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„Die Lebensumstände der Kinder werden immer schwieriger“

84 Kinder lernen momentan an der Schule für Erziehungshilfe in Priestewitz. So viel wie noch nie, sagt die Leiterin der Einrichtung des Landkreises Meißen, Silke Gaida. Und sieht Defizite.

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© Kristin Richter

Von Catharina Karlshaus

Priestewitz. In der blitzblanken Küche rumort es. Kartons werden aufgeschlitzt, Teller und Schalen sorgsam übereinandergestapelt. Nur noch wenige Tage, dann wird das neu angeschaffte Geschirr zum Einsatz kommen. Denn ab Mittwoch beginnt sie schließlich nun auch in der Priestewitzer Schule für Erziehungshilfe: die Brotzeit. Organisiert vom gleichnamigen Verein und der Koordinatorin für die Region Dresden, Isabell Kochale, dürfen dann die Mädchen und Jungen der Schule erleben, was es bundesweit bereits seit zehn Jahren gibt. Eine kostenlose Frühstücksversorgung nämlich, welche vom Verein BrotZeit – gegründet von Schauspielerin Uschi Glas und ihrem Mann Dieter Herrmann – initiiert wird. Vom Freistaat Sachsen bis zu 90 Prozent gefördert, sollen Kindern aus einem schwierigen sozialen Umfeld zu ausgewogener Ernährung erzogen werden und dabei noch emotionale Zuwendung erfahren. Ein Hauptgewinn für ihre Schule, wie deren Leiterin Silke Gaida im SZ-Gespräch betont.

Frau Gaida, was hat Sie bewogen, sich für das Projekt zu bewerben?

Das ist mit einfachen Worten zu beschreiben. Viele unserer Schüler kommen ohne Frühstück in die Schule. Sie haben augenscheinlich Hunger, weil es offenbar auch zu Hause noch nichts gegeben hat. Zudem lernen bei uns Mädchen und Jungen mit emotional-sozialen Beeinträchtigungen. Es wird eine große Bereicherung sein, wenn sie von den Senioren, die das Frühstück gestalten, Zuwendung erfahren. Und nicht nur das. Gemeinsam an einem Tisch sitzen, eine Mahlzeit von Angesicht zu Angesicht einnehmen, dabei erzählen und sich austauschen – das kennen ganz viele der Kinder gar nicht. Leider! Dass wir an dem Projekt Brotzeit teilnehmen können, ist für uns deshalb wirklich ein Hauptgewinn.

Wie viele Mädchen und Jungen werden an Ihrer Schule unterrichtet?

Momentan sind es 84. So viel wie noch nie im Übrigen. Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten, die an einer Lese- oder Rechenschwäche leiden. Aber auch Autisten, Mutisten, misshandelte und sexuell missbrauchte Kinder. Es ist ein sehr schwieriges Klientel, welches aus dem gesamten Landkreis Meißen und aus der Region Oschatz zu uns kommt. Ich habe eine große Achtung vor meinen 16 Lehrern und fünf pädagogischen Fachkräften beziehungsweise den jeweiligen Schulbegleitern, welche die Schüler von Klasse eins bis sieben unterrichten. Die Arbeit mit den Kindern ist alles andere als einfach. Seelisch und körperlich.

Ihre Schule besteht jetzt beinah zehn Jahre. Hat sich in dieser Zeit die Problematik all derer, die zu Ihnen kommen, verschärft?

Auf jeden Fall! Die Lebensumstände, aus denen die Kinder zu uns kommen, werden immer schwieriger. Viele Kinder haben ein so großes seelisches Päckchen zu tragen, dass sie eigentlich gar nicht schulfähig sein lässt. Sie bedürfen der täglichen Arbeit mit Therapeuten, aber die haben wir nicht vor Ort zur Verfügung. Ganz im Gegenteil! Ich versuche seit Jahren schon, einen Schulsozialarbeiter zu bekommen. Aber Fehlanzeige! Obgleich gerade bei unseren Schützlingen so eine zusätzliche Kraft sehr hilfreich und sinnvoll wäre. Besonders bei misshandelten und missbrauchten Kindern geraten wir oft an unsere Grenzen. Sie dürfen nicht vergessen, wir unterrichten hier nach dem normalen Lehrplan der Grund- und Oberschule. Denn das große Ziel ist immer, eine erfolgreiche Reintegration in die Regeleinrichtung. Den Lehrplanstoff zu vermitteln unter Beachtung aller psychischer und physischer Beeinträchtigungen, ist eine große Herausforderung. Der Pädagoge kann sich nicht ungehindert auf die Unterrichtsinhalte konzentrieren, wenn er gleichzeitig beschimpft wird oder er sich einer körperlichen Attacke erwehren muss. Da ist viel Herzblut gefragt und das bringen meine Kollegen alle mit.

Wünschten Sie sich da mehr Hilfe?

An der einen oder anderen Stelle sicherlich. Während wir großes Glück mit unserem Träger, dem Landkreis Meißen, haben, mangelt es an der therapeutischen Begleitung. Auch die Jugendämter reagieren für meinen Geschmack oft zu zögerlich, bevor sie Kinder aus schwierigen Verhältnissen befreien. Und es ist unstrittig, dass mehr fachliches Personal im Bereich der Förderschulpädagogik benötigt wird. Unsere Schule ist landkreisweit für die Diagnostik der Kinder an den Regelschulen zuständig und die Betreuung von 190 Integrationsschülern. Um dieser Beratung in den jeweiligen Schulen vor Ort nachkommen zu können, bräuchte ich zusätzlich vier Pädagogen. Die habe ich aber nicht. Hier müsste dringend nachgebessert werden. Denn gerade Kinder mit Handicaps benötigen verstärkt Zuwendung. Sonst sind Integration und Inklusion nur Absichtserklärungen.