Merken

Die Grenzgänger an der Neiße

Die Volleyballerinnen aus Rothenburg spielen in Polen – die Geschichte einer besonderen Kooperation.

Teilen
Folgen
© André Schulze

Von Alexander Hiller

Eine kleine Brücke ist das Verbindungsglied für ein außergewöhnliches Sport-Projekt. Die Flussquerung über die Neiße führt von der deutschen 266-Seelen-Gemeinde Deschka in die polnische Kleinstadt Piensk. Dort tragen die Volleyballfrauen des ASV Vorwärts Rothenburg ihre Heimspiele in der Sachsenklasse aus, also im Nachbarland. Das gibt es sonst nur in der Bundesliga, die Männer aus Unterhaching bestreiten zwei Drittel ihrer Pflichtspiele in Innsbruck.

Die Zusammenarbeit an der Neißegrenze begann eher zufällig, wie Trainer Jörg Bergner erzählt: „Unsere Hobbymannschaft hatte bei einem Turnier Kontakte zur Schule in Piensk geknüpft.“ Das Gymnasium „Tomask“ bietet ein sportvertieftes Profil für Leichtathletik und Volleyball an. Von 2008 bis 2013 wurde dieses Projekt sogar mit EU-Mitteln gefördert. Dass die Kooperation auch ohne EU-Papier weiter funktioniert, „ist ein schönes Beispiel für die Nachhaltigkeit solcher Projekte“, sagt Bergner. „Es gibt keine Verträge. Die Mädels wollen einfach Volleyball spielen. Und dann geht das eben los.“

Sieben deutsche und acht polnische Spielerinnen zählen derzeit zum Sachsenklasse-Kader. Sie sind Mitglied im Deutschen Volleyball-Verband und haben deshalb deutsche Spielerpässe. Das birgt lediglich dann Konfliktpotenzial, wenn sich polnische Talente so gut entwickeln, dass sie für ihre Nationalmannschaften interessant werden. Abwegig ist der Gedanke nicht. Der ASV hat gerade die beiden 16-jährigen Talente Natalia Dzyga und Sara Ilnicka ans Sportgymnasium in Jelena Gora ziehen lassen. „Eigentlich müsste ein internationaler Transfer stattfinden. Wir würden die Mädels logischerweise freigeben. Natürlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Bergner, der ab der U12 als Coach jedes Team des Klubs mit betreut.

Die Sporthalle in Rothenburg wird derzeit saniert, also spielt sich der sportliche Alltag des Oberlausitzer Klubs fast komplett in Polen ab. In Piensk, wo etwa 6 000 Einwohner leben, gibt es eine moderne Dreifelderhalle. „Unsere älteren deutschen Athletinnen reisen entweder direkt mit der Bahn nach Piensk oder mit dem Auto bis Deschka“, sagt Bergner. Dort werden die Pkw auf einem kleinen Parkplatz abgestellt, und die Volleyballerinnen laufen knapp 15 Minuten bis zur Halle.

Eine Sondergenehmigung des sächsischen Volleyballverbandes benötigt der Klub für die Heimspiele in Polen nicht. „Das ist überhaupt kein Problem, es sind ja zwei EU-Staaten“, sagt der Trainer, der hauptberuflich als Angestellter bei der Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz mbH arbeitet. Auch der Versicherungsschutz des Landessportbundes Sachsen deckt alle Eventualitäten ab, „weil er mitglieder- und vereinsbezogen ist und damit gewissermaßen weltweit gilt“, erklärt Sprecher Jochen A. Mayer.

Dennoch stößt das deutsch-polnische Volleyballprojekt manchmal auf Ressentiments. „Als wir vor drei Jahren in die Sachsenklasse aufstiegen, wollten einige Teams nicht in Polen spielen“, erzählt Bergner. „Als sie dann in Piensk waren, drehte sich das nach dem Motto: Oh, geile Halle.“ Über die Autobahn ist Piensk zudem schneller zu erreichen als Rothenburg. Und die Grenzgänger helfen ihren Gegnern mit nützlichen Reisetipps wie: „Wo 40 dransteht, fahrt bitte nur 40“, meint Bergner und lacht. Er hat sich mal eine Felge in einem radtiefen Loch zerstört. Andererseits lobt er die „Gartenqualität“, die Obst und Gemüse im polnischen Supermarkt haben. „Das schmeckt noch richtig.“

Ansagen auch auf Polnisch

Mit der Mannschaft kommuniziert der Trainer auf Deutsch. „Die Spielerinnen müssen sich melden, wenn sie etwas nicht verstehen.“ Dann kann die 22-jährige Alicja Wojciechowska helfen, die ihn als Co-Trainerin unterstützt. Die Hotelfachangestellte spielt seit neun Jahren für Rothenburg und beherrscht die fremde Sprache am besten, wobei die deutschen Spielerinnen auch polnische Begriffe lernen. „Wir machen im Spiel oft schon Ansagen auf Polnisch“, sagt die 20-jährige Studentin Anna Knobloch.

Ihr Trainer mag die Unterscheidung sowieso nicht, und er hat in seinem Verein viele Gleichgesinnte getroffen. „Volleyball in unserer Region und auf unserem Niveau funktioniert über die Eltern, sie stehen alle dahinter“, sagt er. „Wir fahren ja nur über die Neiße – das fühlt sich nicht wie Ausland an.“ Das bestätigt auch Knobloch. „Wir sind natürlich stolz darauf, dass es so gut funktioniert, aber für uns ist es Alltag. Wir sind eine Mannschaft und nicht zwei verschiedene Nationen.“

Auch für die polnischen Spielerinnen bedeutet die Kooperation mehr als nur freundliche Nachbarschaft. „Dieses Projekt hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Ich konnte mein Deutsch verbessern, hatte keine Zeit für Dummheiten“, sagt Alicja Wojciechowska. „Das Training hat mir in vielen Situationen geholfen – und es gab einige wirklich böse Momente in meinem Leben.“

Bergner will weiter in Piensk spielen, auch wenn die Halle in Rothenburg wie geplant Ende des Jahres fertiggestellt sein sollte. „Weil wir nicht nur ein deutsches Team sind. Es gehört dazu, dass wir beide Seiten beachten“, sagt er. Allerdings folgen nicht alle Zuschauer der Mannschaft. In Rothenburg kamen zu Hochzeiten etwa 100, in Polen sind es nur um die 30. Vielleicht teilen sie die Heimauftritte künftig auf. Die Sachsenklasse muss für den Verein auch wegen der Kooperation nicht das Ende der sportlichen Entwicklung sein. Von der Kreisklasse bis zur jetzt sechsthöchsten Liga sind die „Volleyhasen“, wie sie sich nennen, schon aufgestiegen. „Die Sachsenliga wäre ein Ziel. Mal gucken“, sagt Bergner, verabschiedet sich und fährt zur Brücke über die Neiße.