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„Die ist doch nicht richtig im Kopf“

Eine 30-Jährige gesteht, einen Brand in einem Heim für Asylbewerber gelegt zu haben. Doch kann sie überhaupt verurteilt werden?

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© Archiv/Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Meißen/Dresden. Diese Tat traut man rein äußerlich der kleinen, zierlichen Frau mit den mittellangen, dunkelbraunen Haaren gar nicht zu. Doch sie hat ihren 30. Geburtstag im April wegen des Verdachts einer schweren Straftat im Gefängnis verbracht. Seit dem 8. November vorigen Jahres sitzt die Frau aus einem kleinen Ort nahe Lommatzsch in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr versuchte schwere Brandstiftung, Körperverletzung und Sachbeschädigung vor.

Es ist der 2. November 2017, als in einem Haus an der Leipziger Straße in Meißen, das teilweise als Asylbewerberheim genutzt wird, im Erdgeschoss ein Brand ausbricht. Gegen 1.15 Uhr stehen dort im Trockenraum eine Couch, ein Bettgestell aus Holz und ein Wäscheständer in Flammen. Die Täterin verlässt über ein Fenster das Haus, kehrt dann jedoch zurück und sieht vom Innenhof aus dem Brandgeschehen zu. Derweil werden die Bewohner durch die Alarmanlage geweckt. Weil der im Haus befindliche Feuerlöscher nicht funktioniert habe, sei man an die nahegelegene Tankstelle gegangen und habe einen anderen besorgt, sagt ein Zeuge. Es gelingt, den Brand zu löschen. Zwei Bewohner werden von Rettungssanitätern behandelt, weil sie Rauchgas eingeatmet hatten. Ernsthaft verletzt wird niemand. Am Gebäude entsteht durch Ruß in Räumen und an der Fassade und durch verschmorte Isolierung ein Schaden von 23 514 Euro. Schnell kommt die polizeibekannte Frau als Täterin in Betracht. Denn das Haus ist videoüberwacht. Sie wird von Polizisten und Bewohnern erkannt, hat aber auch weitere Spuren hinterlassen.

Die Tat hat eine Vorgeschichte. Am gleichen Abend fliegt die Frau aus dem Meißner Obdachlosenheim, weil sie statt durch den Eingang über den Zaun geklettert ist, sich außerdem mit Mitarbeitern anlegt. Es ist üblich, dass Obdachlose, die sich nicht an die Regeln halten, für eine Nacht des Heimes verwiesen werden. Am nächsten Tag können sie wiederkommen.

Doch die Angeklagte ist wütend, packt ihre Sachen. Weil sie nicht alles in die Tasche kriegt, zieht sie drei Hosen übereinander an, ebenso drei Oberbekleidungsstücke. Sie packt alles ein, auch Papiertaschentücher und ein Buch über den 2. Weltkrieg. Beides wird noch eine Rolle spielen. Bei dem Brand im Asylbewerberheim werden einzelne, angekohlte Seiten aus dem Buch gefunden – ebenso wie angekohlte Zellstofftaschentücher. Offenbar hat sie Seiten aus dem Buch gerissen, diese angezündet und auf Couch und Wäscheständer verteilt. Brandbeschleuniger wurde jedenfalls nicht verwendet. Auch einen technischen Defekt können die Brandermittler ausschließen. In dem Raum gab es weder elektrische Leitungen noch elektrische Geräte. Die Steckdosen waren unversehrt.

Die Frau ist aggressiv, beleidigend, unruhig, als sie die Polizei aus dem Obdachlosenheim abholt. „Ich brenne die Bude hier an“, droht sie. Alkoholgeruch stellen die Beamten bei ihr nicht fest, offensichtlich steht sie aber unter Drogen. Ein Test wird dennoch nicht gemacht. Das sei nicht nötig gewesen, weil ja kein Verdacht einer Straftat vorlag, sagt ein Polizist. Gegen 3.45 Uhr sehen die Beamten die Frau schlafend vor den Neumarkt-Arkaden. Ihre Tasche hat sie nicht dabei. Die Polizisten geben nichts drauf, bringen sie mit dem Brand, von dem sie gerade zurückkehren, nicht in Verbindung.

Doch gut eine Stunde vor der Tat ist die Frau im Asylbewerberheim aufgetaucht. Ein Bewohner erwischt sie, wie sie das Bad saubermacht. Er spricht sie an. „Ich habe mit ihr geredet und gemerkt, dass sie nicht richtig im Kopf ist“, sagt der Libyer bei seiner Zeugenvernehmung. Er macht das an ihrem äußerst kurzen Haarschnitt – man kann ihn auch Glatze nennen – der dreckigen Kleidung und ihrem Auftreten fest. Schon Wochen zuvor war sie in dem Heim im Waschraum aufgekreuzt. Sie fragte einen Bewohner nach einer Zigarette und bekam auch eine. Als Dank dafür erhielt der Mann – eine schallende Ohrfeige. Danach sprach sie mit ihm, als sei nichts gewesen. „Die ist psychisch krank“, sagt der Mann bei der Polizei.

Wer ist diese Frau, die über ihren Verteidiger zwar die Taten zugibt, aber keine Fragen dazu beantwortet, ebenso wenig wie zu ihrem Alkohol- und Drogenkonsum? Aufgewachsen mit vier Geschwistern in einem offenbar intakten Elternhaus schafft sie den Realschulabschluss, schließt auch eine Lehre ab. In ihrem Beruf arbeitet sie nur kurz, geht dann in ein Pflegeheim, in dem ihre Schwester arbeitet, macht dort einen Minijob. Danach verpflichtet sie sich für vier Jahre bei der Bundeswehr. Nach einem Jahr aber schmeißt sie hin. „Ich hatte Heimweh“, erklärt die Frau, die in Thüringen stationiert war und mittlerweile eine fünfjährige Tochter hat. Diese lebt bei der Schwester der Angeklagten. Nach der Bundeswehr macht sie nichts, lebt von Arbeitslosengeld II, nimmt Drogen, trinkt Alkohol. Immer wieder fällt sie der Polizei auf durch Ladendiebstähle, Hausfriedensbruch. Einmal bedroht sie eine Supermarktkassierein, sie werde sie abstechen, wenn sie nicht sofort drankäme. Ein anderes Mal klettert sie über ein Baugerüst auf das Dach eines Supermarktes in Meißen. Der Sicherheitsdienst holt die Polizei.

Über die Motive der jetzt angeklagten Taten kann nur gerätselt werden, sie selbst äußert sich ja nicht dazu. Waren es ausländerfeindliche Motive? Hat sie sich im Drogenrausch „geirrt“, wollte in Wirklichkeit das Obdachlosenheim anzünden, wie sie angedroht hatte? Oder ist sie tatsächlich psychisch krank. Darüber wird nun ein Sachverständiger entscheiden, der schon in der Verhandlung anwesend war. Wird festgestellt, dass sie schuldunfähig oder zumindest vermindert schuldunfähig ist, kann sie für die Taten nicht bestraft werden. Dann droht ihr allerdings die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, weil dann zu erwarten ist, dass sie wegen ihres Zustandes weitere Straftaten begeht, mithin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.

Das Verfahren wird am kommenden Mittwoch um 9 Uhr am Landgericht Dresden fortgesetzt. Ein Urteil wird es voraussichtlich am 29. Juni geben.