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Dresdens Milliarden-Baustelle

Nirgendwo in Dresden wird gerade so viel Geld verbaut wie für das neue Chipwerk von Bosch.

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© Bosch

Von Henry Berndt

Dresden. Wer hier rein will, der braucht nicht nur einen Helm. Er braucht Sicherheitsschuhe, eine Weste und er braucht jemanden, der ihn wieder rausführt, wenn er sich mal verlaufen sollte. Auf einer Baustelle, die so groß ist wie 14 Fußballfelder, könnte das durchaus passieren.

Dabei ist es noch nicht allzu lange her, da war hier, ganz in der Nähe des Flughafens, nichts als grüne Wiese. Ende Juni wurde mit viel politischer Prominenz der Grundstein für eine Fabrik der Superlative gelegt. Für mehr als eine Milliarde Euro baut Bosch auf dem Gelände eine Chipfabrik. Es ist die größte Investition in der Unternehmensgeschichte. Künftig sollen hier rund 700 Mitarbeiter die Chips produzieren, die unserem Smartphone sagen, wann es den Bildschirm zu drehen hat, und das Auto informieren, wenn die Straße nass ist. Von Smart Home ist die Rede, vom autonomen Fahren und dem sagenumwobenen „Internet der Dinge“.

Dresdens XXL-Baustelle

Wie im Zeitraffer wächst auf einer Wiese nahe des Flughafens der Stahlbeton in die Höhe.
Wie im Zeitraffer wächst auf einer Wiese nahe des Flughafens der Stahlbeton in die Höhe.
In einem Jahr soll der Komplex fertig sein.
In einem Jahr soll der Komplex fertig sein.
Dort wo jetzt noch blanke Betonstreben in den Himmel ragen, wird schon in wenigen Wochen kein Wind mehr durchpfeifen. Im Winter wird hier geheizt.
Dort wo jetzt noch blanke Betonstreben in den Himmel ragen, wird schon in wenigen Wochen kein Wind mehr durchpfeifen. Im Winter wird hier geheizt.
Projektleiter und künftiger Werkleiter in Personalunion: Otto Graf
Projektleiter und künftiger Werkleiter in Personalunion: Otto Graf
Synchronarbeit im Tetris-System: Viele Betonteile kommen bereits fertig auf der Baustelle an. Der Computer weiß genau, wo sie platziert werden müssen.
Synchronarbeit im Tetris-System: Viele Betonteile kommen bereits fertig auf der Baustelle an. Der Computer weiß genau, wo sie platziert werden müssen.
Jeder der 250 Arbeiter kennt seinen Platz und seine Aufgabe. Poliere und Bauleiter sorgen dafür, dass es Hand und Hand voran geht.
Jeder der 250 Arbeiter kennt seinen Platz und seine Aufgabe. Poliere und Bauleiter sorgen dafür, dass es Hand und Hand voran geht.
So soll das Werk einmal aussehen.
So soll das Werk einmal aussehen.

Man braucht schon einiges an Fantasie, um inmitten all des grauen Betons, der hier aus der Erde wächst, die Zukunft der Hochtechnologie zu spüren. Was man aber spürt, ist Betriebsamkeit. 250 Menschen wuseln über das Gelände wie über einen perfekt organisierten Ameisenhaufen. Auf einem Gerüst reichen sich Arbeiter auf vier Ebenen Metallteile hoch. An einer anderen Ecke riecht es nach frisch gesägtem Holz. Am laufenden Band fahren Kipper und Betonmischer auf das Gelände. Wohin man schaut, werden bis zu 22 Tonnen schwere Betonteile an neun riesigen Kränen an ihre Position manövriert und wie im Tetris eingepasst – nur, dass der Mann im Kran schon vorher weiß, wo und wie rum das Teil liegen muss. Dafür wurde die Fabrik komplett digital vorgeplant, wobei jedes Rohr, jede Lampe und jedes Türschild erfasst wurde.

Das spart Papier und Zeit. Gerade einmal drei Monate nach der Grundsteinlegung ist bereits die Hälfte der Fertigteile an ihrem Platz. Die Außenwände wachsen beim Zusehen. Alles sieht aus wie in einem Zeitraffervideo. Schon in zwei Wochen sollen die ersten Dachträger aufgesetzt werden. Aber warum die Eile? Die ersten Chips sollen in der „Wafer Fab RB300“ doch erst Ende 2021 produziert werden.

Die Dimensionen der Baustelle

Grundstück: 100000 Quadratmeter

Grundfläche: 72000 Quadratmeter

Reinraumfläche: 10000 Quadratmeter

Beton: 66500 Kubikmeter

Stahl: 16400 Tonnen

Fertigteile: 1400 Stück

Bohrpfähle: 860 Stück

Aushub: 90000 Kubikmeter

Stromleitungen: 380 Kilometer

Rohrleitungen: 80 Kilometer

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Der Projekt- und künftige Werksleiter Otto Graf klärt auf: „Die meiste Zeit wird für den Einbau und die Qualifizierung der Technik benötigt“, sagt er. Bis ein neuer Chip ausreichend für den Einsatz in einem Auto getestet sei, würden viele Monate vergehen. Die Gebäude selbst sollen dagegen schon in ziemlich genau einem Jahr fix und fertig sein, so der ehrgeizige Plan. Im Wesentlichen wird der Komplex dann aus drei Teilen bestehen: Einem Bürogebäude, der Fabrik selbst samt Reinraumbereich für die eigentliche Fertigung und einem Energiezentrum. Über eine Brücke werden Bürogebäude und Reinraumbereich miteinander verbunden sein. Dort wird auch die Schleuse samt Luftdusche installiert, damit die Mitarbeiter auf dem Weg zum Arbeitsplatz keine Schmutzpartikel mitbringen.

Dazu kommen ein großer Mitarbeiterparkplatz und eine Gasfarm, von wo aus beispielsweise der reine Stickstoff für wichtige Produktionsprozesse kommen wird.

Zu sehen ist davon noch nichts. Wie in einer mittelalterlichen Burg ragen bislang vor allem fünf Türme vier Stockwerke hoch in den Himmel. Es sind die massiven Treppenhäuser der Fabrik, die der Konstruktion von Beginn an die nötige Stabilität geben sollen. Apropos Stabilität. Man könnte meinen, eine meterdicke Bodenplatte würde reichen, um den Statiker zufriedenzustellen. Doch weit gefehlt. Um auch kleinste Erschütterungen zu vermeiden, wurden 860 Bohrpfähle bis zu zehn Meter in die Erde getrieben, wie Bauleiter Hans Rumpelt beschreibt. „Wenn es bei der Produktion um ein paar Nanometer geht, sollte möglichst nichts wackeln.“ Der 30-Jährige ist der Mann, der das große Ganze im Blick behält. Gebaut wird nicht einfach von unten nach oben, sondern eher von Ost nach West. Während auf der einen Seite bald schon die Maler anrücken, fehlt auf der anderen Seite noch die Außenwand. Spätestens bis zum ersten heftigen Kälteeinbruch soll der Bau aber von allen Seiten dicht sein und beheizt werden können. Dem Innenausbau könne der Winter dann nichts mehr anhaben. Noch kürzlich hatten die Arbeiter draußen ein ganz anderes Problem: Bei wochenlang weit über 30 Grad wurde es dem Beton im Mischer zu heiß. „Da sind wir wirklich an unsere Grenzen gekommen“, sagt Rumpelt.

Dennoch liege man voll im Zeitplan. Sechs Tage in der Woche wird auf Dresdens größter Baustelle in zwei Schichten von 6 bis 22 Uhr gearbeitet. Manchmal auch sonntags. Und all das für eine runde Siliziumscheibe von der Größe einer Pizza. Die schmeckt zwar nicht, wird aber die Technologie der Zukunft beeinflussen.