst war. „Für die meisten Leute gab es gar keine Zweifel. Sie sagten: Das muss jetzt losgehen“, erinnert sich der Ruheständler an die Euphorie. Die Umstände passten. Ahnert konnte als Bürgermeister einiges bewirken, die neue Förderperiode für die Entwicklung des ländlichen Raums habe bevorgestanden. Der Gemeinderat fasste 2014 den Beschluss, den Komplex zu sanieren. „Anfang April 2014 haben die Planungen begonnen“, sagt Ahnert. Die Kommune kaufte Gebäude und Grundstück von der Deutschen Bahn ab. „Damit kam Schwung in die Geschichte“, so der Bürgermeister a.D.. Fördergeld wurde beantragt, und auch bewilligt. Für Gebäude und Außenanlagen gab es rund 700 000 Euro, insgesamt mussten 1,9 Millionen Euro investiert werden.

Fast 100 Bauberatungen später ist ein Vorzeigeobjekt entstanden, das in der Region seinesgleichen sucht. Der Bahnhof erstrahlt in hellen Farben, mit viel Glas und Holzelementen. Am 16. Oktober eröffnete die Sozialservice Rochlitz gGmbH eine Tagespflege in dem Haus. Für bis zu 15 Personen ist dort Platz. „Wir sind nach knapp zwei Monaten zu 50 Prozent ausgelastet“, sagt Knut Bräunlich, Geschäftsführer der Sozialservice Rochlitz gGmbH. Damit sei er zufrieden, schließlich rechne man sonst mit bis zu einem halben Jahr als Anlaufphase. „Bis zum 30. Juni 2018 wollen wir die Vollbelegung erreichen“, ergänzt Bräunlich. Angeboten wird in dem Haus zudem eine Pflegeberatung. „Erlau hatte den Charme des Bahnhofes und passte darüber hinaus zu unserem Generationenansatz“, erklärt der Geschäftsführer.

Der Bahnhof in Erlau ist Anlaufpunkt für Jung und Alt geworden, für Bürger und Unternehmen. Er verbindet mehrere Generationen. Daher auch der Titel „Generationenbahnhof“, den auch der Verein trägt, der sich um den Bahnhof kümmert. In diesem wird neben der Tagespflege voraussichtlich im Januar Wolfgang Ahnert zufolge Dr. Andreas Eichler, Zahnarzt in Döbeln, eine Zweigstelle eröffnen. Zurzeit sind noch Maler und Fliesenleger in den großzügigen Praxisräumen zu Gange. Weil das Raumkonzept von Eichler nicht in das Nebengebäude des Bahnhofes gepasst habe, sei für den Zahnarzt zusätzlich ein Anbau errichtet worden, erklärt Wolfgang Ahnert. Dieser hebt sich durch seine moderne Bauweise aus grauem Beton von dem unter Denkmalschutz stehenden Bahnhofsgebäude ab. Ursprünglich vorgesehen sei die Ansiedlung eines Allgemeinmediziners gewesen. Dass es nun ein Zahnarzt geworden sei, passe gut, meinte Ahnert. Eine Praxis habe vor einiger Zeit in der Gemeinde geschlossen, ein zweiter Zahnarzt stünde kurz vor dem Ruhestand. „Ein Allgemeinmediziner ist da“, sagt Ahnert. „Die Fügung mit dem Zahnarzt ist ideal“, ergänzt er.


Im anderen Flügel des Bahnhofes haben die Bürger ihr Reich. Hier befindet sich der Bürgersaal, ein großer Raum mit Tischen und Stühlen, einer Küche und Toiletten. Der Raum wird unter anderem für Veranstaltungen und Familienfeiern genutzt. Einmal im Monat lädt der Verein ins Erlauer Wohnzimmer ein. „15 bis 20 Leute kommen bisher“, sagt Jana Ahnert, die als Vereinsvorsitzende die Veranstaltungen managet. Ihr Büro befindet sich unter dem Dach des Bahnhofes. Bei dem offenen Treff gebe es Gespräche, gemeinsames Kaffeetrinken, aber auch ab und an zu speziellen Themen. Hinzu kommt der Kreativtreff mit ungefähr zehn Leuten. „Nun beginnt die eigentlich spannende Zeit. Wie wird der Bahnhof angenommen?“, sagt Jana Ahnert. Das Projekt müsse sich nun sukzessiv entwickeln. Es gebe eine gute Zusammenarbeit mit der Ortsgruppe der Volkssolidarität, ab wollen auch die Kartenspieler in den Bahnhof kommen. Zudem liegen für 2018 bereits zehn Anfragen für Feiern vor.

Noch immer können Jana Ahnert und ihr Schwiegervater kaum fassen, was innerhalb von anderthalb Jahren aus dem Bahnhof geworden ist. Im Februar 2016 begann der Umbau, nach einer besonders schweren Zeit für die 42-jährige Vereinschefin. „2015 haben wir den Bauantrag eingereicht, im Mai lag die Baugenehmigung vor. Aber es hat ewig gedauert, bis mit der Förderung alles geklärt war“, schildert Ahnert. In dieser Zeit seien schon Kritiken laut geworden, dass aus dem Projekt doch nichts werde. „Am 10. Februar 2016 ging es dann aber endlich los“, so Ahnert. Um die 500 Gäste waren bei der Eröffnung des Bahnhofes am 31. Juli 2017 dabei. „Und das an einem Montagvormittag. Die Resonanz zeigt uns, dass der Rückhalt in der Bevölkerung groß ist“, sagt Wolfgang Ahnert. Noch nicht fertig zu dem Zeitpunkt waren die Außenanlagen. Doch inzwischen sind auch der Pendlerparkplatz mit 15 Stellflächen sowie die Bepflanzung abgeschlossen.

Für ihr Engagement in Sachen Bahnhof erhielten Jana und Wolfgang Ahnert kürzlich eine Auszeichnung von Sachsens Sozialministerin. „Dabei haben wir das alles nicht allein gestemmt“, sagt Wolfgang Ahnert. „Wir sind stellvertretend für die Vielen ausgezeichnet worden, die sich mit engagiert haben“, zeigt sich auch seine Schwiegertochter bescheiden. Am Ende sei man mit dem Projekt noch lange nicht. Die Auszeichnung nun sei umso mehr ein Ansporn, weiterzumachen.