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Die kleinen Schritte zählen

Eine Kindergartenleiterin erinnert sich an einige besondere Schicksale.

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Von Alma Uhlmann

Im Gymnastikraum des evangelischen Kindergartens wartet eine kleine Kindergruppe geduldig auf das Mädchen vor ihnen. Mit einigen Mühen schafft sie den Purzelbaum, dann geht es der Reihe nach weiter. „Kinder haben einen erstaunlichen Sinn für Rücksichtnahme“, erzählt Cornelia Händel, Leiterin des integrativen Kindergartens. Integrativ bedeutet, dass hier Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen oder Entwicklungsverzögerungen zusammen mit Kindern ohne Behinderungen die Tagesstätte besuchen. Der Kindergarten in der Holzhofgasse feiert dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Schon seit 1982 arbeitet die Diakonisse Cornelia Händel dort. Einige Schicksale sind ihr besonders in Erinnerung geblieben.

„Ein Junge mit Trisomie 21 kam zu uns. Er hatte irische Eltern und sprach gar kein Deutsch. Laufen konnte er am Anfang auch nicht. Aber als er den Kindergarten verließ, ist er gelaufen und hat mit uns in einer Mischung aus Deutsch und Englisch kommuniziert.“ Ein andermal kämpften die Mitarbeiter um ein Mädchen mit einer fortschreitenden Muskellähmung. „Sie sollte nicht hierbleiben, aber geistig war sie noch total fit. Am Ende haben wir erreicht, dass das Mädchen bis zum Schulanfang bei uns bleiben konnte“, sagt Cornelia Händel.

Gelegentlich geht eine Geschichte nicht ganz so gut aus. „Wir hatten einmal einen dominanten Jungen hier, der sehr kräftig war und manchmal übergriffig wurde. Er ist in Heimen und verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen. Wir waren seine einzige stabile Bezugsgröße“, erinnert sich Cornelia Händel. Als die anderen Kinder nicht mehr vor dem Jungen geschützt werden konnten, entschieden die Erzieherinnen, den Jungen an eine Heilanstalt zu übergeben. „Diese Entscheidung ist uns sehr schwergefallen. Wir hatten das Gefühl, versagt zu haben.“

Doch zu so einer Entscheidung kommt es selten. Die Erzieher, Sozial- und Heilpädagogen haben gelernt, mit Behinderungen umzugehen und die Kinder bestmöglich zu integrieren. Viele Eltern wissen von der Aufmerksamkeit, die sie ihren Schützlingen jeden Tag schenken. „Unsere Anmeldezahlen sind immer hoch“, freut sich die Leiterin der Tagesstätte. Denn die Mitarbeiter unterstützen alle Kinder gleichermaßen, ob mit oder ohne Behinderung.