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Die nächste Generation

Als Sohn von Gastarbeitern ist Hai Bui der Erste der Familie, der studiert – und sich auf den Weg in die Politik macht.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Die Tulpenzeit ist vorbei, auch bei Bui. Jetzt grüßen Sonnenblumen die Kundschaft schon von Weitem. Hundert Meter vom wohl berühmtesten Lebensmittelladen der Neustadt entfernt, sitzt Hai Bui vor einem Café. Die Frühblüher seines Vaters hatten den Künstler Thomas Preibisch vor sieben Jahren animiert, ein Lied zu schreiben: „Ich schenk dir Tulpen von Bui“ wurde auf dem Musikportal Youtube 43 500 Mal geklickt. Viele Dresdner haben den Refrain heute noch im Kopf. Hai Bui lacht kurz auf, wenn er daran denkt. Doch seinen Eltern und ihrem kleinen Geschäft hat der 25-Jährige weit mehr zu verdanken als diese regionale Popularität.

Als Hai für das Video zum Song an Mutters und Vaters Arm im Rhythmus schunkelte, steuerte er gerade aufs Abi zu. Damit war er im Begriff etwas Außerordentliches zu schaffen. Etwas, was der Generation vor ihm nicht gegeben war. „Meine Eltern sind als Gastarbeiter in die DDR gekommen“, sagt er. Seine Mutter habe in ihrer Heimat schon mit sieben Jahren arbeiten müssen und kam als Näherin hierher. Vater Bui stammt aus einer alten Fischerfamilie und war Dreher in einem VEB. „Die beiden hatten gar keine Chance auf eine höhere Bildung, wollten aber, dass ihre Kinder mehr und besser lernen.“

Wenn Hai Bui an seine Kindheit denkt, gehört der kleine Laden im Herzen der Neustadt dazu. Dort ist er groß geworden und hat die Nachmittage nach der Schule und die Ferienzeiten darin verbracht. „Am Anfang habe ich nur spielerisch mitgeholfen und die Waren in den Regalen sortiert“, erinnert er sich. Als Zwölfjähriger durfte er gelegentlich kurz allein an der Kasse bleiben, später auch länger. „Damit mein Vater in Ruhe essen oder mal eine Weile schlafen konnte.“ Dessen Tag beginnt bis heute drei Uhr morgens. Dann fährt er zum Großmarkt, kauft Obst, Gemüse und im Frühling Tulpen. „Du musst immer 110 Prozent geben“, hat er seinem Sohn gesagt, und dass Bildung Türen öffne und der Mensch ein Leben lang lernen müsse. „Vietnamesische Eltern sind in der Regel sehr streng“, sagt Hai. In der Nachkriegszeit groß geworden, seien sie Entbehrung und harte Arbeit gewohnt. Ihre Erfahrung, dass mit Fleiß und Disziplin Wohlstand möglich wird, geben sie an ihre Töchter und Söhne weiter. „Nicht umsonst erreichen überdurchschnittlich viele Kinder von ehemaligen vietnamesischen Gastarbeitern sehr gute Schulabschlüsse.“

Inzwischen studiert Hai Bui an der TU Chemnitz Wirtschaftswissenschaften und engagiert sich politisch. „In unserer Familie spielte Politik kaum eine Rolle“, sagt er. „Aber ich habe von Anfang an FDP gewählt, weil mir der Gedanke der Leistungsgerechtigkeit gefiel und der Fokus auf Bildung und Freiheit liegt.“ Wie oft hat Hai die Frage gehört: „Wo kommst du denn her?“ und gern mit „Vom Sport“ geantwortet. „Ich hasse es, in Schubladen gesteckt zu werden“, sagt er. So wurde der Liberalismus sein Denkmodell. Mit 21 Jahren trat Hai den Freien Demokraten bei und erinnert sich an einen Altherrenverein, der ihm fremd erschien. „Dann habe ich aber junge Leute kennengelernt, die bei der FDP-Jugend organisiert sind“, erzählt er. „Sie haben mich zum Stammtisch eingeladen. Damals waren es zwei, drei, inzwischen gehören 15 bis 20 Aktive dazu.“

Seit März ist Hai Bui Landesvorsitzender der Jungliberalen Sachsens und will schon bald seine Partei im Landtag vertreten. Als erster Vietnamese im sächsischen Landtag? Das hält er für zu plakativ. „Aber ich finde es wichtig, dass ein Parlament den Querschnitt der Bevölkerung abbildet, und da gehören Menschen mit Migrationshintergrund dazu.“ Zumal mit den Geflüchteten der jüngeren Zeit schon die nächste Generation folge: „Kinder, die wie ich in Deutschland zur Welt kommen, ihre besonderen familiären Hintergründe haben und hier ihr Glück suchen“.