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Die neue Grundrente – ein Etikettenschwindel?

Union und SPD wollen Geringverdiener im Alter besserstellen, wecken dabei allerdings falsche Erwartungen.

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© Zeichnung: Mario Lars

Von Peter Heimann, Berlin

Vor Jahren, als die Union noch mit der FDP regierte, hieß das Projekt noch Zuschussrente. Schon die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte mit dem Konzept die Altersarmut bekämpfen. Der Vorschlag sah vor, dass Mini-Renten von Geringverdienern, die aber viele Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hatten, auf 850 Euro im Monat angehoben werden. Damit sollten sie der Grundsicherung, eine Art Sozialhilfe für Rentner, entgehen.

Die sich 2013 anschließende Große Koalition nannte ihr ähnliches Vorhaben „solidarische Lebensleistungsrente“ – eine Wortschöpfung aus Lebensleistungsrente (CDU) und Solidarrente (SPD). Die Einzelheiten sind nicht so wichtig, denn verwirklicht wurde auch dieser vertraglich vereinbarte Plan nie.

Jetzt erfolgt der nächste Anlauf, um Niedrigverdiener bei den gesetzlichen Altersbezügen besserzustellen als Bezieher von staatlicher Stütze. Die neue Wunderwaffe gegen Altersarmut tauften Schwarz und Rot jetzt großspurig Grundrente“ – ein schnöder Etikettenschwindel. Grundrente suggeriert eine Zahlung, die jedem zusteht – eine Absicherung im Alter für alle. Das ist aber nicht, was Union und SPD in Aussicht stellen. Sie wecken schlicht falsche, überzogene Erwartungen. Gerade erst hat Kanzlerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag, der den Koalitionsvertrag gebilligt hat, behauptet: Mit der Grundrente gebe man eine Antwort auf die berechtigte Erwartung, dass jemand, der 30 oder mehr Jahre gearbeitet hat, der über einen langen Zeitraum in die Rentenkasse eingezahlt hat, „am Ende mehr herausbekommen muss als der, der nichts eingezahlt hat“.

Aber nur ein kleiner Teil von denen wird bekommen, was so missverständlich wie eine Mindestrente für alle klingt. Den Hauptgrund hat Merkel mit einer merkwürdigen Begründung gleich selbst genannt: „Um die Sache sozial ausgewogen zu gestalten, war es uns wichtig, dass dabei die Bedürftigkeitsprüfung durchgesetzt wurde, damit es nicht zu sozialen Ungerechtigkeiten kommt.“

Grundsicherung mit Zuschlag

Eigentlich, so könnte man die Merkel-Worte übersetzen, geht es Union und SPD trotz anderlautender Propaganda nicht um eine Rente, sondern um einen Zuschlag auf die Grundsicherung. Damit ist die Sozialleistung gemeint, die gezahlt wird, wenn ein Rentner aus der gesetzlichen Rentenkasse, aus Eigenvorsorge oder Betriebsrente nicht genug zum Leben hat. Darauf soll ein Zuschlag in Höhe von zehn Prozent gezahlt werden – allerdings nur unter Bedingungen, die sich im Kleingedruckten finden.

Was muss man für die Grundrente erfüllen? Man muss lange geklebt haben, also viele Jahre Beiträge in die Rentenkasse gezahlt haben. Nur Geringverdienern mit mindestens 35 Beitragsjahren – Erziehungs- und Pflegezeiten zählen mit – winkt demnach eine Aufstockung ihrer Zahlung. Sie soll dann bei „zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs“ liegen, wahrscheinlich um die 70, 80 Euro im Monat – wenn Miete und Heizung mitgerechnet werden. Sonst wären es nur etwa 40 Euro mehr, zehn Prozent des Regelbedarfs für Alleinstehende von derzeit 416 Euro.

Einschränkend wirkt auch, dass die Grundrente nur Bedürftige bekommen sollen. Die Prüfung passt auch nicht zur Zusage der SPD, Menschen mit langjährigen Beitragszahlungen im Alter den Gang zum Amt zu ersparen. Zwar soll die Rentenversicherung – die über keinerlei Daten und Erfahrung verfügt – bei der Bedürftigkeitsprüfung mit den Sozialämtern zusammenarbeiten, wie es in der Koalitionsvereinbarung heißt. Doch am Ende kann es Betroffenen egal sein, wo sie ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse ausbreiten müssen. Das Prinzip bleibt bestehen. Im Kern ist die Grundrente damit also nur eine etwas aufgebesserte Grundsicherungsleistung. Und das auch nur für einen eher begrenzten Personenkreis. Viele von Armut bedrohte Menschen werden von ihr nicht profitieren, prophezeien Experten angesichts der hohen Zugangshürden.

Viele kommen nicht auf 35 Jahre

Ende 2016 waren knapp 526.000 Menschen jenseits der Regelaltersgrenze auf die staatliche Grundsicherung angewiesen, 3,1 Prozent der älteren Wohnbevölkerung. In Sachsen waren es „lediglich“ um die 10 700 Menschen mit Grundsicherung im Alter.

Gut drei Viertel unter allen Grundsicherungsempfängern bezogen eine Altersrente – um die 405 000 Personen oder 2,6 Prozent der inländischen Altersrenten ab Regelaltersgrenze. Das heißt, ein Viertel der Grundsicherungsbezieher bekam keine Altersrente, hat also im ganzen Leben praktisch kaum oder nie versicherungspflichtig gearbeitet. Also wird für diese Menschen auch die neue Grundrente nicht in Betracht kommen. Aber auch, wer seine Mini-Rente mit der Grundsicherung aufstocken muss, hat oft weniger als 35 Beitragsjahre vorzuweisen. Vor allem Frauen dürften die Voraussetzungen für den Bezug der Grundrente nur in sehr begrenzten Fällen erfüllen. Die Grundrente hilft, ist aber zur Milderung von Altersarmut zu wenig.