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Die Reise seines Lebens

Der 74-Jährige Heinz Proft aus Glashütte hat mit dem Fahrrad die Ostsee umrundet. Sein schönstes Erlebnis hatte er in Estland.

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© Heinz Proft

Von Maik Brückner

Glashütte/Kemi. Einmal um die Ostsee rum. Und das mit dem Fahrrad. Dieser Gedanke schwirrte schon lang im Kopf von Heinz Proft herum. In diesem Jahr hat er sich ein Herz gefasst und hat sich auf den Weg gemacht. Jetzt oder nie, sagte sich der Oberfrauendorfer. „Eigentlich wollte ich keine längeren Radtouren mehr machen. Schließlich bin ich schon 74 Jahre alt.“ Und da sollte man etwas kürzer treten. Doch eine innere Stimme sagte ihn: Heinz, steig aufs Rad.

© SZ

Einmal Polen, Finnland, Schweden und zurück

Spaß in Polen Von Usedom aus radelte Heinz Proft auf dem Ostseeradweg entlang. In Polen entdeckte er dieses Radlerkunstwerk. Das musste unbedingt aufs Foto.
Spaß in Polen Von Usedom aus radelte Heinz Proft auf dem Ostseeradweg entlang. In Polen entdeckte er dieses Radlerkunstwerk. Das musste unbedingt aufs Foto.
Abkühlung auf Russisch In Kaliningrad, dem früheren Königsberg, gönnte sich Proft zur Abkühlung ein Glas Kwas. Dieses ostslawische Getränk entsteht aus der Gärung von Brot.
Abkühlung auf Russisch In Kaliningrad, dem früheren Königsberg, gönnte sich Proft zur Abkühlung ein Glas Kwas. Dieses ostslawische Getränk entsteht aus der Gärung von Brot.
Höhenluft in Schweden Proft besuchte bei seiner Fahrt durch Schweden auch die Insel Öland. Ganz im Süden der Insel stieg er erschöpft, aber voller Erwartung auf einen Leuchtturm.
Höhenluft in Schweden Proft besuchte bei seiner Fahrt durch Schweden auch die Insel Öland. Ganz im Süden der Insel stieg er erschöpft, aber voller Erwartung auf einen Leuchtturm.

Er folgte dem Rat und hat es nicht bereut. Die Tour rund um die Ostsee ist die Reise seines Lebens geworden, sagt er jetzt. Dabei hat er schon ganz verrückte Fahrten unternommen. Vor zwei Jahren fuhr er von seinem Heimatdorf über Tschechien, Süddeutschland, die Schweiz, Frankreich bis zum westspanischen Pilgerort Santiago de Compostela. In diesem Jahr sollte es der Norden Europas sein. Zu seiner Tour startete er Anfang Juli auf der Insel Usedom, in der Nähe von Zinnowitz. Zunächst radelte er ins polnische Kolberg, von dort weiter bis nach Danzig. „Die Stadt hat mir sehr gut gefallen.“, sagt er. Vorbei an der mächtigen Burg der Kreuzritter in Marienberg fuhr er nach Kaliningrad, dem früheren Königsberg, und weiter ins Baltikum, nach Riga und Tallin. Schöne Städte ohne Frage, aber sein schönestes Reiseerlebnis hatte er in Estland, in der tiefsten Provinz.

„Es war ein heißer Tag. Schon am Mittag hatte ich keine Lust mehr weiterzufahren“, erinnert er sich. Doch weit und breit gab es keine gute Gelegenheit, das Zelt aufzustellen. „Ich wollte auch lieber in ein Hotel, mal wieder richtig duschen.“ Dann traf er Einheimische. Sie sagten ihm, er wäre an einem Hotel vorbeigefahren. Ein Kilometer zurück und dort wär’s. Heinz Proft rang mit sich, denn eigentlich wollte er nicht zurück. Jedenfalls nicht auf dieser Schotterpiste. Doch die Aussicht, in einem Hotel mit Badewanne und gut gefüllter Minibar abzusteigen, ließ ihn schwach werden. Er radelte zurück und wollte einchecken. Doch das Hotel war ausgebucht: Dort feierte eine Familie Hochzeit, kein Zimmer war frei, es gab kein Bier, keine Dusche. Immerhin zeigte man ihm einen Platz, wo er sein Zelt aufstellen konnte. Der war neben einem See. „Dort bin ich gleich rein“, erzählt er. „Dann kam der Brautvater heraus, brachte mir zwei kühle Biere. Geld wollte er nicht“, erinnert sich Proft. Eine nette Geste und eines der leckersten Biere, die er auf der Tour getrunken hat.

Doch es sollte noch besser kommen. Am Abend trat die Hochzeitgesellschaft vor die Tür, um sich eine Feuershow anzuschauen. Proft stand etwas abseits auf einem Hügel und schaute dem Treiben zu. Es war ein grandioses Bild: die Hochzeitsgesellschaft, die Feuershow und über allem der Mond. „Das alles war sehr ergreifend“, erinnert sich Proft. Am nächsten Tag spendierte ihm das Hochzeitspaar noch ein Frühstück. „Diese Übernachtung werde ich nicht vergessen“, versichert er.

Von Estland setzte er mit der Fähre nach Finnland über. St. Petersburg sparte er aus. „Die Strecke wäre zu lang geworden“, sagt er. Deshalb hat er den Weg um die Ostsee etwas abgekürzt. Einige Abschnitte ist er später auch mit dem Zug gefahren, so in Finnland und später auch in Schweden. Hier im Land von Michel, Pippi Langstrumpf und Ikea hatte er seine bittersten Erfahrungen gemacht. Nicht mit den Schweden selbst. „Die Menschen sind sehr freundlich.“ Aber ihre Art, Hotels und Pensionen zu betreiben, sei schon sehr gewöhnungsbedürftig. „Fünf- bis sechsmal stand ich abends vor verschlossenen Türen“, erzählt Proft. Es war niemand da, der ihn einchecken ließ. Mit der Zeit lernte er, dass Pensionen dort etwas anders arbeiten. Man man muss vorher anrufen und alles klarmachen. Dann bekommt man einen Zugangscode für die Tür. Weil Heinz Proft seine Reise so genau nicht plante und eher spontan auf Herbergssuche gehen wollte, war diese Art der Vermietung für ihn nachteilig. Doch Heinz Proft ist ein Glückspilz.

Ganz oft kam doch noch jemand zufällig vorbei. Er konnte einchecken. Richtig Pech hatte er auf seiner 4 500 Kilometer langen Reise, auf der er rund 3 500 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt hat, nicht. Das Fahrrad, dem er vor der Fahrt neue Reifen, eine neue Kette und neue Ritzel gönnte, hielt durch. Nur einmal musste er die Reifen aufpumpen. Das war’s.

Seit einigen Tagen ist der Oberfrauendorfer nun wieder zu Hause. Noch immer hat er es nicht geschafft, das Gewicht zu erreichen, mit dem er losgefahren ist. Während der Fahrt hat der drahtige Senior fünf Kilo abgenommen. Auch die vielen Erlebnisse hat er noch nicht verarbeitet. „Ich habe zu viele Eindrücke gesammelt.“ Es sind nicht nur die lieblichen Landschaften, die attraktiven Städte und die schnuckligen Dörfer, die sich in seinem Gedächtnis festgesetzt haben. Gern denkt er an die Begegnungen zurück. Denn Heinz Proft ist ein Menschenfreund, der unbekümmert andere anspricht. Er folgt seinem Lebensmotto: „Man muss auf die Welt zugehen, weil entgegenkommt sie dir nicht!“ Bisher ist er damit ganz gut zurechtgekommen. Es wird nicht lange dauern, dann wird ihn wieder die Abenteuerlust packen. Das ahnt er schon. „So eine weitere Fahrt möchte ich nicht noch einmal machen.“ Aber Ähnliches hat er bereits nach seiner Tour nach Spanien auch gesagt.